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  • Strandkörbe am Strand von Westerland: Die Insel Sylt sucht nach einem Weg, um als Urlaubsdestination und Heimatort attraktiv zu sein.
  • Foto: Carsten Rehder/dpa

Sylter genervt von Touris: Fast alle Einwohner finden: „Die Insel ist zu voll“

Sylt –

Das vergangene Jahr war auch auf Sylt ein besonderes. Corona wirkte hier wie ein Brennglas, das schwelenden Probleme an die Oberfläche bringt. Ein Thema, das die Insulaner bewegt, sind die unzähligen Touristen und die wachsende Bebauung. Kritiker fürchten, dass noch mehr Flächen der Insel versiegelt werden.

Derzeit ist es auf Sylt noch ruhiger als sonst im Januar. Nach dem Beherbergungsverbot im Frühjahr 2020 und dem Gästeansturm danach im Sommer musste der Betrieb in den Wochen um den Jahreswechsel erneut heruntergefahren werden. Bis spätestens zum 5. November mussten alle Gäste, die kein Eigentum auf Sylt haben, abreisen. Erst frühestens ab Mitte Februar könnten Urlaube auf Sylt nach derzeitigem Stand wieder möglich sein. Doch ruhig ist es nur, was die Touristenmassen angeht, nicht was die Stimmung auf der Insel betrifft.

Sylt durch Corona plötzlich mehr Heimatinsel als Touristenziel

Die Zeit des ersten Lockdowns im Frühjahr 2020 hat trotz der wirtschaftlich schwierigen Situation vielen Syltern die Schönheiten ihrer Insel wieder ins Bewusstsein gerufen. Sylt war auf einmal nur Heimatinsel und nicht die beliebte Urlaubsdestination. Das Hochfahren des Tourismus von Null auf Hundert danach hat bei vielen Syltern ein Gefühl an die Oberfläche gebracht, das schon lange im Inneren gärte. Es ist zu viel: zu viele Hotels, zu viele Autos, zu viel Fremdbestimmtheit.

Goldschmiedin Birte Wieda aus Keitum

Goldschmiedin Birte Wieda aus Keitum rief die Sylter Bürgerinitiative „Merret reicht’s“ ins Leben.

Foto:

Daniel Reinhardt/dpa

Corona hat als eine Art Brennglas fungiert. Die Keitumerin Birte Wieda beobachtet seit langem die Entwicklung, die ihr nicht gefällt. Und sie ist damit nicht alleine. Gemeinsam mit Mitstreitern hat sie im vergangenen Jahr das Bürgernetzwerk „Merret reicht’s“ gegründet. Sie wollen sich für eine Insel einsetzen, die auch für ihre Bewohner lebenswert ist. Ein besonderer Dorn im Auge sind ihr Menschen, die Sylt nur als Wirtschafts- und nicht als Lebensraum betrachteten.

Befragung zeigte: Mehrheit findet Insel zu voll

Einer Insulanerbefragung von Sylt Marketing GmbH zufolge empfanden 65 Prozent der Befragten unter dem Eindruck des ersten Lockdowns und der anschließenden Saison das Tourismusaufkommen als zu hoch. 99 Prozent der Befragten finden die Straßen der Insel zu voll, davon 22 Prozent ganzjährig und 77 Prozent in der Saison. Und die klare Mehrheit der Befragten geht von einem deutlichen Zuwachs der jährlichen Übernachtungen aus. Die tatsächliche Steigerung des Übernachtungsaufkommens in den vergangenen zehn Jahren lag indes bei 2,9 Prozent.

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Wieda und ihre Mitstreiter kritisieren, dass belastbare Zahlen in mehreren Bereichen fehlen: „Sylt hat keine Zahlen zur tatsächlichen Kapazität von Dauerwohnraum, Zweitwohnungen und Ferienwohnungszuwachs oder -verlust.“ Nicht in den Einzelgemeinden und schon gar nicht für die ganze Insel.

Die Goldschmiedin Wieda und viele andere Sylter, so wird auch in der Befragung der Einheimischen und Interviews mit Entscheidern deutlich, wollen mehr gesamtinsulares Denken. Jede der fünf Gemeinden schaue nur auf sich und ihr Wohl, findet Wieda. Immer wenn es um Insulares geht, gebe es Streit, Gezeter und Verzögerung. 

