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  • Mittagessen in der Gartenwirtschaft: In Tübingen kein Problem – wenn man ein Tagesticket hat.
  • Foto: imago images/ULMER Pressebildagentur

Alles auf, trotz Pandemie: Deutsche Stadt überzeugt mit besonderer Corona-Strategie

Tübingen –

Die neue Frühjahrskollektion anprobieren, sich dann mit einem Glas Aperol Spritz vor das Lieblingslokal setzen und die Sonne genießen: Was für die meisten Menschen in Deutschland ein weit entfernter Traum ist, gehört in Tübingen längst wieder zum Alltag. Die Rückkehr zu einer Normalität trotz Corona verdankt die Stadt dem grünen Oberbürgermeister, einer engagierten Ärztin – und einer simplen Idee.

Die Strategie ist einfach: Wer sich testen lässt und ein negatives Ergebnis hat, erhält ein sogenanntes Tagesticket. Mit diesem dürfen die Tübinger shoppen gehen, Restaurants und Bars besuchen oder sich eine Theateraufführung anschauen. Am jeweiligen Eingang wird das Ticket geprüft – ähnlich dem Perso-Check von Partygängern am Clubeingang. 

Corona-Pandemie: Tübingen testet Tagesticket-Modell

Neun Teststationen wurden hierfür im Stadtgebiet aufgebaut, deren medizinisches Personal bis zu 1000 kostenlose Antigen-Schnelltests pro Stunde schafft.

Tagesticket Tübingen

Mit dem Tagesticket nach einem negativen Corona-Test dürfen die Tübinger shoppen, in die Gastro oder in Theater gehen. 

Foto:

picture alliance/dpa

Wer getestet wird, muss rund 20 Minuten warten – bei einem Negativ-Test wird man dann in die neue Freiheit entlassen. Das Tagesticket ersetzt jedoch nicht die bekannten Corona-Regeln: Die Maskenpflicht und Abstandsregeln gelten weiterhin.

Boris Palmer will Innenstadt am Leben erhalten

Verantwortlich für die Strategie ist unter anderem der Oberbürgermeister der Stadt, Boris Palmer (Grüne). Der hatte in der Pandemie immer wieder mit umstrittenen Äußerungen auf sich aufmerksam gemacht und kritisierte wiederholt das planlose Hin und Her der Corona-Politik in Berlin.

Tübingens Oberbürgermeister Boris Palmer.

Tübingens Oberbürgermeister Boris Palmer.

Foto:

picture alliance/dpa

In einer „Spiegel TV“-Doku sagte Palmer zuletzt mit Blick auf das Lockdown-Chaos für Geschäftsinhaber: „Irgendwann geben die alle auf und dann sind die Innenstädte tot. Das müssen wir irgendwie vermeiden.“ 

Die Devise des Oberbürgermeisters: „Das Kaninchen, das vor der Schlange wartet, wird eigentlich immer gefressen. Also ist das nicht die beste Strategie. Man muss einfach was unternehmen.“

Corona-Modell: Ärztin Federle als treibende Kraft

Doch das Modell-Projekt gibt es nicht nur wegen Palmer. Die Ärztin Dr. Lisa Federle ist ebenfalls eine treibende Kraft hinter dieser besonderen Corona-Strategie – sie wurde für ihren Einsatz sogar mit dem Bundesverdienstkreuz ausgezeichnet.

Notärztin Lisa Federle

Notärztin Lisa Federle

Foto:

picture alliance/dpa

Federle setzte früh auf Schnelltests. Bereits zu Beginn der ersten Corona-Welle richtete die Ärztin und Pandemie-Beauftragte ein Corona-Testmobil ein – mit dem sie dann die neun Alten- und Pflegeheime in Tübingen abklapperte. Eine Idee, die schnell bundesweit nachgeahmt wurde. Denn während die Infektions- und Todeszahlen in Altenheimen in den meisten Städten in die Höhe schossen, blieben die Zahlen in Tübingen vergleichsweise niedrig.

Das Tübinger Modell des Tagestickets sorge nun für einen doppelten Schutz, so die Ärztin. Man halte sich nicht nur an die Abstandsregeln, sondern habe durch die Tests auch eine ungefähr „achtzigprozentige Sicherheit, dass man keinen infiziert“. Doch das sei noch nicht alles: „Die ganzen Superspreader hol‘ ich raus“, so die Ärztin bei „Spiegel TV“.

Laschet und Merkel sehen Tübinger Modell als Vorbild

Mittlerweile sind auch andere Politiker von dem Tübinger Corona-Modell angetan. Denn obwohl auch im Kreis Tübingen die Zahlen leicht steigen, wurden hier Stand Mittwoch nur 23 Neuinfektionen und eine Inzidenz von 71,7 gemeldet.

NRWs Ministerpräsident Armin Laschet verkündete deshalb am Mittwoch im Düsseldorfer Landtag: „Wir brauchen Tübingen überall“. Zwar wolle er das dortige Modell nicht in Gänze überall kopieren, jedoch wolle er nach Ostern in einigen Regionen in Nordrhein-Westfalen ein ähnliches Modell testen. Strengere Schutzmaßnahmen und Tests sollen dort dann ebenfalls wieder Kultur- und Sportveranstaltungen ermöglichen.

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Und auch die Bundeskanzlerin hat die Corona-Strategie in Tübingen mittlerweile als Vorbild gepriesen. „Es spricht nichts dagegen, das in ganz Deutschland so zu machen“, so Merkel am Mittwoch im Bundestag.

Doch auch dieses Modell hat nicht nur Fans. Gesundheitsexperte Karl Lauterbach (SPD) äußert sich auf Instagram skeptisch: „‘Tübingen überall‘ reicht nicht, auch dort steigt die Inzidenz“, schrieb er am Mittwoch. So würden auch dort Tests für Schulen und Betriebe noch fehlen. 

Tübingen will Armband mit QR-Code einführen

Während dennoch immer mehr Politiker mit großen Augen und Interesse auf Tübingen schauen, geht die Corona-Strategie dort bereits in die nächste Runde. Am Dienstag teilte die Stadt mit, dass sie statt des Tagestickets aus Papier nun ein Armband mit QR-Code verteilen werde. Dieses digitale Tagesticket soll die Nachprüfbarkeit der Corona-Schnelltests vereinfachen, berichtet die „Stuttgarter Zeitung“.

„Das digitale Tagesticket schafft Sicherheit gegen Missbrauch und verkürzt die Wartezeiten. So machen wir Corona-sicheres Stadtleben komfortabler“, kommentiert Palmer den neuen Vorstoß.

Das Armband könne nicht weitergegeben und mit jedem Smartphone gescannt werden. Durch den Scan des Codes wird auf dem Handy eine Webseite aufgerufen, auf der das Testergebnis hinterlegt wurde. Da das digitale Tagesticket kein spezielles Lesegerät benötigt, gebe es auch keinen größeren Aufwand für die „Türsteher“ des Einzelhandels, der Gastro und Kultureinrichtungen.

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