Gewalt gegen Frauen: Polizei gibt Tipps zur Verteidigung
Gewalt kann jede Frau treffen – auf der Straße oder sogar in den eigenen vier Wänden. Die gute Nachricht ist: Wer sich wehrt, hat Chancen, den Angriff abzuwehren. Mitunter reichen einfache Mittel, wie eine Polizeihauptkommissarin berichtet.
„Gewalt ist kein Zufall!“ steht in großen Lettern auf der Schautafel beim Seminar in der Lüneburger Polizeiinspektion. Referentin Kathrin Richter verbringt viele Abende zum Thema „Wie schützen sich Frauen?“ und hat eine wichtige Botschaft: „Frauen, die sich wehren, sind häufig sehr erfolgreich!“ Das Verblüffende: Oft reichen einfache Sätze oder eine Toilettenbürste – wie bei einer Grundschülerin, die sich gegen einen Angriff wehrte.
Gewalt gegen Mädchen und Frauen: Polizei gibt Tipps zur Verteidigung
Wichtig ist demnach, den Machtanspruch des Täters zu durchbrechen. „Täter suchen Opfer, die wenig Gegenwehr leisten“, sagt die Polizeihauptkommissarin. Gerade bei anzüglichen Bemerkungen, mit denen sich Männer in einer ersten Phase annäherten, empfiehlt sie, klare Botschaften auszusenden.

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In kurzen Sätzen wie: „Du starrst mich an – lass das!“ könne vielfach eine eskalierende Situation verhindert werden. Nach 30 Jahren Erfahrung bei der Polizei wisse Richter, „dass sich gewaltbereite Männer ihre Opfer nicht aussuchen, weil sie dick oder dünn, hässlich oder hübsch sind, es gibt nur ein Kriterium: die mangelnde Gegenwehr“.
Polizei: So können sich Frauen vor Übergriffen von Männern schützen
Gewalt trifft Mädchen und Frauen aller sozialer Schichten. „In Deutschland wird jede dritte Frau mindestens einmal in ihrem Leben Opfer von physischer und/oder sexualisierter Gewalt“, schreibt das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend auf seiner Internetseite. „Etwa jede vierte Frau wird mindestens einmal Opfer körperlicher oder sexualisierter Gewalt durch ihren aktuellen oder durch ihren früheren Partner.“ Gewalt hat demnach viele Gesichter und beginnt nicht erst mit Schlägen. Auch Bedrohungen, Beschimpfungen und Belästigungen sind Formen von Gewalt.

Aus Sicht der Polizistin Kathrin Richter ist es wichtig, dass Betroffene aktiv werden. Sie erzählt von der Verkäuferin einer Bäckerei, die bei ihr Rat suchte, weil ein Fremder sie kontinuierlich verbal belästigte. Die Frau war stets allein im Geschäft und erstarrte vor Angst, wenn der Mann zur Tür hereinkam. Ihn aufzufordern, sie in Ruhe zu lassen, traute sich die Frau nicht. Gemeinsam mit der Polizistin entwickelte sie eine scheinbar simple Lösung: Die Verkäuferin sagte immer wieder laut den Satz: „Das Wetter ist schön“ und guckte den Mann nicht einmal an. Dieser machte auf dem Absatz kehrt und kam nie wieder. Warum? Die Frau war kein Opfer mehr. Durch ihre verbale Aktion hatte sie die Spirale der Gewalt durchbrochen.
Kratzen, Beißen, Spucken: So können sich Frauen bei Angriffen verteidigen
Nicht immer ist es so einfach – vor allem nicht bei tätlichen Angriffen und Vergewaltigungen. Aber auch da rät Richter, die Rolle des anerzogenen braven Mädchens oder der Frau abzulegen. „Kratzen, Beißen, Spucken, Treten, bei Notwehr ist so ziemlich alles erlaubt“, betont Richter. Viele jüngere Mädchen trauen sich in gefährlichen Situationen nicht zu Gegenmaßnahmen. „Das ist ein Riesenproblem.“ Auch laute mehrmalige Hilfe-Rufe seien super, es bestehe immer die Möglichkeit, dass jemand sie höre und dann orten könne. Und die Angreifer seien verunsichert.
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Gegenwehr kann man der Polizistin zufolge im Alltag üben. Ihr zufolge beginnt es mit dem Atmen. Schon im Autoverkehr in brenzligen Situationen könne man darauf achten, eine Angst- oder Schrecksekunde mit bewusstem Atmen zu verkürzen. Und auch ein überraschter Angreifer halte bei spontaner Gegenwehr verunsichert inne – ein perfekter Moment, um zu flüchten. Der Polizeihauptkommissarin zufolge sollten sich Betroffene keine längeren Auseinandersetzungen liefern – eine Abwehraktion und dann nichts wie weg, lautet ihr Rat. „Der Vortrag war interessanter als ich dachte“, sagte die 15 Jahre alte Charlotte Raupach aus Hamburg, „man kann wirklich was tun“.
Frauenhäuser, Beratungsstellen Hilfenummern: Hier wird Mädchen und Frauen geholfen
Expertinnen und Experten empfehlen Betroffenen zudem, sich Hilfe zu holen. „Das Land Niedersachsen fördert zurzeit 43 Frauenhäuser, 46 Gewaltberatungsstellen und drei Mädchenhäuser“, schreibt das niedersächsische Sozialministerium auf seiner Internetseite. Beratungsstellen sind demnach auf verschiedene Formen von Gewalt spezialisiert und unterstützen Betroffene.
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Ein bundesweites Beratungsangebot für Frauen, die Gewalt erlebt haben oder erleben, ist das Hilfetelefon „Gewalt gegen Frauen“, das 2013 beim Bundesamt für Familie und zivilgesellschaftliche Aufgaben in Köln eingerichtet wurde. Unter der Nummer 08000-116-016 sind qualifizierte Beraterinnen rund um die Uhr erreichbar.
Anonyme Spurensicherung nach Gewalttaten gegen Frauen
Wer sexualisierte Gewalt erlebt hat, sollte dies gerichtsfest dokumentieren lassen, damit Taten bewiesen und Täter verurteilt werden können. Betroffene, die noch nicht bereit sind für eine Anzeige, können dies auch anonym tun. So bieten Kliniken in verschiedenen niedersächsischen Städten eine anonyme Spurensicherung an, wie eine Übersicht der Frauenrechtsorganisation Terre des Femmes zeigt.
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Frauen haben so die Möglichkeit, sich in Ruhe zu überlegen, ob sie Anzeige erstatten möchten oder nicht. Die Spuren werden je nach Klinik bis zu 20 Jahre für einen möglichen Gerichtsprozess aufbewahrt. In Bremen ist die Einrichtung einer Gewaltschutzambulanz für dieses Jahr geplant, wie ein Sprecher des Gesundheitsressorts sagte. (mp/dpa)
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