Oliver Victor vor seinem Tiny House
  • Oliver Victor ist der Gründer von Lilleby.
  • Foto: Quandt

Lilleby: Leben in Norddeutschlands erstem Tiny House-Dorf

Malerisch fügen sich die farbigen Holzhäuschen mit Solardach und Mini-Veranda in die Landschaft. Umringt von Feldern, auf einem stillgelegten Bahnhof am Rande des Örtchens Hollenbek steht es: „Lilleby“ – Norddeutschlands erstes Tiny House-Dorf. Gegründet von Oliver Victor (57). Ein Minimalist, der selber seit Jahren in einer Lokomotive lebt und die Welt ein kleines bisschen besser machen möchte.

Noch immer steht das Schild mit der Aufschrift „Jugendbahnhof Hollenbek“ an der Einfahrt. 16 Jahre lang betrieb Oliver Victor auf dem Gelände unweit des Schaalsees eine Jugendherberge für Schulklassen – in einem alten Eisenbahnzug mit zwölf Waggons. 2017 schloss er die Jugendherberge wegen „Problemen mit dem Finanzamt“. Eine harte Zeit für den Mann. Jedoch kein Grund aufzugeben. Oliver Victor ist Lebenskünstler. Ein Macher mit Visionen. Schon länger hatte er über ein Tiny House-Dorf nachgedacht. Eine Gemeinschaft von Gleichgesinnten. Viele Jahre lebte der Mann in Eisenbahnwaggons, seit sechs Jahren ist eine alte Lokomotive mit 24 Quadratmetern Wohnfläche im benachbarten Schmilau sein Zuhause. „Ich hatte auch mal ein eigenes Haus in Lauenburg, aber ich mag es, mich auf das Wesentliche zu beschränken. Ich habe alles, was ich zum Leben brauche.“

Nahe des Schaalsees befindet sich Lilleby - Norddeutschlands erstes Tiny House-Dorf. Quandt
Lilleby von oben
Nahe des Schaalsees befindet sich Lilleby – Norddeutschlands erstes Tiny House-Dorf.

Oliver Victor wusste: So wie ihm geht es einigen. Also plante er „Lilleby“. Die Schwierigkeit: „Es ist nicht zulässig, dass die Bewohner ihren Erstwohnsitz in einem Tiny House anmelden.“ Aber auch dafür fand er eine Lösung. Noch bevor er 2019 das erste Häuschen aufstellte, kaufte Oliver Victor ein Nachbargebäude, um darin WG-Zimmer anbieten zu können. Heute stehen sechs Tiny Houses auf dem Grundstück. Die Bewohner mieten für 320 Euro im Monat nicht nur den Stellplatz, sondern auch ein WG-Zimmer im Haupthaus. Zusätzlich können sie eine E-Auto-Ladestation, einen Co-Working-Space und Werkstätten mieten.

Das Konzept kommt an. Für den „Lilleby“-Gründer ein bisschen zu gut. Im Internet suchte er nach Interessierten. Ungefähr 650 Bewerber, zumeist Frauen, meldeten sich. „Viele aus Hamburg, aber auch aus ganz Deutschland, sogar München.“ Die Ersten waren noch ganz einfach. „Das war Liebe auf den ersten Blick. Da war gleich klar, dass wir zusammenpassen.“ Danach wurde es schon schwieriger. Die Bewohner müssen sich verstehen, das Haus muss in den Stellplatz, eine 80 Zentimeter tiefergelegte „Docking-Station“, passen und die Ansprüche dürfen nicht zu groß sein.

Blick ins Innere von Oliver Victors Tiny House Quandt
Ein Tiny House von innen
Blick ins Innere von Oliver Victors Tiny House

„Wenn Paare kommen, die zwei Häuser brauchen, lehne ich sie ab.“ Auch Familien mit mehreren Kindern und Haustieren kommen für Oliver Victor nicht in Frage. „Da habe ich sofort Krawall, weil die Leute sehr viel Raum einnehmen. Außerdem glaube ich nicht, dass man als Familie auf so engem Raum stressfrei zusammenleben kann. Das ist hier wie eine große WG. Da muss man gucken, dass das harmoniert.“ Für ihn passen Menschen, die auf Umwelt, Energie und Ressourcen achten. Die Ruhe suchen, aber auch Gemeinschaft. „In erster Linie haben wir hier Hamburger, die der Großstadt müde sind. Menschen, die sich bewusst reduzieren und die Welt besser machen wollen, finde ich toll.“

Besonders wichtig ist ihm die Energieversorgung. Auf dem Grundstück entsteht momentan nicht nur eine neue Solaranlage, es gibt auch ein Blockheizkraftwerk, das nicht nur Wärme erzeugt, sondern auch Strom. In Zukunft ist ein Beach-Bereich mit Whirlpool geplant und der Jugendherbergszug, der nach wie vor am Ende des Grundstücks auf den Gleisen steht, soll als Seminar-Fläche wiederbelebt werden.

Zwar gibt es noch Stellplätze für sechs weitere Tiny Houses, doch momentan nimmt Oliver Victor keine Bewerbungen mehr an. Zuerst muss er im Haupthaus sanieren, um neue WG-Zimmer zu schaffen. Viel Arbeit. Zumal der Mann nicht nur Eigentümer des alten Bahnhofs ist. Er ist Bahnstrecken-Besitzer. Sein Grundstück ist 13 Kilometer lang und acht Meter breit. „Das ist total ätzend, weil man lauter Nachbarn hat, die rumnerven und wollen, dass man Büsche schneidet. Und das sind ganz schön viele Büsche“, sagt Oliver Victor lachend und winkt über das Grundstück einer Frau mit bunter Wollmütze.

Bewohnerin Silke Hellmeier tauschte ihre große Wohnung gegen das Leben auf engstem Raum. Quandt
Silke Hellmeier vor ihrem Tiny House
Bewohnerin Silke Hellmeier tauschte ihre große Wohnung gegen das Leben auf engstem Raum.

Silke Hellmeier (53) ist eine seiner Bewohnerinnen. Noch nutzt die selbstständige Logopädin und Lerntherapeutin aus der Nähe von Bochum ihr Häuschen als Feriendomizil – sobald ihre fast erwachsene Tochter eine eigene Wohnung hat, möchte sie dauerhaft in ihr Tiny House mit den großen Fenstern und der Schlaf-Empore ziehen. „Das Minimalistische entspricht meiner Vorstellung von Freiheit“, sagt sie.

Viele Jahre lebte Silke Hellmeier in einer 170 Quadratmeter großen Wohnung, dazu eine Praxis mit 90 Quadratmetern. „Irgendwann habe ich gemerkt, dass mir das zu viel ist. Ich stand kurz vor einem Burnout, weil ich das Gefühl hatte, ich muss nur noch arbeiten, um das alles am Laufen zu halten.“ Im Urlaub fiel ihr auf, dass sie sich in kleinen, einfachen Unterkünften befreit fühlt. Silke Hellmeier ließ sich ein Tiny House nach ihren Vorstellungen bauen. Momentan ist sie dabei, ihre Sachen an Menschen zu verschenken, die sie brauchen. „Besitz besitzt dich“, sagt die Frau. Den Ballast abzugehen – für sie eine enorme Erleichterung.

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