Fast nur Ungeimpfte auf Intensivstation: „Kämpfen auch um deren Leben“
Etwa 90 Prozent der Covid-Patienten, die derzeit auf der Intensivstation der Uniklinik Göttingen um ihr Leben kämpfen, sind ungeimpft. Bettina Scharff (53), seit 30 Jahren Intensivpflegerin, macht das „fassungslos, verzweifelt und manchmal auch wütend“. Als die Impfung da war und in diesen Sommer zum ersten Mal kein Corona-Patient auf ihrer Station lag, habe sie Glückstränen geweint. Jetzt sei die Situation so dramatisch wie nie zuvor. Sie wisse nicht mehr, worauf sie ihre Hoffnung noch bauen sollte.
Gelegentlich gebe es ungeimpfte Patienten, die sich gegen ihre Therapie wehrten und die Erkrankung herunterspielten, sie als Schnupfen abtäten, erzählt Scharff. Sie sei froh, dass sie mit diesen Patienten keine Unterhaltung führen müsse. Wie fast alle Corona-Patienten seien sie intubiert, wenn sie auf der Intensivstation ankommen und könnten deswegen nicht mehr sprechen.
Die vierte Corona-Welle hat die Intensivstationen hart getroffen. Viele Pflegekräfte verlassen ihren Beruf. Denen, die bleiben, fehlt die Perspektive. Wie halten sie durch? Drei Mitarbeitende der Corona-Station der Uniklinik Göttingen geben persönliche Einblicke.
Wenn ein Patient stirbt, setzt sich Lenard Bornemann zu ihm und hält ihm ein letztes Mal die Hand. Egal wie stressig es gerade ist – keiner der Corona-Patienten soll alleine sterben. Besucher sind im Corona-Bereich der Intensivstation verboten. Wenn es vorbei ist, geht der 24-Jährige gewöhnlich vor die Tür und raucht eine Zigarette. „Es ist auch schon mal vorgekommen, dass Ärztinnen und Pfleger zusammen geweint haben“, sagt er. Seit drei Jahren arbeitet er auf der Intensivstation der Universitätsmedizin Göttingen.
Corona-Intensivstation: Kaum Erfolge, aber viele Tote
Eigentlich mag er seinen Beruf immer noch gerne. Doch seit Beginn der Corona-Pandemie gebe es immer weniger Erfolgserlebnisse, sagt Bornemann. Und zu viele Tote. „Man gibt alles, versucht alles und egal, was man sich vornimmt, es bringt meistens nichts. Ich möchte, dass das aufhört.“
Auf der Intensivstation in Göttingen waren Mitte Dezember 16 der insgesamt 22 Intensivbetten von Corona-Patienten belegt. Laut Personalschlüssel betreut eine Pflegekraft normalerweise 1,5 Patienten. Aufgrund des erheblichen Personalmangels sei das oft nicht möglich, sagt die stellvertretende Leiterin der Station, die ihren Namen nicht in der Zeitung lesen möchte. Aktuell komme es häufiger vor, dass man sich um mindestens zwei Corona-Patienten kümmere. „Man müsste eigentlich viel mehr Erholungspausen haben und dürfte nicht zu viele Patienten in einer Schicht betreuen“, sagt die 39-Jährige.
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Schwere Corona-Fälle sind aufwendig zu behandeln
Die Behandlung der schwerkranken Menschen mit Covid ist besonders aufwendig. Beatmung, Kreislauf und Blutdruck müssen engmaschig überwacht werden. Für Intubierte und Ecmo-Patienten, die durch eine externe Herz-Lungen-Maschine beatmet werden, liege die Sterblichkeitsrate in Göttingen bei etwa 50 Prozent, sagt die 39-jährige Pflegerin. Wer einen schweren Verlauf überlebt, muss oft viele Dinge wieder neu erlernen und leidet häufig an massiven Folgeschäden.
Etwa 90 Prozent der Covid-Patienten, die derzeit auf der Intensivstation um ihr Leben kämpfen, sind nach Angaben der Uniklinik ungeimpft. Bettina Scharff (53), Kollegin von Bornemann und seit 30 Jahren Intensivpflegerin, macht das „fassungslos, verzweifelt und manchmal auf wütend“. Als die Impfung da war und in diesen Sommer zum ersten Mal kein Corona-Patient auf ihrer Station lag, habe sie Glückstränen geweint. Jetzt sei die Situation so dramatisch wie nie zuvor. Sie wisse nicht mehr, worauf sie ihre Hoffnung noch bauen sollte.
Situation auf Corona-Station dramatisch wie noch nie
Gelegentlich gebe es ungeimpfte Patienten, die sich gegen ihre Therapie wehrten und die Erkrankung herunterspielten, sie als Schnupfen abtäten, erzählt Scharff. Sie sei froh, dass sie mit diesen Patienten keine Unterhaltung führen müsse. Wie fast alle Corona-Patienten seien sie intubiert, wenn sie auf der Intensivstation ankommen und könnten deswegen nicht mehr sprechen.

Bornemann fällt es zunehmend schwer, für diese Menschen Mitgefühl aufzubringen. Weil er Angst hat, dass dieses Gefühl Überhand gewinnt, möchte er nicht mehr wissen, ob ein Patient geimpft ist oder nicht. „Wir kämpfen natürlich für diese Patienten, auch wenn die Impfgegner sind. Das ist mein Job, ich möchte, dass dieser Mensch überlebt.“
Eine Umfrage des Deutschen Krankenhausinstituts hat ergeben, dass bundesweit 72 Prozent der befragten Krankenhäuser weniger Intensivpflegepersonal zur Verfügung haben als noch Ende 2020. Laut der Deutschen Interdisziplinären Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (Divi) stehen deswegen in der vierten Corona-Welle 3000 Beatmungsbetten weniger zur Verfügung als vor einem Jahr.
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In Niedersachsen ist die personelle Situation nach Angaben eines Sprechers der Niedersächsischen Krankenhausgesellschaft in nahezu allen Kliniken sehr angespannt. Auch an der Universitätsmedizin Göttingen verlassen in diesem Winter mehrere Fachkräfte die Intensivstation.
„Möchte, dass dieser Beruf vernünftig bezahlt wird“
Warum sie trotz allem noch da sind, können Scharff, Bornemann und ihre 39-jährige Kollegin nur schwer beantworten. Die Unterstützung im Team und das persönliche Umfeld helfen, nicht den Mut zu verlieren, sagen alle drei. Damit sie wieder mehr Freude an ihrem Beruf haben, fordern sie bessere Arbeitsbedingungen, mehr Personal und mehr Lohn. Für Bornemann ist klar: „Ich bin keine Ordensschwester, die irgendeinem Glauben folgt und aus Nächstenliebe arbeitet. Ich mache das, weil das mein Beruf ist, und ich möchte, dass dieser Beruf vernünftig bezahlt wird.“