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Landkreis Harburg: Als junge Frau von Pastor missbraucht: Opfer äußert sich

Harburg –

Jahrelang vergreift sich ein Pastor im Landkreis Harburg an einer 30 Jahre jüngeren Schutzbefohlenen. Nun traut sich die Frau an die Öffentlichkeit – das hat bereits erste Folgen.

Zehn Jahre lang hat ein evangelischer Pastor das Vertrauensverhältnis zu einer ehemaligen Konfirmandin ausgenutzt, die ihn bewunderte und von ihm gesehen werden wollte. Er belästigte sie sexuell und missbrauchte sie. Erst als Studentin kann sie sich von dem 30 Jahre älteren Mann lösen. Zwei Jahrzehnte lang trug die Frau aus der Gemeinde Rosengarten (Landkreis Harburg) dieses Geheimnis mit sich herum.

Pastor aus Harburg: Opfer traut sich an die Öffentlichkeit

Nun traut sich Katarina Sörensen – so ihr Pseudonym – gemeinsam mit der Kirche an die Öffentlichkeit. Und erzählt von einem Mann, der systematisch dafür gesorgt hat, dass grenzüberschreitende sexuelle Berührungen von den Teenagern als normal wahrgenommen wurden. Der Pastor, der Sörensen nach Angaben der Kirche zwischen 1988 und 1997 sexuell belästigt und missbraucht hat, soll sich im Rahmen der Jugendarbeit an weiteren jungen Mädchen vergriffen haben. Eine zweite Frau aus der Region habe sich vor einigen Monaten gemeldet, sagte Oberlandeskirchenrat Rainer Mainusch, Leiter der Rechtsabteilung des Landeskirchenamtes Hannover, am Montag in Hittfeld (Gemeinde Seevetal).

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Podiumsteilnehmer, unter anderem der Pressesprecher der evangelisch-lutherischen Landeskirche Hannover, informieren über den Missbrauchsfall während eines Pressegesprächs in Seevetal. 

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Zudem hätten sich seit Bekanntwerden der Pressekonferenz zwei weitere Betroffene gemeldet, „die von dem Pastor zumindest belästigt wurden“. Des Weiteren soll es weitere Fälle in Wolfsburg-Detmerode geben, wo der Pastor von 1972 bis 1986 gearbeitet hat. Auch dort soll es mindestens um sexuelle Belästigung gehen.

Sörensen: „Er hat mich am Po massiert, als ich 15 war“

Für Sörensen kommen diese Zahlen nicht überraschend. „Ich bin mir heute sicher, dass er von Anfang an geplant hat, sexuelle Übergriffe an Mädchen zu begehen“, sagte sie am Montag bei der Pressekonferenz, der sie per Video zugeschaltet wurde. Ihr Gesicht war dabei nicht zu sehen. Ihre Stimme war fest und wirkte kämpferisch. Der Pastor habe die jungen Leute mit seiner aufmerksamen, nahbaren Art begeistert. Gleichzeitig habe er „langsam die Grenzen überschritten“, etwa mit Umarmungsspielen oder Massagen in der Jugendgruppe. „Da hat er mich letztlich an meinem Po massiert als ich 15 war. Aber es waren alle anderen dabei.“ So sei es irgendwie normal geworden. „So hat er das langsam vorbereitet, bis es dann zum tatsächlichen Missbrauch kein so großer Schritt mehr war.“

Opfer will Geschichte auch für andere Betroffene aufarbeiten

Sörensen will die Geschichte nicht nur für sich aufarbeiten und anderen Mut machen. Sie will auch, dass die Landeskirche und die Kirchengemeinde ein Bewusstsein für die Taten und den Täter haben. „Für mich gehört das zur Geschichte der Kirchengemeinde.“ Dabei gehe es ihr nicht darum, dass sich jemand schuldig fühlt. „Sondern ich möchte, dass man hinschaut und sagt: Was ist passiert?“

Sörensen wandte sich 2015 erstmals an Ansprechstelle

Sie kämpft auch dafür, dass Opfer von sexualisierter Gewalt in der evangelischen Kirche künftig besser Missbrauch melden und Hilfe finden können. „Für mich war der Weg der Aufarbeitung in der Kirche eher steinig.“ Vor allem, weil sie zunächst sehr lange gar keine Ansprechpartner gefunden habe und später auch nur teilweise gut betreut worden sei. Sörensen hatte sich im Sommer 2015 erstmals an die landeskirchliche Ansprechstelle für Opfer sexualisierter Gewalt gewendet und hatte später Schadenersatz in Höhe von 35 000 Euro bekommen. Das ist das bisher höchste, was die evangelisch-lutherische Landeskirche Hannovers bei Missbrauchsfällen eigenen Angaben zufolge gezahlt hat.

Die evangelische Kirche arbeitet bereits seit mehreren Jahren Fälle von sexualisierter Gewalt systematisch auf. Seit einem Jahr gibt es eine bundesweit zentrale und von der Kirche unabhängige Anlaufstelle für Missbrauchsopfer. Zudem sollen erste Ergebnisse einer bundesweiten Untersuchung von Missbrauch in der evangelischen Kirche und Diakonie 2021 vorliegen.

Niedersachsen: Dutzende Missbrauchsfälle in vergangenen zehn Jahren gemeldet 

In den vergangenen zehn Jahren seien der Hannoverschen Landeskirche bereits mehrere Dutzend Missbrauchsfälle gemeldet worden, sagte Oberlandeskirchenrat Mainusch dazu. „Wir haben insgesamt 123 Fälle sexualisierter Gewalt seit 1945. Davon sind die weitaus meisten, das sind über 80 Prozent, Fälle in den Einrichtungen der Diakonie.“
Mainusch dankte Sörensen ausdrücklich für ihren den Mut. „Deswegen, weil er auch anderen Mut machen kann“. Als Kirche wolle man nichts mehr unter den Tisch kehren und jedem Verdacht nachgehen. „Mancher Fall, mit dem ich mich beschäftigen musste, gewährt doch einen sehr beschämenden Blick in die Abgründe der kirchlichen Zeitgeschichte.“

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Erst Anfang Juni hat das Landeskirchenamt neue Grundsätze für die Prävention, Intervention, Hilfe und Aufarbeitung von Fällen sexualisierter Gewalt beschlossen.
Konsequenzen hat das Bekanntwerden der Übergriffe für den Mann nicht mehr. Der Täter ist 2013 im Alter von 70 Jahren gestorben. Sein archivierter Nachruf im Gemeindeblatt sowie seine Personalakte wurden posthum um den Hinweis auf die sexuellen Übergriffe ergänzt.

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