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Portraitfoto der beiden Klimaaktivisten Henning Jeschke und Lina Eichler
  • Die beiden Klimaaktivisten Henning Jeschke (l.) und Lina Eichler
  • Foto: Stefan Sauer/dpa

„Wissen ja, dass es nervt“: Was treibt die „Letzte Generation“ an?

Seit rund einem Jahr macht die „Letzte Generation“ durch Straßenblockaden, Klebeaktionen und Farbeimer in Museen werfen auf sich aufmerksam. Einer der führenden Köpfe kommt aus Mecklenburg-Vorpommern. Was bewegt die vielfach kritisierten Klimaaktivisten?

An einem grauen, nasskalten Wintertag gehen Lina Eichler und Henning Jeschke aus der Greifswalder Altstadt hinab zum Fluss Ryck. Die viel befahrene Straße hier habe er schon 2021 blockiert – ganz allein, sagt Jeschke und klingt leicht ironisch. Mittlerweile ist die von Eichler und ihm mitgegründete Klimabewegung „Letzte Generation“ bundesweit bekannt, erhitzt Gemüter und ruft Strafverfolgungsbehörden auf den Plan. Das hat Methode.

Eichler: „Ich wurde auch schon einmal auf der Straße ins Gesicht geschlagen“

Die ersten Straßenblockaden der Gruppe fanden vor rund einem Jahr am 24. Januar 2022 in Berlin statt. „Wir wissen ja, dass es nervt, dass Leute wegen uns im Stau stehen müssen“, sagt Eichler. „Ich wurde auch schon einmal auf der Straße ins Gesicht geschlagen.“ Niemand möge die Menschen, die Alarm schlagen. „Wir müssen unterbrechen, weil so die Gesellschaft darüber diskutiert“, ist die 20-Jährige überzeugt. Die Aktivisten sind sich sicher, dass nur noch wenige Jahre bleiben, um die Erwärmung der Erde so weit abzubremsen, dass bestimmte Kipppunkte mit katastrophalen Folgen nicht überschritten werden.

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Entstanden ist die Bewegung aus einer noch drastischeren Aktion. Vor der Bundestagswahl 2021, traten sieben junge Frauen und Männer vor dem Berliner Reichstagsgebäude in den Hungerstreik. Eichler und Jeschke lernten sich bei der Aktion kennen. Der heute 23-Jährige trieb den Hungerstreik auf die Spitze. 27 Tage ohne Essen. Am Ende verweigerten er und eine Mitstreiterin auch noch das Trinken.

„Das belastet natürlich extrem die ganze Umgebung meines Sohnes“, erinnert sich sein Vater. Er sei vor Ort gewesen, um mentalen Beistand zu leisten. „Ich habe ihn als meinen Sohn unterstützt, und nicht als Klimaaktivisten.“ Es sei nicht an ihm, über dessen Entscheidungen zu urteilen. „Ich kann einfach nur damit leben.“ Als Fotograf habe er die Aktion auch dokumentiert.

„Der Rechtsbruch ist symbolisch einkalkuliert“

Sein Sohn beruft sich auf den zivilen Widerstand der Bürgerrechtsbewegung in den USA oder die indische Unabhängigkeitsbewegung. „Gewaltfreie Provokationen im Sinne von Aufregern und Empörung – ja.“ Menschen dürften aber nicht verletzt werden. „Wenn mich jemand schlägt oder so, dann muss ich auch die Fassung bewahren.“ Das werde trainiert.

