Überall fehlen Leute: Haben die sich alle arbeitslos gemeldet, Herr Fock?
Apotheker, Busfahrer, Kellner: Nahezu alle Hamburger Unternehmen suchen händeringend Personal! Was steckt dahinter? Die MOPO hat bei Sönke Fock nachgefragt. Der Chef der Arbeitsagentur erklärt, warum ausgerechnet in Hamburg so viele Menschen nur in Teilzeit arbeiten, und welche Rolle Überalterung und Drückeberger spielen.
Apotheker, Busfahrer, Kellner: Nahezu alle Hamburger Unternehmen suchen händeringend Personal! Was steckt dahinter? Die MOPO hat bei Sönke Fock nachgefragt. Der Chef der Arbeitsagentur erklärt, warum ausgerechnet in Hamburg so viele Menschen nur in Teilzeit arbeiten, und welche Rolle Überalterung und Drückeberger spielen.
Herr Fock, überall wird nach Fachkräften gesucht. Wo sind die denn alle hin?
Fock: Das ist zu einem großen Teil schon der demografische Wandel. Geburtenstarke Jahrgänge gehen in Rente, und es kommen weniger Menschen nach. Und das nimmt noch Fahrt auf: Im Sommer 2022 waren in Hamburg 212.654 Beschäftigte älter als 55 Jahre, rund die Hälfte von ihnen älter als 60. Sie werden sehr bald auf dem Arbeitsmarkt fehlen. Gleichzeitig gibt es aber einen hohen Bedarf an Arbeitskraft, denn Dienstleistungen und Produkte werden trotz der Krise weiter nachfragt. Wir haben zwar kein starkes Wirtschaftswachstum, sind aber nicht in einer Rezession. Betriebe schaffen also weiter Stellen. Im Herbst hatten wir mit 1,057 Millionen sozialversicherungspflichtig Beschäftigten sogar einen neuen Rekord in Hamburg. Allerdings ist der Anstieg in der Teilzeit- größer als in der Vollzeitbeschäftigung. Das ist der dritte Faktor für den hohen Bedarf: Wir schöpfen das Potenzial an Arbeitskraft nicht voll aus.
Warum gibt es bei uns so viel Teilzeit?
In Hamburg stellen Dienstleistungen einen hohen Anteil am Wirtschaftsgeschehen dar und diese Berufe sind häufig teilbar. Wir haben auch einen hohen Akademikerinnen- und Akademikeranteil mit höheren Gehältern, die sich eine Teilzeit leisten können. Ein gutes Kitasystem lässt die Frauenerwerbstätigkeit zudem höher ausfallen als in den Flächenländern und Frauen machen häufiger Gebrauch von Teilzeit – was natürlich mit der traditionellen Aufgabenverteilung in Haushalt und Familie zu tun hat. Es ist also oft eine Entscheidung in der Familiensituation.
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Manche leben auch lieber vom Sozialstaat als zu arbeiten. Wie groß ist diese Gruppe?
Es ist ein verschwindend geringer Anteil. Wir messen das daran, ob die Menschen wiederholend mit Sanktionen belegt werden, weil sie unsere Ausbildungs- oder Arbeitsplatzangebote ablehnen. Diese Quote bewegt sich in den letzten Jahrzehnten zwischen eineinhalb und drei Prozent. Wer also hofft, so die Fachkräftelücke zu schließen, den muss ich enttäuschen.
Wie kann man sie dann schließen?
Wir brauchen eine Nettozuwanderung. Es wandern zwar 1,2 Millionen Menschen nach Deutschland ein, aber über 700.000 von ihnen auch wieder aus, weil sie nicht dauerhaft Fuß fassen. Es muss uns gelingen, sie nachhaltig zu integrieren und qualifikationsgerecht zu beschäftigen, damit sie bleiben. Zudem müssen wir alle Jugendliche nach dem Schulabschluss in Arbeit bringen und auch die Erwerbstätigkeit von Frauen weiter stärken. Aber selbst damit werden wir die Fachkräftelücke nicht vollständig schließen können.
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Also müssen wir alle länger und mehr arbeiten? Dabei geht der Trend doch in die andere Richtung: Viele wünschen sich eine 4-Tage-Woche.
Ja, das ist ein Dilemma. Es geht nicht nur darum, was wir uns als Individuum leisten können und wollen, sondern auch als Gesellschaft. Unser Sozialstaat ist im internationalen Vergleich auf einem Topniveau, aber die Sozialabgaben müssen auch bezahlt werden. Das geschieht vornehmlich durch Arbeit. Die Frage ist also: Wieviel Arbeitsvolumen müssen wir realisieren, um unseren Wohlstand zu sichern? Hier muss die Politik Weichen stellen. Ich glaube, dass die Lebensarbeitszeit flexibler wird. Dass also Menschen in der Früh- und Spätphase mehr arbeiten können, weil sie in der Mitte ihres Arbeitslebens vielleicht andere Schwerpunkte haben. Welches Modell wir da als Gesellschaft fahren werden ist spannend und noch nicht zu Ende diskutiert. Noch ein Punkt ist aber wichtig: Parallel zum Fachkräftemangel nimmt auch die Digitalisierung und Automatisierung zu, weil Betriebe mit Personalnot prüfen, für welche Aufgaben sie wirklich Menschen brauchen. Das kann uns auch helfen, die Fachkräftelücke zu schließen.