Ein LNG-Terminal stellt Deutschland in Wilhelmshaven fertig, weitere in Brunsbüttel und Stade sollen folgen.
  • Ein LNG-Terminal stellt Deutschland in Wilhelmshaven fertig, weitere in Brunsbüttel und Stade sollen folgen.
  • Foto: dpa | Sina Schuldt

Gas-Boom im Norden: Erstes Terminal fertig, drei in Bau – aber reicht das?

Politik und Planer haben aufs Tempo gedrückt, damit möglichst bald Erdgas per Schiff über die Nord- und Ostseeküste importiert werden kann. Im niedersächsischen Wilhelmshaven ist jetzt die erste Anlage fertig. Ab wann kann sie Lieferungen aufnehmen – und wie weit ist man andernorts?

Die ersten deutschen LNG-Terminals stehen kurz vor dem Betriebsbeginn. Zwar sind die Gasspeicher für den Winter inzwischen fast voll, doch verflüssigtes Erdgas soll auch noch in den kommenden Jahren die Energieversorgung zusätzlich absichern. Es gibt Fortschritte dabei, die Abhängigkeit von Russland zu verringern –aber ebenso ein paar wunde Punkte.

Wie sehen die Zeitpläne für den Betriebsbeginn aus?

Wilhelmshaven hat am Dienstag offizielle Fertigstellungs-Premiere. Zunächst geht es um die Anbindung eines schwimmenden Terminals, eine fest an Land installierte Anlage soll später folgen. Niedersachsen plant mit Mitte Dezember für den Betriebsbeginn und die LNG-Aufnahme. Dann soll ein voll beladenes Tank-Lagerschiff festmachen – etwas früher als der ursprünglich kalkulierte Zeitpunkt „zur Jahreswende“.

Ab Mitte Januar werden die LNG-Tanker eintreffen, heißt es aus der Landesregierung. Wirtschaftsminister Olaf Lies (SPD) will noch ein zweites Terminal in der Stadt am Jadebusen ansiedeln. Wilhelmshaven II soll Ende 2023 anlaufen, vorerst ebenfalls als Schwimmterminal.

Wie sieht es bei den anderen LNG-Terminals aus?

In Stade hatte ein privates Konsortium bereits vor dem Krieg Russlands gegen die Ukraine angefangen, eine Anlage in der Nähe des Chemieparks mit dem US-Konzern Dow vorzubereiten. Ende 2023 soll hier eine schwimmende Plattform starten, Bauschritte wie Deichüberfahrten sind genehmigt. Ein fester Umschlagplatz soll bis 2026 fertig sein.

Ebenso noch in diesem Jahr soll in Brunsbüttel ein Schwimmterminal seine Arbeit aufnehmen. Der erste LNG-Tanker soll Ende Dezember festmachen. Parallel plant dort die German LNG Terminal GmbH eine feste Anlage, die voraussichtlich 2026 in Betrieb gehen könnte.

Im vorpommerschen Lubmin, wo auch die deutsch-russischen Gasleitungen Nord Stream 1 und 2 ankommen, will das Unternehmen Deutsche Regas mit einem schwimmenden Terminal LNG importieren. Zunächst war von einem möglichen Betriebsbeginn zum 1. Dezember zu hören – ob dies klappt, war zuletzt aber nicht klar. Die Arbeiten liegen laut Deutscher Regas im Zeitplan, es stehen jedoch noch Genehmigungen aus. Ein zweites Terminal soll in der zweiten Jahreshälfte 2023 an den Start gehen.

Wo könnte es bei den LNG-Terminals Hindernisse geben?

Wegen des Zeitdrucks in der Energiekrise wurden Planungsverfahren beschleunigt, die Landesregierungen legten allerdings Wert auf eine Veröffentlichung von Projektunterlagen. Kritiker können Einwendungen gegen die Vorhaben einreichen. Zu Wilhelmshaven I steht der Zeitplan bis auf weiteres. Auch in Mecklenburg-Vorpommern liegen Dokumente zur Öffentlichkeitsbeteiligung aus. In Lubmin sind Beschwerden bis zum 28. November möglich – was eventuell zu Verzögerungen führen könnte.

