• Der Inselvogt Enno Janßen lebt von März bis November auf Memmert.
  • Foto: Leo G. Linder/Droemer Knaur Verl

„Wie Quarantäne“: Er lebt seit 18 Jahren alleine auf einer Nordsee-Insel

Memmert –

Die verbotene Insel Memmert bietet bis zu 160 verschiedenen Arten von Brut- und Rastvögeln ein Zuhause – aber nur einem Menschen. Enno Janßen wacht als Inselvogt allein über das kleine Eiland zwischen Juist und Borkum, das gerade mal so groß ist wie 700 Fußballfelder.

Nun hat der Ostfriese ein Buch über sein Leben mitten im Wattenmeer geschrieben. Im Interview erzählt er vom Reiz der Vogelinsel, ungebetenen Gästen und warum er nur noch selten Fernsehnachrichten guckt.

Enno Janßen (60) stammt aus dem ostfriesischen Berumerfehn im Landkreis Aurich. In seiner Ausbildung beim Küstenschutz kam er früh mit den Ostfriesischen Inseln in Berührung. Seit April 2003 ist er Inselvogt auf Memmert. 

Inselvogt Memmert (2)

Enno Janßen ist seit 18 Jahren Inselvogt auf der Nordsee-Insel Memmert

Foto:

Leo G. Linder/Droemer Knaur Verl

Herr Janßen, Sie sind seit 18 Jahren der Inselvogt auf Memmert. Was fasziniert Sie so sehr an dieser Insel?

Enno Janßen: Die Natur hat hier das Sagen. Wind und Wetter sind die maßgeblichen Vorgesetzten auf der Insel – und die bestimmen auch die Arbeit, die ich mache. Dazu kommt: Alles ist naturbelassen. Es gibt nichts, was das Auge beleidigt. Es gibt keine Autos, alles muss zu Fuß geschehen. Man kann hier die Freiheit genießen. Wobei mir von Anfang an klar war, Freiheit bedeutet nicht Freizeit.

Sie leben von März bis November auf Memmert und kommen also gerade aus dem Corona-Lockdown zurück auf die Insel. Wie fühlt sich das an?

Auf Memmert ist die Welt noch in Ordnung, wenn man so will. Ich bin quasi von Berufswegen hier in Quarantäne (lacht). Memmert ist eine Oase für mich. Es laufen hier keine Leute mit Masken rum, man wird überhaupt nicht daran erinnert, dass es Corona gibt. Es sei denn, man schaut Fernsehnachrichten. Aber das mache ich seit Längerem eh nur noch einmal im Monat, weil ich es einfach nicht mehr ertragen kann.

Corona: Welt auf dem Festland genauso eingeschränkt wie auf der Insel

Wenn ich sonst zurück auf das Festland gekommen bin, war da die Welt. Da standen alle Möglichkeiten offen. Nun ist die Welt auf dem Festland im Grunde genauso eingeschränkt wie auf Memmert.

Sie kommen also gut mit Einsamkeit zurecht?

Ich kann mich gut selbst beschäftigen. Das konnte ich auch in meiner Kindheit schon gut. Reizvoll ist schon die Anreise nach Memmert. Ich reise allein mit einem kleinen, offenen Boot, fünf Meter Länge, gut motorisiert. Aber auch da bestimmen Wind, Wetter und Gezeiten die Überfahrt. Beispielsweise wollte ich Anfang April zur Insel übersetzen – da war bei sieben bis acht Windstärken und extremen Graupelschauern gar keine Möglichkeit. Dann ist auch noch meine Lenzpumpe im Boot verreckt. Das war doppelt schlimm.

Wie haben Sie es dann gelöst?

Ich bin dann einfach einen Tag später gefahren. Das war auch ruppig und bei zwei Grad nicht gerade angenehm. Aber ich mag diese Herausforderungen. Es ist nie langweilig, es gibt keine Routinen. Memmert bietet jedes Mal ein neues Abenteuer und das liebe ich halt.

Inselvogt Memmert (4)

Auf Memmert kartiert Enno Janßen die Vogelarten.

