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  • Menschen genießen das sonnige Winterwetter im Westhafen von Malmö. 
  • Foto: picture alliance/dpa/TT News Agency/AP

Der Preis der Freizügigkeit: Schwedens Corona-Lage angespannt – Zahlen steigen

Stockholm –

Die Neuinfektionszahlen bekommt Schweden seit Monaten einfach nicht entscheidend in den Griff, nun steigen sie  wieder stark an. Neue Beschränkungen über Ostern stehen den freizügigen Schweden wohl trotzdem nicht ins Haus. Ist es das wert?

Der Preis der Freizügigkeit lässt sich in Schweden einmal mehr an vergleichsweise hohen Corona-Zahlen ablesen. Im Gegensatz zu den dänischen Nachbarn und anderen Ländern haben es die Schweden seit Jahresanfang nicht geschafft, ihre Neuinfektionszahlen auf ein moderates Niveau herunterzudrücken.

Schwedens Corona-Lage bleibt angespannt

Stattdessen stagnierte die Zahl zuletzt bei einem hohen Wert, nun geht es wieder deutlich in die falsche Richtung. An einen erstmaligen Lockdown etwa über Ostern ist dennoch vorerst nicht zu denken für die Schweden – auch wenn sich die Regierung die entsprechenden Möglichkeiten dazu mittlerweile geschaffen hat.

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„Leider haben wir in den vergangenen beiden Wochen eine ziemlich ordentliche Zunahme von ungefähr 18 Prozent gehabt“, sagte Schwedens Staatsepidemiologe Anders Tegnell am Dienstag. Nach einer relativ leichten Steigerung in den Vorwochen geht es damit wieder schneller hinauf mit den Neuinfektionen, derzeit sind es über 600 Fälle pro 100.000 Einwohner in den vergangenen 14 Tagen – zu viel und „nicht nachhaltig“, so Tegnell. „Das ist ein klarer Moment der Besorgnis.“

„Situation, wie zu Beginn der Pandemie“

Bereits vergangene Woche hatte Karin Tegmark Wisell von der Gesundheitsbehörde Folkhälsomyndigheten festgestellt: „Wir befinden uns in einer Situation, wie wir sie zu Beginn der Pandemie 2020 hatten, als es erst im Mai eine Dämpfung gab.“ Alles wieder auf Anfang also, trotz über einem Jahr Corona?

Manches hat sich verändert im Corona-Kampf der Schweden, teils zum positiven, teils zum negativen: Zum einen ist die britische Virus-Variante mittlerweile fast in allen schwedischen Regionen die dominierende, zum anderen hat das skandinavische EU-Land seine dramatisch hohen Todesfallzahlen in den Altersheimen endlich in den Griff bekommen. Und auch am vielbeachteten schwedischen Sonderweg hat sich etwas getan.

Dazu muss gesagt werden: So locker und zügellos wie von Querdenkern und auch manchen Meinungsmachern beschrieben, ist die schwedische Strategie gegen das Coronavirus niemals gewesen.

Schwedischer Weg nie so zügellos, wie oft behauptet

Ja, die Corona-Maßnahmen waren und sind deutlich freizügiger als in Deutschland. Aber nein, ganz ungehemmt lebte es sich mit dem weltumspannenden Virus auch nicht in Bullerbü-Schweden: Auch hier galten und gelten Beschränkungen. Seit November dürfen sich nur noch acht Personen versammeln, Restaurants und Kneipen müssen um 20.30 Uhr schließen.

Wettkampfveranstaltungen mit Ausnahme des Spitzensports wurden untersagt, Besucherzahlen in Geschäften, Fitnessstudios und weiteren Einrichtungen begrenzt. Hinzu kommen klare Appelle, Vernunft walten zu lassen und sich an Empfehlungen zu halten. Dennoch ist all das weitaus freizügiger gewesen als in den meisten anderen EU-Ländern.

Schweden: Höhere Infektionszahlen, weniger Probleme der Wirtschaft

Ein Resultat dieses Weges waren deutlich höhere Infektionszahlen, aber weniger starke Probleme für die Wirtschaft. Bis heute hat Schweden mehr als 750.000 Corona-Fälle und 13.300 damit in Verbindung stehende Todesfälle registriert.

Auf die Bevölkerung von zehn Millionen Einwohnern heruntergerechnet wurden mehr als doppelt so viele Infektionen wie in Deutschland verzeichnet, bei den Toten ist die Zahl ebenfalls auf die gesamte Pandemie gerechnet höher als in der Bundesrepublik.

Insgesamt starben im Corona-Jahr 2020 7,9 Prozent mehr Menschen in Schweden als im Durchschnitt der Jahre 2015 bis 2019. Die Neuinfektionszahl war in Schweden laut den Vergleichszahlen der EU-Gesundheitsbehörde ECDC zuletzt wieder fast viermal so hoch wie in Deutschland.

Todeszahlen in Schweden sinken seit Januar

Bei der schwedischen Todeszahl hat sich aber etwas verändert: Sie ist seit Ende Januar stark gesunken und liegt mittlerweile pro 100.000 Einwohner viel niedriger als in Deutschland.

Und noch etwas hat sich getan: Über all dem hängt in Schweden seit einigen Wochen das Damoklesschwert des nun doch möglichen Lockdowns. Die Regierung hat sich Anfang 2021 mit einem neuen Pandemiegesetz und einer entsprechenden Verordnung die Möglichkeit für weitreichendere Maßnahmen geschaffen.

Seitdem besteht nun auch für die Schweden die realistische Möglichkeit, dass sie auf dem Weg in Geschäfte, Restaurants oder Fitnessstudios vor verschlossenen Türen stehen, sofern das Regierung und Behörden für notwendig betrachten. „Es gibt weiterhin Bedarf, mehrere Maßnahmen zu ergreifen, und es kann aktuell werden, Teile der schwedischen Gesellschaft zu schließen“, sagte Sozialministerin Lena Hallengren Mitte Februar.

Regierungschef setzt auf klare Appelle und wenig Verbote

Bislang ist das ausgeblieben. Regierungschef Stefan Löfven bleibt seiner Linie mit klaren Appellen treu. Das Coronavirus nehme keine Rücksicht auf Festtage, machte er zuletzt mit Blick auf Ostern klar. Große Feiern sollten die Schweden deshalb bitte unterlassen. „Der Marathonlauf ist noch nicht vorbei.“

Staatsepidemiologe Tegnell rechnet nicht damit, dass seine Behörde über Ostern mit neuen, verschärften Beschränkungen um die Ecke kommt. Wichtiger sei, dass die bestehenden Regeln besser eingehalten würden.

Eine Million Schweden bereits mit erster Dosis geimpft

Die Schweden setzen somit – vorerst – weiter auf Vernunft statt Verbot. Tegnell wiederholte am Dienstag wie schon so häufig die Empfehlungen und Maßnahmen, die er den Schweden in den vergangenen Monaten immer wieder ans Herz gelegt hat: Hände waschen, Abstand halten, wenn möglich von zu Hause arbeiten und wer sich krank fühle, solle ebenfalls daheim bleiben.

Und vor allem: Impfen lassen! Insgesamt eine Million Schweden haben bereits ihre erste Impfdosis erhalten, mehr als 400.000 bereits ihre zweite. Das macht gut zwölf Prozent aller Erwachsenen im Land. „Wir sind auf einem guten Weg“, sagte der unbeirrt ruhige Tegnell dazu. Der Effekt auf die Infektionslage müsse sich aber erst einstellen. (dpa)

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