Abgesehen von Anliegern der Häfen und Pipelines hat sich vor allem unter Natur- und Meeresschützern Widerstand formiert. So befürchten Vertreter mehrerer Umweltorganisationen durch die neuen Anlagen im Wasser mehr Stress für marine Ökosysteme. In Hamburg, wo es ebenfalls Prüfungen gab, soll die Verkehrsdichte im Hafen die Chancen für ein eigenes Terminal verringert haben. In Rostock zeigte eine Studie Probleme im Zusammenhang mit gleichzeitigen Rohöllieferungen auf.

Woher sollen die ersten LNG-Lieferungen kommen?

Bisher erhalten Deutschland und andere europäische Länder das über die Niederlande, Belgien oder Frankreich aufgenommene LNG vor allem aus den USA. Zu den größten Exporteuren zählt auch Katar, Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) bemühte sich auf einer Reise im Frühjahr um Lieferbeziehungen. Katar will dem Vernehmen nach Langfristverträge und verkauft bereits viel Gas nach Asien. Weitere wichtige LNG-Ausfuhrländer sind Australien, Malaysia oder Nigeria.

Mit konkreten Angaben zur Herkunft der Lieferungen halten sich manche Betreiber noch zurück. Brunsbüttel soll zum Beispiel Gas aus Abu Dhabi erhalten. Der Chef der Bundesnetzagentur, Klaus Müller, betonte kürzlich: „Wir unterstützen den Infrastrukturausbau zum Ersatz russischer Gasimporte, um eine stärkere Diversifizierung unserer Gasquellen voranzutreiben.“ Netzpläne wurden inzwischen überarbeitet.

Welche Mengen wird das Gas zu welchem Preis ersetzen?

Über die beiden Wilhelmshavener Schwimmanlagen sollen 10 Milliarden Kubikmeter wiederverdampftes Gas pro Jahr umgeschlagen werden können. Auch für die „Floating Storage and Regasification Unit“ (FSRU) in Stade sind 5 Milliarden Kubikmeter vorgesehen. Die Planer des festen Terminals dort gingen bislang von etwa 13 Milliarden Kubikmetern aus – was für bis zu 15 Prozent des deutschen Gasbedarfs reichen könne.

Bezogen auf die bislang aus Russland bezogenen Mengen schätzte Ministerpräsident Stephan Weil (SPD), dass es gelingen könnte, diese später einmal ganz über in Niedersachsen ankommendes LNG zu ersetzen. Vor Beginn des Ukraine-Krieges importierte Deutschland mehr als 50 Prozent seines Erdgasbedarfs aus der Russischen Föderation.

Über die Brunsbütteler FSRU sollen 3,5 Milliarden Kubikmeter pro Jahr ins Netz gelangen, für die feste Anlage nach früheren Angaben rund 8 Milliarden Kubikmeter. In Lubmin plant man für beide Terminals jeweils etwa mit 5 Milliarden Kubikmetern jährlich.

Zu welchen Konditionen das LNG auf den Energiemarkt kommt, ist noch relativ unsicher. Die Weltmarktpreise schwanken, und die in laufenden Verträgen noch gebundenen Mengen können das Angebot knapp halten.

Wie sieht es mit der Klimabilanz von LNG aus?

Auch beim Verbrennen von Erdgas wird viel CO2 frei – Klimaschützer gehen mit dem Ausbau der LNG-Kapazitäten deshalb hart ins Gericht. Hinzu kommt, dass insbesondere die USA große Mengen mit dem umstrittenen Fracking-Verfahren fördern. Das Gas wird dabei unter Hochdruck aus Gesteinsporen gepresst, im Fall älterer Technik kommt ein Chemikalien-Cocktail zum Einsatz.

Umweltschützer sorgen sich zudem um die Lebensräume von Meerestieren und -pflanzen. Viele glauben, dass die Gründlichkeit ökologischer Prüfungen unter dem beschleunigten Durchpeitschen der Projekte leiden könnte. Der rot-grüne Koalitionsvertrag in Niedersachsen sicherte jüngst zu: „Mit einem gewässerökologischen Monitoring werden wir die Einhaltung der Umwelt- und Naturschutzstandards sicherstellen.“ (dpa/mp)

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