Lost Place vor den Toren Hamburgs: Die Bahn-Brücke ins Nichts
Die Reste der alten Bahnlinie sind noch schwach erkennbar: Früher verlief hier, mitten im Wald vor den Toren Hamburgs, eine der meistfrequentierten Güterrouten des Nordens. Heute führen die eindrucksvollen Bahnbrücken ins Nichts. Die MOPO erkundet den „Lost Place“.
Wir laufen kaum 500 Meter auf dem alten, laubbedeckten Bahn-Damm und stehen plötzlich vor einem der wichtigsten baulichen Zeugnisse der Eisenbahn-Geschichte Norddeutschlands – dem fast 20 Meter hohen Viadukt über den Staersbach. Genau 120 Jahre ist die Bahnbrücke und sie sollte ursprünglich ein wichtiger Teil einer bedeutenden Fernverbindung zwischen Bremerhaven und Berlin sein.
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Die Reste der alten Bahnlinie mitten im Wald bei Hollenstedt (Landkreis Harburg) sind noch schwach erkennbar, wir laufen kaum 500 Meter auf diesem Damm und stehen plötzlich vor einem der wichtigsten baulichen Zeugnisse der Eisenbahn-Geschichte Norddeutschlands – dem fast 20 Meter hohen Viadukt über den Staersbach.
Genau 120 Jahre ist die Bahnbrücke am Dorf Staersbeck alt und sie sollte ursprünglich laut Plänen der Preußischen Eisenbahnverwaltung ein wichtiger Teil einer bedeutenden Fernverbindung zwischen Bremerhaven und Berlin sein.
Doch der Bau Ende des 19. Jahrhunderts war extrem beschwerlich. Es mussten Moore durchquert werden und für das Errichten der Bahndämme zum Viadukt über den gut 30 Kilometer langen Staersbach wurden allein fast 100.000 Kubikmeter Erde bewegt.
Trotzdem gelang es, die dreibogige Backstein-Brücke in der Rekordzeit von nur neun Monaten fertigzustellen. Das gelang auch durch die Hilfe italienischer Gastarbeiter. Darunter waren Experten für den Bau von Eisenbahnlinien und Brücken in schwierigem Gelände. Zwei Arbeiter kamen beim Bau ums Leben. Trotz dieser großen Mühen wurde in dreijähriger Arbeit bis 1902 schließlich nur eine 57 Kilometer lange Strecke zwischen Bremervörde und Buchholz/Nordheide in Betrieb genommen.
Heute Lost Place: Die Bahnstrecke bei Hollenstedt war hoch frequentiert
Doch diese kurze Strecke entwickelte sich schnell zur wirtschaftlichen Schlagader der landwirtschaftlich geprägten Region. Die Bahn transportierte hier vor allem Rüben, Zucker, Kartoffeln oder Schlachtvieh.
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Aber auch der Personenverkehr nahm zu. Fuhren kurz nach Einweihung der Strecke 1902 jährlich nur ein paar Tausend Menschen mit der Bahn, wurden 1935 im Bahnhof Hollenstedt schon rund 35.000 Fahrgäste pro Jahr gezählt.
Als die MOPO jetzt das Viadukt über den Staersbach fotografierte, sprach uns eine nette alte Dame an, sie erzählte fröhlich: „Ich erinnere mich noch sehr gut an die Dampfloks, die hier verkehrten. Wir konnten uns an manchen Stellen an die Strecke setzen und winken, dann hielt der Zug und nahm uns mit.“
1997 gab es eine letzte Erinnerungsfahrt auf der Bahnstrecke
Der Niedergang der Bahnlinie kam Ende der 1960er Jahre mit der zunehmenden Elektrifizierung der Eisenbahn, denn dafür war die schwierige Strecke ungeeignet.
1997 gab es eine letzte Erinnerungsfahrt mit einem roten „Schienenbus“ auf der Bahnstrecke, dann holte sich die Natur langsam die Gleisanlagen zurück. 2008 ließ die Bahn auch noch die Gleise entfernen. Doch Heimatforscher und Wanderer setzten sich für den Erhalt des Viadukts ein. Bei Hollenstedt gibt es übrigens noch zwei weitere kleinere Exemplare, diese führen über die Este.
Lost Places
Der Autor: Thomas Hirschbiegel (l.) ging 1977 direkt von der Schule zur MOPO, war erst zehn Jahre Fotoreporter und dann ab 1987 Redakteur mit dem Spezialgebiet Polizei, Architektur und Stadtentwicklung.
Der Fotograf: Florian Quandt begann seine journalistische Tätigkeit beim „Elbe Wochenblatt“, absolvierte ein Redakteurs-Volontariat beim „Pinneberger Tageblatt“ und ist seit 2005 Fotoreporter bei der MOPO.
Heute stehen alle drei Bauwerke unter Denkmalschutz. Doch die Bahn als Eigentümer kümmert sich kaum um sie, hat an den Viadukten lediglich „Betreten verboten“-Schilder und Absperrgitter aufgestellt. Nun steht es nicht zum Besten um den Erhalt der beeindruckenden Backsteinbauten aus der längst vergangenen Blütezeit der Eisenbahn. An vielen Stellen bröckeln die Viadukte schon bedenklich.
Eine Zeitlang war eine Nutzung als touristische Draisine-Strecke im Gespräch, doch realisiert wurde nichts. Heute rasen schon mal Jugendliche mit Motorcross-Maschinen über den alten Bahndamm und kampieren an den Viadukten.