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Seehundjäger auf Tour: „Am schlimmsten ist ein todkrankes Tier“

St. Peter-Ording –

Junge Seehunde werden von Natur aus an Stränden und auf Sandbänken geboren und von ihren Müttern dort stundenlang allein gelassen. „Daher ist bei jedem Jungtier am Strand anzunehmen, dass die Mutter es wieder abholen wird“, sagt Christof Goetze von der Naturschutzgesellschaft „Schutzstation Wattenmeer“. Tut sie das nicht, wird der Seehundjäger alarmiert.

„Allein in St. Peter-Ording hatten wir im letzten Jahr etwa 200 Einsätze“, sagt Seehundjäger Toni Thurm, während er in seine schweren Gummistiefel steigt. Er wollte gerade Mittag essen, als die Polizei anrief. Spaziergänger hätten einen Seehund am Strand entdeckt.

„Ein Stück südlich der Strandbar ,54° Nord‘ am dritten Pfahl. Der liegt etwa 30 Meter vom Wasser entfernt. Das gucken wir uns jetzt mal an“, sagt der Experte, der in der Region als Seehundjäger Toni bekannt ist.

Seehundjäger an der Nordsee: Rettung für Tiere in Not

Eine möglichst genaue Ortsangabe ist in St. Peter-Ording wichtig, denn der Sandstrand ist beeindruckende zwölf Kilometer lang, so Thurm. Besonders vorbereiten muss er sich für den Einsatz nicht, denn der kleine Geländewagen ist speziell für diese Arbeit angeschafft und komplett ausgerüstet. „Wir haben Boxen an Bord, Desinfektionsmittel und Einmal-Handschuhe für den Eigenschutz, aber auch verschiedenste Karten, ein Fernglas und ein Spaten zum Freischaufeln, falls man sich mit dem Auto festsetzt.“

Ein kranker Seehund am Strand von St. Peter-Ording. Wird der Kleine es schaffen?

Ein kranker Seehund am Strand von St. Peter-Ording. Wird der Kleine es schaffen?

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Das passiert auch einem Ortskundigen immer wieder einmal. „Denn der Strand verändert sich ständig“, erklärt Thurm.

Dabei lenkt er den Wagen im Schritttempo an meterhohen Dünen-Abbruchkanten vorbei. Sie zeugen von der Gewalt der Stürme. Er umkurvt zudem tiefe Gräben, die die ablaufenden Fluten hinterlassen haben. „Der weiche Boden gibt auch einmal nach. Und natürlich Schlickfelder. Da haben wir auch keine Chance.“

Seehundjäger Toni: Auf der Suche nach der verletzten Robbe

Ein Spaziergänger hält Seehundjäger Toni an. „Moin, haben sie etwas hier mit dem Küstenschutz zu tun?“, fragt er. „Da hinten liegt ein Seehund.“ Er habe nicht gewusst, an wen er sich wenden sollte.

Thurm kennt die Antwort: „Rufen Sie die Polizei an, die 110, die geben das dann an uns Seehundjäger weiter“, sagt er, bevor er weiter zu dem Tier fährt.

Seehundjäger Toni hat das kranke Tier gefunden und bereitet die Transportbox vor.

Seehundjäger Toni hat das kranke Tier gefunden und bereitet die Transportbox vor.

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Es ist ein junger Seehund, noch kein Jahr alt. Er muss dort schon länger liegen, denn der Wind hatte Zeit, einen kleinen Sandwall neben ihm anzuhäufen, erklärt Thurm leise. „Der Kopf rötlich-bräunlich, die Flossen hinten schon etwas angeschwollen.“

Seehundjäger Toni schüttelt den Kopf. Das sind keine guten Zeichen. Die Augen des kleinen Seehunds sind mit Sand verklebt, er rührt sich kaum, macht keinen Fluchtversuch. Erst als Thurm ihn an den Schwanzflossen greift, um ihn in eine Transportkiste zu heben, zeigt er eine müde Reaktion, windet sich ein bisschen. Doch schon klappt der Deckel über ihm zu.

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Herbst und Winter sind die schlimmsten Jahreszeiten

„Am schlimmsten ist ein todkrankes Tier, das man nur noch erlösen kann, um ihm die Qualen zu ersparen“, sagt der Seehundjäger. Denn natürlich versuche man, jedes Tier zu retten. „Das ist aber einfach nicht möglich. Es sind Wildtiere. Oft haben die einfach keinen Bock drauf, sich untersuchen oder behandeln zu lassen.“

Behutsam trägt der Seehundjäger das Tier in die Transportbox.

Behutsam trägt der Seehundjäger das Tier in die Transportbox.

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„Zurzeit findet man kranke und erschöpfte Seehunde an den seltsamsten Stellen“, weiß Thurm. „Ein ganz normaler Vorgang“, sagt Armin Jeß von der Nationalparkverwaltung in Tönning. Herbst und Winter seien für eine junge Robbe grundsätzlich eine schwierige Zeit.

Robben in St. Peter-Ording oft an Parasiten erkrankt 

„Es ist die Zeit der natürlichen Selektion. Wenn dann noch ein Sturm dazu kommt, ist es für sie eine starke körperliche Herausforderung“, so Jeß.

So hätten Jungtiere im ersten Lebensjahr vermehrt mit Parasiten wie Lungen- oder Herzwürmern zu kämpfen. „Es sind keine gesunden Tiere.“

Andere seien zu schwach in den Herbst gekommen oder noch nicht gut genug in der Nahrungssuche. „Gerade die Stürme sind das wesentliche Element der natürlichen Selektion bei den Seehunden“, sagt Jeß. „Viele dieser geschwächten Tiere am Strand sterben nach ein oder zwei Tagen.“ Seehundjäger würden bei Bedarf das Leiden der Tiere verkürzen.

Seehundjäger Toni: Weiter geht es zur nächsten Robbe in Not.

Seehundjäger Toni: Weiter geht es zur nächsten Robbe in Not.

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Letzte Chance: Die Seehundstation in Friedrichskoog

Wenn möglich, bekommen die Robben in Schleswig-Holstein jedoch eine zweite Chance. Dafür bringt Thurm sie in die Seehundstation nach Friedrichskoog. Dort versuchen Biologen, Tierärzte, Tierpfleger und freiwillige Helfer die kranken Robben aufzupäppeln.

„Wir haben in diesem Jahr bereits fünf junge Seehunde aufgenommen“, sagt Ulrike Meinfelder von der Seehundstation Friedrichskoog. 2019 seien es zusätzlich zu den Heulern insgesamt 32 Jungtiere gewesen. „27 konnten wir auswildern, fünf starben.“

Auch für den kleinen Seehund südlich der Strandbar ,54° Nord‘ konnte Seehundjäger Toni am Ende nicht mehr viel tun: Wenig später war das junge Tier tot.

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