Realsatire aus Niedersachsen: Wirbel um das Hakenkreuz-Haus von Bremervörde
Hönau-Lindorf – schon mal gehört? Nein? Ist ja auch ein verschlafenes Nest im nördlichen Niedersachsen. Der Bekanntheitsgrad des Örtchens, das etwa 90 Kilometer von Hamburg entfernt ist und zur Stadt Bremervörde gehört, könnte jetzt schlagartig steigen. Denn ausgerechnet dieser Ort, in dem eigentlich nie was los ist, macht aktuell mit einer Provinzposse von sich reden. Worum es geht? Um nicht weniger als ein Hakenkreuz.
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Hönau-Lindorf – schon mal gehört? Nein? Ist ja auch ein verschlafenes Nest im nördlichen Niedersachsen. Der Bekanntheitsgrad des Örtchens, das etwa 90 Kilometer von Hamburg entfernt ist und zur Stadt Bremervörde gehört, könnte schlagartig steigen. Denn ausgerechnet dieses kleine Dorf macht derzeit durch eine Provinzposse von sich reden. Worum es geht? Um nicht weniger als ein Hakenkreuz.
Und zwar um eins, das nicht gerade so angebracht ist, dass Passanten es übersehen könnten. Schließlich befindet es sich an einem der höchsten Gebäude des Ortes: dem schätzungsweise zehn bis zwölf Meter hohen Turm der ehemaligen Feuerwache direkt an der Hauptstraße. Und fast so groß wie ein Scheunentor ist es auch noch.
In zehn Metern Höhe, groß wie ein Scheunentor
Woher kommt das Ding? Vor allem: Wieso hat niemand was dagegen unternommen? Ein Hakenkreuz ist schließlich ein verbotenes Symbol. Bekommt nun der Hausbesitzer Ärger mit der Staatsanwaltschaft? Viele offene Fragen.
Die MOPO geht der Sache nach und erfährt, dass das Nazi-Zeichen schon 1936 beim Bau des Feuerwehrgerätehauses auf das Dach gemalt wurde. Welcher Gesinnung die Herren Brandmeister damals waren, dürfte also klar sein. Als dann die britischen Besatzungstruppen 1945 Hönau-Lindorf erreichten, störten sie sich so sehr daran, dass sie das Hakenkreuz überpinseln ließen. Damit war das Thema erledigt. Erstmal.
Wann dann die Farbe angefangen hat, abzuplatzen, dazu gibt es im 500-Seelen-Dorf unterschiedliche Meinungen. Ein Einwohner, der namentlich nicht genannt werden will, sagt, das Zeichen sei bereits seit 20 Jahren wieder sichtbar – darüber hätten sich schon damals seine Kinder lustig gemacht. Aber keiner habe sich interessiert.
Widerspruch kommt von Ortsbürgermeisterin Bianka Grieschow-Pülsch (CDU). Sie ist der Meinung, dass das Hakenkreuz erst kürzlich wieder zum Vorschein gekommen sei. Die Farbe habe sich wohl witterungsbedingt aufgelöst, glaubt sie. Aber wirklich aufgefallen sei das Hakenkreuz kaum jemandem, ist sie überzeugt. Es sei ja schließlich in einer solchen Höhe angebracht, „da müssen Sie schon als Hans-Guck-in-die-Luft durch den Ort gehen, um es zu sehen.“
Bürgermeisterin fragt: „Haben Sie eine Ahnung, was es kostet, das Dach neu zu decken?“
Beschwerden hat es trotzdem gegeben. Grieschow-Pülsch bestätigt, dass sie im vergangenen Jahr einen Anruf von der Kripo bekommen habe. Dort habe sich ein Passant gemeldet und sich über das Hakenkreuz beschwert. Was daraufhin geschehen sei? Erstmal nichts. Schließlich sei sowas ja auch eine Frage der Finanzen, so die Ortsbürgermeisterin. „Haben Sie eine Vorstellung, was es kostet, das ganze Dach neu zu decken?“
Die ehemalige Feuerwache ist übrigens nicht mehr im Besitz der Kommune, sondern gehört einem örtlichen Verein, der den lustigen Namen „Club der Urgemütlichkeit“ trägt. Wir fragen beim Vereinsvorsitzenden Patrick Mahlandt nach, warum nicht einfach jemand aufs Dach geklettert sei und das Hakenkreuz neu übermalt habe. Seine Antwort: Das Dach sei 90 Jahre alt und baufällig, deshalb komme eine solche Retuschierung nicht in Frage.
