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Akw Brokdorf
  • Brokdorf: Das Kernkraftwerk Brokdorf mit seiner markanten Kuppel ist hinter dem Deich an der Elbe zu sehen.
  • Foto: Christian Charisius/dpa

Nach jahrelangen Protesten: Das Akw Brokdorf wird stillgelegt

Massenproteste, Weltrekorde der Stromproduktion und Mahnwachen bis kurz vor der Abschaltung. Ende des Jahres geht das Akw Brokdorf endgültig vom Netz – als letzte der drei Anlagen in Schleswig-Holstein und mit einem Rekord.

Ein weit sichtbares Zeichen des Protests stand jahrelang daneben. Rund 20 Jahre lang drehte sich ein einzelnes Windrad wenige hundert Meter entfernt vom Atomkraftwerk Brokdorf an der Elbe. Es gehörte Karsten Hinrichsen. „Das war das Symbol gegen die Kiste“, sagt der Atomkraftgegner. Mit seiner Frau hatte er sich 500.000 Mark (gut 255.000 Euro) von der Bank geliehen und 1993 das 50 Meter hohe Windrad aufstellen lassen. Noch heute wohnt der heute 78-Jährige in Sichtweite des Atommeilers hinterm Elbdeich nordwestlich von Hamburg.

Schleswig-Holstein: Akw Brokdorf wird stillgelegt

Für das Atomkraftwerk ist dagegen absehbar Schluss. Ende des Jahres muss Brokdorf endgültig vom Netz – nach dann knapp 35 Jahren Betriebszeit und voraussichtlich mit einem Rekord bei der Jahresproduktion in Höhe von 11,5 Milliarden Kilowattstunden (kWh). Der Druckwasserreaktor mit einer Netto-Leistung von 1410 Megawatt liefert seit 1986 Strom, produzierte in den vergangenen Jahrzehnten mehr als 350 Milliarden kWh und war zweimal „Weltmeister in der erzeugten Jahresstrommenge aller rund 450 Kernkraftwerksblöcke“, wie es in einer Broschüre von Betreiber PreussenElektra stolz heißt.

Karsten Hinrichsen steht auf einem Deich vor dem Reaktorgebäude des Kernkraftwerks Brokdorf. Georg Wendt/dpa
Karsten Hinrichsen
Karsten Hinrichsen steht auf einem Deich vor dem Reaktorgebäude des Kernkraftwerks Brokdorf.

Karsten Hinrichsen hat oft gegen den geplanten Bau des Meilers protestiert. Er war auch dabei, als Ende Februar 1981 bis zu 100.000 Menschen in der Wilstermarsch demonstrierten. Ein Jahr später zog er mit seiner Frau nach Brokdorf. Der Meteorologe aus Hamburg merkte aber schnell, dass es in dem kleinen Ort kaum Widerstand gegen den Bau des Reaktors gab. „Ich wollte diskutieren und die Leute überzeugen, dass man auch ohne Akw nachts nicht im Dunkeln sitzt.“ Warm wurde er mit vielen in Brokdorf bis heute nicht.

Akw Brokdorf: Nicht jedem war das Kraftwerk ein Dorn im Auge

Ortswechsel. Uwe Jorden blickt auf die Instrumente an den Wänden des Akw-Leitstandes. Der 66-Jährige ist seit 16 Jahren Kraftwerksleiter in Brokdorf. Er hat auch davor bereits in der Anlage gearbeitet und seine Rente freiwillig hinausgezögert. „Ich wollte das hier zu Ende bringen, weil mir das Kraftwerk und die Mitarbeiter sehr am Herzen liegen“, sagt er. Erst Ende März geht Jorden in Rente.


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„Das Ende ist noch nicht so präsent“, sagt Jorden. Sicher ist aber, dass Jorden am 31. Dezember im Leitstand sein wird, wenn der Reaktorfahrer den Meiler endgültig abfährt. „Etwa vier Stunden wird das dauern.“ Dann endet die Stromproduktion der ursprünglich drei Atomkraftwerke in Schleswig-Holstein. Die Reaktoren in Brunsbüttel und Geesthacht (Krümmel) sind bereits seit Jahren stillgelegt.