Nach Einschätzung des Protestforschers Jannis Grimm von der Freien Universität Berlin trifft der Vergleich etwa mit der US-Bürgerrechtsbewegung zu, was die Wahl der Mittel angeht. „Der Rechtsbruch ist symbolisch einkalkuliert“, sagt der Experte. „Es geht nicht primär darum, dass man genau die Leute trifft, die verantwortlich sind.“ Vielmehr würden Szenen geschaffen, die die Klimadebatten befeuerten. Zumindest hielten sie trotz Kriegs in der Ukraine, Energiekrise und Inflation die Klimakrise in den Medien. „Das ist natürlich ein wahnsinniger Erfolg.“

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Doch auch an Kritik mangelt es nicht. Im Verfahren gegen eine Aktivistin verwies eine Richterin auf ein „ganz erhebliches Gefährdungspotenzial“ durch die Blockaden, weil Rettungswagen behindert werden könnten. In einer Civey-Umfrage vom November sagten 86 Prozent der Befragten, die „Letzte Generation“ schade mit ihrem Vorgehen dem Anliegen des Klimaschutzes.

Vergleiche mit der RAF seien „Nonsens“

„Die Radikalisierung von Teilen der Klimabewegung ist hochgradig besorgniserregend“, sagte FDP-Generalsekretär Bijan Djir-Sarai im November. CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt warnte sogar vor der Entstehung einer „Klima-RAF“ in Anlehnung an die Terrorgruppe Rote Armee Fraktion, der mehr als 30 Morde zur Last gelegt werden. Verfassungsschutzpräsident Thomas Haldenwang qualifizierte den Vergleich als „Nonsens“.

Längst stehen die Aktivistinnen und Aktivisten zudem im Fokus der Sicherheitsbehörden. Jeschkes elterliche Wohnung in Greifswald, in der Eichler und er gemeldet sind, wurde Ende des Jahres zweimal binnen eines Monats durchsucht. Bei der zweiten Razzia ging es um Aktionen gegen die Ölraffinerie im brandenburgischen Schwedt und den Vorwurf, eine kriminelle Vereinigung gebildet zu haben. Jeschkes Vater hat wegen der Durchsuchungen Rechtsanwälte hinzugezogen. „Was mich natürlich dabei aufregt, ist die Tatsache, dass es sich nicht nur um die Lebensräume meines Sohnes handelt, sondern auch um meine“, kritisiert er. „Ich bin kein Aktivist“, betont er aber. Der Polizei sei bekannt, dass er als Fotograf die Aktionen dokumentiert habe. Er habe auch seinen Presseausweis vorgezeigt. Trotzdem sei etwa seine Festplatte gespiegelt worden.

Gegen Eichler laufen ihrer Aussage nach mehr als 30 Verfahren. Bei Jeschke seien es etwa zwei Dutzend – einige davon eingestellt. Beide saßen schon häufig in Polizeizellen. Katastrophen und Hungersnöte – vor dieser Zukunft habe sie Angst, sagt Eichler, die für den Aktivismus ihr Abitur abgebrochen hat. „Nicht die Zukunft, die ich eventuell im Gefängnis verschuldet oder sonst wo verbringen werde.“

Staat „reagiere über“ aus Sicht der Aktivisten

Dass der Staat in der Auseinandersetzung mit der „Letzten Generation“ aus ihrer Sicht überreagiert, ist dabei einkalkuliert. Das bringe der Bewegung Sympathien ein und verleihe der Thematik Brisanz, sagt Jeschke. Und wie soll es nach seiner Vorstellungen weitergehen? Ein erster Schritt wäre aus seiner Sicht, wenn die Regierung Forderungen nach Tempolimits und einem dauerhaften 9-Euro-Ticket nachkommen würde. Dann würde man die Blockaden stoppen. „Wenn nicht mal das kommt, dann ist offensichtlich, dass die Regierung nicht auf dem Fuß der Verfassung steht.“ Weiter schwebt ihm die Einsetzung eines Bürgerrates vor, von dem er sich stärkeren Klimaschutz verspricht.

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Nach Grimms Einschätzung stimmten viele Menschen zwar nicht den Methoden, aber dennoch den Zielen zu. Zudem seien derartige Bewegungen selten von Anfang an von der Mehrheit der Bevölkerung getragen worden. „Es braucht im Prinzip einen harten Kern.“ Die Bedeutung solcher Bewegungen könne man häufig erst mit Jahren bis Jahrzehnten Abstand beurteilen.

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