Der Angeklagte (l.) steht beim Gerichtsprozess im Landgericht Hannover neben seinem Rechtsanwalt Mario Prigge.
  • Der Angeklagte (l.) steht beim Gerichtsprozess im Landgericht Hannover neben seinem Rechtsanwalt Mario Prigge. (Archivbild)
  • Foto: Julian Stratenschulte/dpa

Todesschüsse an der Haltestelle: Täter rühmt sich vor Gericht als „großer Verbrecher“

Was genau geschah an der Stadtbahnhaltestelle in Hannover, wo ein Mann erschossen wurde? Das ist für die Staatsanwältin am Prozessende nicht zweifelsfrei geklärt – sie beantragte Freispruch. Doch das sieht das Gericht völlig anders und verhängt eine lange Haftstrafe.

Feixen mit seinen Kumpels auf der Zuschauerbank, ein Internetvideo während der U-Haft, in dem er sich als Krimineller rühmt – der Angeklagte hat keinen guten Eindruck hinterlassen. Das Landgericht Hannover verurteilte den 23-Jährigen am Freitag im Prozess um die Schüsse an einer Stadtbahnhaltestelle in Hannover zu elf Jahren Gefängnis – wegen Totschlags und unerlaubten Waffenbesitzes. „Er stellt sich als großer Verbrecher dar“, sagte der Vorsitzende Richter Joachim Lotz. Das zeige, „wie die Denke des Angeklagten ist“. Noch im Gerichtssaal kündigte sein Verteidiger an, Revision einlegen zu wollen.

Hannover: 23-Jähriger wegen Totschlags verurteilt – 11 Jahre Haft

Der vorbestrafte junge Mann habe sich zu „krimineller Lebensführung entschlossen“, sagte der Richter in seiner Urteilsbegründung. Auch sei er ungeheuer fasziniert von Schusswaffen. Auch das in der U-Haft aufgenommene Video sprach er an und fragte, wie man so etwas in die Welt hinausschicken könne, „ohne sich Gedanken darüber zu machen, dass ein Mensch sein Leben verloren hat“?

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Was wird dem Deutsch-Syrer vorgeworfen? Nach Überzeugung des Gerichts hat er am 28. Februar an der Haltestelle im Stadtteil Döhren auf einen 34-Jährigen geschossen. Ein Schuss traf das Opfer in den Bauch, der Mann starb wenig später. Zuvor hatte der Bruder des Opfers den Verurteilten angegriffen. Der 34-Jährige ging dazwischen, dann zog der jüngere Mann eine automatische Waffe und erschoss ihn. Der Todesschütze wurde in der Wohnung seiner Mutter in Hameln festgenommen, wo die Beamten weitere Waffen, einen Schießkugelschreiber und Munition fanden.

Erklärung des Verteidigers sorgt für Überraschung

Das Gericht gehe davon aus, dass der Verurteilte sich wegen einer Auseinandersetzung mit dem Bruder des Opfers rächen wollte – schon fünf Wochen vor der Tat habe er ihm eine Waffe an den Kopf gehalten, heißt es in der Urteilsbegründung. Am Tag der Tat habe der Bruder „die falsche Entscheidung“ getroffen und den späteren Schützen hinterrücks angegriffen. Der 34-Jährige trennte die Streitenden – und wurde erschossen. „Er will nicht als Verlierer den Platz verlassen“, sagte der Richter über den Angeklagten und verurteilte ihn wegen Totschlags und unerlaubten Waffenbesitzes zu einer Gesamtstrafe von elf Jahren.

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Zuvor hatte die Staatsanwaltschaft dreieinhalb Jahre Gefängnis gefordert – allein wegen Waffenbesitzes. Für den Totschlag beantragte die Staatsanwältin hingegen Freispruch wegen möglicher Notwehr – die Tatvorwürfe hatten sich nur zum Teil bestätigt, vieles sei „nicht zweifelsfrei geklärt“. Die Nebenklagevertreter widersprachen vehement und forderten eine Gesamtstrafe von 13 Jahre.

In der Frage der möglichen Notwehr drehte sich alles um ein Messer, das nur ein Zeuge gesehen haben wollte – und der Verurteilte. Der Todesschütze sprach in seiner Vernehmung bei der Polizei von einem Überfall und gab zu, fünf Schüsse abgefeuert zu haben. Zu Prozessbeginn hatte sein Verteidiger überraschend erklärt, sein Mandant werde nur vor der Mordkommission ausführlich aussagen, nicht vor der Kammer. Gericht und Staatsanwältin reagierten irritiert.

Nebenklage: „Er war dazu bereit, einen Menschen zu töten“

Der 23-Jährige habe ein Messer mit glänzender Klinge beschrieben, nur ein einziger Zeuge wollte ein Messer gesehen haben – aber eines mit schwarzer Klinge, sagte ein Nebenklagevertreter. Gab es wirklich ein Messer, das die Notwehr rechtfertigen würde? Der Anwalt der Hinterbliebenen sagte, er gehe von einer „Gefälligkeitsaussage“ des Zeugen aus – und werde Strafanzeige wegen Falschaussage erstatten. Der Richter machte klar: „Es gab kein Messer.“

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Dem Verurteilten warf der Nebenklagevertreter vor: „Er war dazu bereit, einen Menschen zu töten.“ Auch habe er geschwiegen und keine Verantwortung übernommen. Er mache zudem den Eindruck, dass er die Tat „als eine Art Ritterschlag begreift“. Der Verteidiger wiederum sagte, das Video und das Verhalten seines Mandanten auf der Anklagebank hätten ihm „nicht gefallen“. Er überließ die Strafe dem Ermessen des Gerichts, stellte keine konkrete Forderung. Der Angeklagte selbst sagte in seinem Schlusswort mit Blick zu seinem Anwalt nur: „Ich stimme ihm zu.“ (dpa/mp)

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