Foto:

Leo G. Linder/Droemer Knaur Verl

Vermissen Sie denn nicht auch mal etwas so ganz allein da draußen? Vielleicht eine Pizza vom Lieferdienst oder Freunde zu sehen?

Ja, na klar. Aber im Schnitt bin ich alle 14 Tage mal an Land, auch um einzukaufen, die Familie zu besuchen und gute Freunde zu sehen. Meine Freunde wissen ja, was ich mache. Daher sind sie nicht böse, dass ich nicht allzu häufig zu Besuch komme.

Inselwart ist alle zwei Wochen auf dem Festland

Bevor ich nach Memmert gekommen bin, bin ich auch viel gereist und habe viel von der Welt gesehen. Wenn ich jetzt an einen Nachfolger denke, würde ich daher auch empfehlen, vorher ordentlich gelebt zu haben. Das Gefühl, etwas im Leben zu verpassen – das muss man hinter sich haben.

In dem Buch, das Sie nun geschrieben haben, erzählen Sie von einem einzigartigen Schauspiel, das die Vögel auf Memmert bieten. Welches meinen Sie?

Natürlich gibt es auch auf anderen Inseln große Vogelscharen und Brutgebiete. Doch Memmert liegt im nördlichen Emstrichter und hat im Osten große Mischwattgebiete. Und das Mischwatt ist gerade für die Rastvögel, die teilweise von 12.000 Kilometer weit herkommen, sehr attraktiv.

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Das Wattenmeer ist wie ein „Tischlein-deck-dich“: Gerade das Mischwatt beherbergt besonders viele Lebewesen im Boden, die als Nahrungsquelle für die Rastvögel dienen. Bei Hochwasser kommen die Rastvögel an den Küstensaum auf die Insel – das können bis 150.000 Exemplare sein und das ist natürlich ein riesen Schauspiel.

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Inselvogt Enno Janßen auf seinem kleinen Boot.

Foto:

Leo G. Linder/Droemer Knaur Verl

Nun geht die Brutzeit los. Wie sieht ein Arbeitstag bei Ihnen aus?

Vor allem die Eiderenten und Gänse sind schon fleißig dabei, Nester zu bauen. Daher fange ich nun mit der Brutvogelerfassung an. Dann nehme ich eine Karte und durchstreife ein Teilgebiet in 50 bis 100 Meter parallelen Abständen. Wenn ich durch das Gelände streife, fliegen die Brutvögel auf, warnen oder singen, und zeigen so, dass sie dort ein Revier haben. So lassen sie sich einfach erfassen.

Könnte man Memmert mit den Vögeln nicht auch einfach sich selbst überlassen? Warum braucht es einen Inselvogt?

Früher gab es kaum Yachthäfen an der Küste. Heute hat jeder Sielort und jede Insel einen. Es gibt daher unheimlich viel Freizeitaktivität auf dem Wasser. Und wenn die Leute nun wüssten, auf Memmert ist niemand, dann wäre das ein Eldorado für die Sportbootfahrer. Die Vögel wären völlig ungeschützt. Daher muss es einen Aufpasser geben.

Vögel müssen vor Wassersportlern geschützt werden

Die Kartierung der Vogelarten, nicht nur auf Memmert, ist natürlich auch ganz wichtig, um einen Überblick im ganzen Wattenmeer zu bekommen. Nur so hat die Wissenschaft Daten in der Hand, um zum Beispiel Änderungen von Umwelteinflüssen zu erfassen.

Kommen denn auch mal ungebetene Gäste bei Ihnen auf der Insel vorbei?

Das ist von Jahr zu Jahr unterschiedlich. Also zum Haus ist bislang noch niemand gekommen. Das traut sich keiner, denn das steht auch in jeder Seekarte, dass ein Betreten verboten ist. Manchmal lassen sich welche mit ihren Booten trocken fallen. Es kamen zum Beispiel einmal Holländer, die sind auf die Idee gekommen, ihr Boot zu streichen. Sowas konnte ich natürlich überhaupt nicht dulden.“ (mp/dpa)

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