Stimmung zwischen Sylt und anderen Inselorten angespannt

Außenstehende mag das verwundern. Denn die meisten Nicht-Insulaner nehmen die Insel als eine Einheit wahr. Aber das ist Sylt nicht. Auf der Insel gibt es fünf Gemeinden – mit durchaus unterschiedlichen Zielen und Interessen. Die größte ist die Gemeinde Sylt mit den Ortsteilen Westerland, Archsum, Keitum, Morsum, Munkmarsch, Rantum und Tinnum. Daneben gibt es noch die Gemeinden List, Kampen, Wenningstedt-Braderup und Hörnum.

Die Baustelle des „Dünenparks“ in List.

Die Baustelle des „Dünenparks“ in List. Kritiker fürchten, dass immer mehr Flächen auf der Insel versiegelt werden. 

Foto:

Axel Heimken/dpa

Die Stimmung zwischen der Gemeinde Sylt und den anderen Inselorten hat sich in den vergangenen Monaten eher angespannt als verbessert. Das zeigt auch der Streit um den „raumordnerischen Vertrag“, kurz ROV. Dieser wurde Mitte Dezember zwischen den Amtsgemeinden und dem Land Schleswig-Holstein geschlossen. Die Gemeinde Sylt hingegen will sich dem nicht anschließen.

„Raumordnerischer Vertrag“ sorgt für Ärger

Sie hatte nach der Vertragsunterzeichnung am Verwaltungsgericht in Schleswig Eilrechtsschutz begehrt. Der Eilantrag hatte das Ziel, die Durchführung des Vertrags vorläufig zu verhindern. Das Gericht lehnte ihn am Freitag jedoch ab (Az. 8 B 28/20). Der Gemeinde Sylt stehe ausreichender Rechtsschutz durch eine nachträgliche gerichtliche Kontrolle der Bebauungspläne zur Verfügung. Gegen den Beschluss kann Beschwerde beim Oberverwaltungsgericht eingelegt werden.

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Der ROV ermöglicht nach Angaben des Innenministeriums Ausnahmen vom Wohnbau-Entwicklungsrahmen des Landesentwicklungsplans. Das heißt: Die Gemeinden können neuen Dauerwohnraum schaffen, um den großen Bedarf jedenfalls teilweise zu decken. Eines der ersten Vorhaben, das damit realisiert werden kann, ist der Dünenpark in List.

Bau von Ferienhäusern für Touristen geplant

Hier sollen auf dem Gelände der ehemaligen Marineversorgungsschule 300 Einheiten bezahlbarer Dauerwohnraum entstehen. Zudem ist der Bau 90 gewerblicher Ferienhäuser unter Reet geplant, die an wechselnde Gäste vermietet werden sollen.

Dünenpark List auf Sylt

Auf dem Gelände der ehemaligen Marineversorgungsschule in List soll bezahlbarer Dauerwohnraum und ein Ferienhauspark mit 90 gewerblichen Ferienhäuser entstehen.

Foto:

Axel Heimken/dpa

Kritiker befürchten hingegen, dass durch den ROV nur noch mehr Flächen der Insel versiegelt und nun auch Außenbereiche von Ortschaften zu Bauland werden können. Das Wohnraumproblem hingegen könne dadurch nicht gelöst werden. Denn dass Wohnraum fehle, liege an der ständigen Umwandlung von Wohnungen in Ferienappartements, schreiben etwa die Sylter Grünen auf ihrer Homepage.

Rund 100 Einheiten pro Jahr gehen so verloren. Ergebnis: „Eine niemals endende Bauwut, die zunehmend die Insel versiegelt“. Doch trotz aller Herausforderungen und Probleme: 72 Prozent der von der Sylt Marketing befragten Insulaner bewerten ihren persönlichen Lebensraum Sylt positiv. „Ich finde, das ist ein Mutmacher“, sagte Sylt-Marketing-Geschäftsführer Moritz Luft bei der Vorstellung der ersten Befragungsergebnisse im Dezember.  

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