Wie Leonie (17) bei einer Internet-Mutprobe starb
Leonie hatte große Pläne. Sie wollte immer glänzen, immer vorne mit dabei sein. Ihr Traum: Kinderkrankenschwester oder Tierarzthelferin zu werden. Anfang August wäre sie 18 Jahre alt geworden. Wäre – doch im Januar wird sie tot mit einer Plastiktüte über dem Kopf gefunden. Sie starb bei einer Internet-Mutprobe. Ihr Vater Alexander H. sprach mit der MOPO über den Verlust seiner Tochter – und warnt.
Leonie hatte große Pläne. Sie wollte immer glänzen, immer vorne mit dabei sein. Ihr Traum: Kinderkrankenschwester oder Tierarzthelferin zu werden. Anfang August wäre sie 18 Jahre alt geworden. Wäre – doch im Januar wurde sie tot aufgefunden. Sie starb bei einer Internet-Mutprobe. Ihr Vater Alexander H. sprach mit der MOPO über den Verlust seiner Tochter – und warnt.
Wenn Alexander H. (49) über seine Tochter spricht, wird seine Stimme weich. Er erzählt von ihrem ansteckenden Lachen, wie er mit ihr herumalberte und von ihrem großen Wunsch dazuzugehören. Leonie war seit ihrer Geburt entwicklungsverzögert, passte in kein Raster, wollte aber gerne zu einer Gruppe gehören – und gemocht werden.

Vermutlich auch aus diesem Bedürfnis heraus legte sie bereits früh einen besonderen Ehrgeiz an den Tag: Mit gerade vier Jahren wollte sie unbedingt eine Kletterwand erklimmen, obwohl diese nur für ältere Kinder gedacht war. Sie gab keine Ruhe, bequatschte die Aufpasser, bis sie ein kleines Geschirr zur Sicherung um ihren Körper trug – und ihren Vater aus sieben Meter Höhe grüßen konnte.
Scharbeutz: Leonie stirbt bei „Deo-Challenge“
Leonie war das einzige Kind von Alexander H., einem Versicherungsmakler aus Scharbeutz (Kreis Ostholstein). Er ist geschieden und lebt in der Nähe seiner Ex-Frau, mit der er sich gemeinsam um die Tochter kümmerte. „Leonie wollte immer glänzen, immer die Beste sein“, sagt er. „Und genau das war ihre Tragik, weil sie das oft nicht konnte. Deshalb war ihr Wunsch, vorne mit dabei zu sein umso stärker.“ Diese Mutproben hätten genau dieses Verlangen bei ihr getroffen.
Die 17-Jährige wollte bei der „Deo-Challenge“ mitmachen – einer irren Mutprobe in den sozialen Netzwerken, die bei Jugendlichen sehr beliebt ist: Man atmet Deo-Spray ein, bis man bewusstlos wird und filmt das Ganze. Leonie erstickte. Was sie wohl nicht wusste: In Deo-Sprays ist Butangas, das auch in Campingkochern verwendet wird. Beim Inhalieren kann es den Herzmuskel und das Atemzentrum lähmen, schwere Leber-, Hirn und Nervenschäden oder eben Erstickung verursachen.
Corona-Pandemie: Leonie zieht sich zurück
Das Drama habe mit der Corona-Pandemie begonnen, sagt der Vater. Leonie litt unter der Isolation, dann starb auch noch ihr Kaninchen Flocki, das sie über alles liebte. Sie schleppte den bereits blinden Hasen überall mit hin, selbst an den Strand von Scharbeutz. Nach seinem Tod landete seine Asche in einer Hasenurne – und in einem Anhänger, den Leonie bei sich trug.

Seine Tochter habe sich immer mehr zurück gezogen und Zeit im Internet verbracht. „Ich war mehrmals an dem Punkt, wo ich einen harten Schnitt machen und ihr Handy einziehen wollte“, sagt der Vater. „Und dann stand sie mit Tränen in den Augen und zitternden Lippen vor mir und fragte mich, ob ich ihr die letzten sozialen Kontakte auch noch wegnehmen möchte. Was macht man da?“
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Er habe nachgegeben, sagt Alexander H., wollte Leonie ihre Privatsphäre lassen, nicht kontrollieren, mit wem sie schrieb und worüber. Ein Fehler, sagt er heute. Seine Tochter habe ein Interesse für Kinder mit Problemen gehabt und der TikTok-Algorithmus hätte ihr diese gnadenlos geliefert. Diese Sogwirkung habe er völlig unterschätzt. Heute sagt er: „Das ist, als würde man jemanden mit einem kleinen Alkoholproblem in eine Versammlung von Säufern setzen, die sich zuschütten.“
TikTok-Mutprobe: Vater warnt Eltern
Alexander H. wollte nicht an die Öffentlichkeit – aber er möchte, dass Eltern wissen: Social Media birgt Gefahren, die seine Generation nicht im Blick hat. „Es wäre für mich natürlich das Einfachste. Es geht schnell, mit dem Finger auf jemand anderes zu zeigen, um sich von Verantwortung frei zu machen“, sagt er. Soweit möchte er nicht gehen.
Er wirft TikTok vor, dass das Unternehmen keine Verantwortung übernehme, dass es solche Mutproben auf der Plattform zulasse und durch den Algorithmus unterstütze. Der Vorwurf ist nicht neu: Im April kursierte der TikTok-Hype „Blackout-Challenge“. Kinder und Jugendliche würgten sich dabei und filmten, wie sie nach der Ohnmacht wieder zu sich kamen. 15 Todesfälle weltweit stehen nach „Zeit“-Recherchen im Zusammenhang mit dieser Mutprobe. Von TikTok hieß es: Solche Inhalte seien auf der Plattform verboten, wenn man sie entdecke, entferne man sie. Nach eigenen Angaben hätten sie allein zwischen Oktober und Dezember 2022 über 85 Millionen Videos gelöscht, die gegen die Regeln verstießen.
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„Ich möchte andere Eltern warnen“, sagt Alexander H., das sei im wichtig. „Einen solchen Verlust wünschen Sie selbst Ihrem ärgsten Feind nicht.“