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Wir hören uns weiter um in der Gegend: Was sagt beispielsweise Michael Hannebacher (parteilos) zu dem Hakenkreuz? Er ist Bürgermeister der Stadt Bremervörde, zu der Hönau-Lindorf gehört – und mächtig erstaunt. Er schwört, er habe das Hakenkreuz noch nie bemerkt, obwohl er täglich auf dem Weg von seiner Wohnung zum Rathaus an der alten Feuerwache vorbeifahre. Und die Pressesprecherin des Landkreises Rotenburg (Wümme) schreibt uns, der Landrat Marco Prietz (CDU) – der übrigens aus Hönau-Lindorf stammt – sei nicht zuständig. Im Übrigen liege hier auch kein strafbarer Vorgang vor, da das Hakenkreuz noch aus der Nazi-Zeit stamme.
Eigentümer des Hakenkreuz-Hauses ist der „Club der Urgemütlichkeit“
Was heißt das nun? Bleibt also alles beim Alten? Nein. Inzwischen sind Fördermittel beim Land Niedersachsen beantragt, und zwar im Rahmen der „sozialen Dorfentwicklung“. Sobald der Antrag durch sei, so verspricht Hönau-Lindorfs Orts-Bürgermeisterin Grieschow-Pülsch (CDU), sei auch das Geld da, das Dach der Feuerwache neu zu decken.
Eine gute Nachricht. Oder doch nicht? Denn wann genau die Dachdecker anrücken, um das Nazi-Symbol zu beseitigen, das weiß die Dorfbürgermeisterin nicht. „Das braucht seine Zeit“, glaubt sie.
So der Stand bis Mittwochnachmittag. Doch dann kommt die Bürgermeisterin auf eine Idee: Sie will den Ruf des Ortes retten, organisiert ein Baufahrfahrzeug mit Teleskoparm, mobilisiert Helfer, besorgt Pinsel und einen Eimer Farbe – und tut das, was angeblich wegen Baufälligkeit nicht möglich ist: Sie übermalt das Hakenkreuz kurzerhand. Anschließend ruft sie bei der MOPO an und erzählt von ihrem Coup. „Jetzt ist nichts mehr zu sehen“, verspricht sie. „Problem gelöst!“
Dorfbürgermeisterin greift kurzerhand selbst zu Farbe und Pinsel
Wirklich? Unsere Reporter schauen nach – und sind einigermaßen zufrieden. „Mission accomplished“, so könnte man sagen. Mission erfüllt. Bianka Grieschow-Pülsch‘ Aktion hat dazu geführt, dass das Nazi-Symbol nun nur noch schemenhaft erkennbar ist. Wer es nicht weiß, wird es kaum noch bemerken. Mit einer Ausnahme: im Abendlicht, wenn die Sonne direkt darauf fällt! Aus einem bestimmten Winkel betrachtet, strahlt das Hakenkreuz dann regelrecht – und ist so gut zu sehen wie anno 1936.
Trotzdem großes Lob dafür, dass die Bürgermeisterin so spontan und beherzt gehandelt hat. Eine brauchbare Zwischenlösung ist es allemal. Und wenn Hannover demnächst die nötigen Mittel überweist, wird das hässliche Symbol endgültig da landen, wo es eigentlich schon seit 90 Jahren hingehört: auf dem Müllhaufen der Geschichte. Wetten, dass das jetzt schneller geht, als Bianka Grieschow-Pülsch glaubt?
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Eins möchte die Dorf-Bürgermeisterin zum Schluss noch loswerden: Dass Hönau-Lindorf ein Dorf sei „mit offener und herzlicher Willkommenskultur. Hier wird ein Für- und Miteinander gelebt. Und darum ist es mir ein ganz wichtiges Anliegen, unser Dorf vor schlechtem Nachruf zu bewahren.“ Deshalb die spontane Übermalaktion: „Ich wollte verhindern, dass sich Rechtsextremisten auf den Weg machen, um sich hier gegebenfalls noch mit einem Selfie in die sozialen Medien zu bringen.“