• Der historische Handschlag zwischen Björn Höcke, (r) Fraktionsvorsitzender der AfD und Thomas Kemmerich (l., FDP). 
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Ein Jahr nach Kemmerich-Debakel: FDP-Nachwuchspolitiker zieht Bilanz: „Wir schämen uns“

Hamburg –

Es war ein Tabubruch, gefolgt von einem Politbeben. Und für die FDP war es ein Desaster: Vor einem Jahr ließ sich der Liberale Thomas Kemmerich in Thüringen zum Ministerpräsidenten wählen – mit Stimmen der AfD. Zwar gab der Politiker das Amt wenige Tage später ab, doch der Schaden für die Partei war gewaltig. Einer, der damals massiv angefeindet wurde: Hadi Al-Wehaily, 19 Jahre alt, FDP-Nachwuchspolitiker aus Billstedt.

Seine Partei steckte damals mitten im Hamburger Bürgerschaftswahlkampf, FDP-Politiker wurden an ihren Wahlständen auf der Straße beschimpft, ihre Plakate wurden beschmiert. Am gestrigen Jahrestag des Thüringen-Debakels sprach Al-Wehaily mit der MOPO über die Lehren aus dem beispiellosen Vorgang – und über die Fehler von Parteichef Christian Lindner.

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Hadi Al-Wehaily ist 19 Jahre alt und FDP-Nachwuchspolitiker aus Billstedt.

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HFR

MOPO: Ein FDP-Ministerpräsident, gewählt mit AfD-Stimmen. Was haben Sie damals gedacht, Herr Al-Wehaily?

Hadi Al-Wehaily: Erst habe ich mich gefreut, dass ein FDP-Mann in Thüringen zum ersten Mal zum Ministerpräsidenten gewählt wurde. Aber als ich gesehen habe, dass es AfD-Stimmen waren, war ich geschockt. Ich dachte: Das kann doch nicht wahr sein?! Wir schämen uns dafür, dass Thomas Kemmerich die Wahl damals angenommen hat.

Sie haben selbst Migrationshintergrund. Das Bild vom Handschlag zwischen Kemmerich und dem rechtsextremen AfD-Fraktionschef Björn Höcke muss für Sie doch ein Schlag ins Gesicht gewesen sein.

Ja, das war es. Später haben sich aber rund 95 Prozent der Partei davon distanziert. Da habe ich gemerkt, dass ich doch in der richtigen Partei bin.

Und Thomas Kemmerich? Ist er noch in der richtigen Partei?

Nein. Nachdem er dann auch noch ohne Maske auf einer Demo gegen Corona-Maßnahmen war, denke ich, er sollte sich eine neue Partei suchen. Ich entscheide das natürlich nicht. Aber er sollte sich überlegen, ob er immer noch mit den Werten der FDP übereinstimmt.

Die Reaktionen waren heftig. In Hamburg war damals Wahlkampf, auch Sie selbst wurden angegangen.

Auf meine Plakate wurde „Nazi“ geschrieben. Es war ein ekliges Gefühl, dass jemand so etwas auf mein Gesicht schreibt. Ich hatte richtig Herzklopfen. Mittlerweile kann ich etwas darüber lachen, dass mich jemand mit meinem Nachnamen als Nazi beschimpft.

Was hat die FDP aus dem Debakel gelernt?

Dadurch dass wir uns so einen krassen Tabubruch geleistet haben, haben wir innerparteilich noch mal klargestellt, dass wir niemals wieder mit der AfD zusammenarbeiten wollen. Es ist schade, dass es überhaupt passiert ist, aber zumindest dafür war Thomas Kemmerichs Fehler gut.

In den letzten Jahren, als sie noch mit einer Fraktion in der Bürgerschaft vertreten war, hat die Hamburger FDP ja durchaus einigen Anträgen der AfD zugestimmt …

Das ist richtig. Nach dem Kemmerich-Vorfall hat die Hamburger FDP aber klar entschieden, keinem Antrag der AfD mehr zuzustimmen.

FDP-Parteichef Christian Lindner hat Thomas Kemmerich damals nur zögerlich zum Rücktritt bewogen.

Dass wir in Wählerumfragen immer noch bei rund sieben Prozent hängen, liegt auch daran, dass Christian Lindner nicht schnell genug reagiert hat. Es war klar, dass er Kemmerich zum Rücktritt bewegen musste. Aber es war schade, dass ihn andere darauf aufmerksam machen mussten.

Manche sagen, er habe sich nie von dem Debakel erholt.

Ich schätze ihn als Menschen und er ist eine Führungsperson. Er hat uns seit 2013 gut durch die Krise geführt. Aber in dem Moment war auf ihn kein Verlass. Ich würde sagen, wir warten das Ergebnis der Bundestagswahl im Herbst ab und dann sehen wir weiter.

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Wollten Sie damals auch, dass er zurücktritt?

Nein. Ich wüsste auch nicht, wer ihn ersetzen sollte. Wenn wir Christian Lindner verlieren, verlieren wir eine sehr charismatische Person. Das dürfen wir uns nicht erlauben. Ich wollte aber, dass er sich für sein Zögern entschuldigt.

Sie haben es eben schon erwähnt: In der Sonntagsfrage zur Bundestagswahl steht die FDP mit sieben bis acht Prozent noch immer nicht da, wo Sie hinwollen, oder? Kann man das noch auf den Kemmerich-Eklat schieben?

Ja, auf jeden Fall. Davon wir haben uns noch nicht erholt. Aber auch in der Corona-Politik haben wir zu spät Profil gezeigt. Viele Menschen wissen gar nicht mehr, wofür die FDP steht.

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