Durchbruch der Medizin: Wettlauf der Abnehmspritzen
Wer zu viele Pfunde „drauf“ hat, kennt das Problem: Abnehmen ist eine Herkulesaufgabe und wird jedes Mal immer schwieriger, der Jo-Jo-Effekt lässt grüßen. Das Problem ist, dass sich der Körper das einmal erreichte Höchstgewicht „merkt“ und immer wieder anstrebt. Was in der Evolutionsgeschichte womöglich ein genetischer Überlebensvorteil war, ist in der modernen Welt ohne Hungerperioden ein gefährlicher Mechanismus, der viel Leid verursacht.
Denn auch wenn starkes Übergewicht (Adipositas) in der Wissenschaft längst als chronische Krankheit anerkannt ist, haben die Betroffenen im Alltag nicht nur mit ihrem Gewicht zu kämpfen, sondern auch mit Vorurteilen, sie seien selbst schuld, undiszipliniert und faul. Dabei lässt sich eine erblich bedingte Adipositas allein durch Diäten und mehr Bewegung in der Regel nicht in den Griff bekommen. In besonders schweren Fällen half bisher oft nur eine aufwändige Operation, die einen Teil des Verdauungssystems ausschaltet und so die Nährstoffzufuhr dauerhaft einschränkt.
Große Hoffnung setzen viele Betroffene jetzt auf eine neue Klasse von Medikamenten, die ursprünglich zur Behandlung des Typ-2-Diabetes entwickelt wurden. Sie führen nämlich auch zu einer deutlichen Gewichtsreduktion. Das machte die einmal wöchentlich unter die Haut gespritzten Inkretinmimetika so heiß begehrt, dass die Börsenkurse der Herstellerfirmen dieser „Abnehmspritzen“ derzeit alle Rekorde brechen. Kein Wunder, schließlich ist allein in Deutschland jeder zweite Erwachsene übergewichtig, jeder fünfte hat einen Body Mass Index (BMI) von mehr als 30 und erfüllt damit die Definition einer Adipositas. Und das ist weit mehr als ein „Figurproblem“, denn Adipositas erhöht das Risiko für Folgeerkrankungen wie Typ-2-Diabetes, Herzkreislauferkrankungen, Nierenschäden und Krebs deutlich und verringert die Lebenserwartung um durchschnittlich acht Jahre.
Diabetes-Medikament zur Gewichtsreduktion
Der wohl bekannteste Vertreter der Inkretinmimetika ist das unter dem Markennamen Ozempic® berühmt gewordene Semaglutid. Dabei ist Ozempic® nur für die Diabetestherapie zugelassen und viel niedriger dosiert als das tatsächlich für die Adipositas-Therapie vorgesehene Präparat Wegovy® des gleichen Herstellers. Der Wirkstoff ahmt das Sättigungshormon GLP-1 nach, das den Blutzuckerspiegel senkt, die Magenentleerung verlangsamt und das Hungergefühl reduziert. Auf diese Weise verringert Semaglutid in Verbindung mit einer kalorienarmen Ernährung und mehr körperlicher Bewegung das Körpergewicht innerhalb eines Jahres um etwa 15 Prozent.
Neueres Präparat mit höherer Wirksamkeit
Als noch deutlich erfolgreicher erwies sich das ebenfalls einmal pro Woche als Spritze verabreichte Konkurrenzpräparat Mounjaro® mit dem Wirkstoff Tirzepatid: In einer Anfang Dezember veröffentlichten direkten Vergleichsstudie verloren die mit Tirzepatid behandelten Patienten nach 72 Wochen durchschnittlich fast 50 Prozent mehr Gewicht als diejenigen, die Semaglutid erhalten hatten. Die Erklärung dafür ist der doppelte Wirkmechanismus von Tirzepatid, das nicht nur GLP-1 nachahmt, sondern zusätzlich noch ein weiteres Hormon, GIP genannt. GIP, ebenfalls ein Sättigungshormon, lässt auch das als besonders gefährlich geltende Bauchfett abschmelzen.
Dauerhafte Einnahme erforderlich
Trotz der deutlich höheren Wirksamkeit von Tirzepatid sind die Nebenwirkungen der beiden Präparate ähnlich, es kommt vor allem zu Übelkeit, Durchfall oder Verstopfung, selten zu einer Entzündung der Bauchspeicheldrüse. Und noch etwas gilt für beide „Abnehmspritzen“ gleichermaßen: Wer auf die rund 300 Euro pro Monat teuren, verschreibungspflichtigen Präparate nach dem Abnehmen wieder verzichtet, nimmt wieder zu und erreicht rasch sein Ausgangsgewicht. Das haben die Inkretinmimetika allerdings mit Arzneimitteln zur Behandlung anderer chronischer Krankheiten wie Bluthochdruck oder Fettstoffwechsel gemein: Alle erfordern eine lebenslange Einnahme, um die jeweilige Krankheit im Griff zu behalten.
Belastung für den Geldbeutel
Anders als operative Eingriffe bei schwerer Adipositas übernehmen die gesetzlichen Krankenkassen die Kosten für die ärztlich verordneten „Abnehmspritzen“ hierzulande nicht, da sie in Deutschland bisher als Lifestyle-Medikamente eingestuft sind. In den USA und einigen anderen Ländern hat sich diese Einschätzung bereits geändert, nachdem die Medikamente in Studien gezeigt haben, dass sie nicht nur das Gewicht, sondern auch das Risiko gefährlicher Folgekrankheiten deutlich verringern können.
lübo
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