Kraftwerksleiter: Wut um Stilllegung des Akw Brokdorf

Nun folgt also Brokdorf. Im Laufe der Zeit sei das Ganze mental gewachsen, sagt Jorden. „An Silvester, kurz vor Mitternacht, wird endgültig klar, dass es zu Ende ist.“ Nur wenige Mitarbeiter werden beim Runterfahren im Leitstand sein. Angst habe er vor diesem Moment nicht, sagt Jorden. „Aber ein ungutes Gefühl. Das wird sehr bedrückend.“

Uwe Jorden, Kraftwerksleiter des Kernkraftwerks Brokdorf steht neben der Anzeige der Brennelemente auf einem Kontrollpult. Christian Charisius/dpa
Uwe Jorden
Uwe Jorden, Kraftwerksleiter des Kernkraftwerks Brokdorf steht neben der Anzeige der Brennelemente auf einem Kontrollpult.

Jorden hat sich mit dem Atomausstieg arrangiert, allein verstehen kann er diesen Schritt nicht. „Das hat uns natürlich sehr bewegt – bis hin zur Wut“, sagt er. „Für mich als Techniker ist die Entscheidung nicht nachvollziehbar. Es ist fraglich, ob das alles so richtig ist, was in Deutschland passiert.“ Er meint damit auch den ebenfalls geplanten Ausstieg aus der Kohle.

Dem Kraftwerksleiter ist der besondere Status seiner Anlage bewusst. „Brokdorf ist ein Synonym“, sagt Jorden. „Wir stehen hier unter einer besonderen Aufsicht.“ Die Atomaufsicht des nördlichsten Bundeslandes sei in den vergangenen Jahren stets sehr streng gewesen. „Das prägt. Dennoch, sorgfältiges Arbeiten war immer eine unserer Maxime.“

Jahrelange Proteste gegen das Akw Brokdorf

An jedem 6. eines Monats forderte die Mahnwache, deren Mitglied Karsten Hinrichsen war, jahrzehntelang beharrlich die Abschaltung des Reaktors. Das Datum soll erinnern an den Atombombenabwurf auf Hiroshima am 6. August 1945 und auf eine enge Verzahnung von militärischer und ziviler Nutzung der Atomenergie hinweisen, sagt Hinrichsen. Einen verspäteten Sieg für die Anti-Atomkraft-Bewegung sieht der 78-Jährige im nahenden Atomausstieg Deutschlands nur bedingt. „Gewonnen hätten wir, wenn wir schon damals alle Akw verhindert hätten.“

Akw Krümmel: Gehäuftes Auftreten von Leukämie bei Kindern

Zur Geschichte der Atomkraft in Schleswig-Holstein gehören auch die immer noch ungeklärte Häufung von Leukämie bei Kindern in der Nähe des Akw Krümmel und in der südlich gelegenen Elbmarsch sowie das unrühmliche Ende des Reaktors und des dritten schleswig-holsteinischen Akw in Brunsbüttel nach einer Pannenserie.

Am 28. Juni 2007 kam es in beiden Anlagen zu Schnellabschaltungen. Nach einem Kurzschluss in einem Schaltanlagengebäude ging zunächst Brunsbüttel vom Netz. In Hamburg fielen Hunderte Ampeln aus. Gut anderthalb Stunden später führte auf dem Gelände des Akw Krümmel ein Kurzschluss in einem Maschinentransformator zu einem Brand. Schwarze Rauchschwaden waren kilometerweit zu sehen, rund 70 Tonnen Transformator-Öl gerieten in Brand.

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Seit langem ist nur noch Brokdorf am Netz. Atomkraftgegner Hinrichsen versucht, seinen Frieden mit dem Akw zu machen. „Die Verkrampfung, die ich früher meistens hatte, entspannt sich“, sagt er. Vorbei sei es am 1. Januar wegen des gut 15 Jahre dauernden Rückbaus aber nicht. Vom Deich vor seinem Haus kann er weiter auf die imposante Hülle schauen. „Ich finde das Gebäude schön und es würde sich perfekt als Museum für eine energiepolitische Fehlentscheidung eignen.“ (mp/dpa)

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