Mitleid mit seinen Kühen: Wie ausgerechnet ein Milchbauer zum Veganer wird
Seit rund 50 Jahren geht Jürgen Rademacher (62) in den Kuhstall und sieht nach seinen Tieren. Doch was er als Jugendlicher anfing und was seitdem sein Leben bestimmt, findet noch in dieser Woche ein radikales Ende. Der Bauer macht Schluss mit der Milchproduktion. Und überhaupt: Fleisch isst er auch nicht mehr und bald gibt es bei ihm auch keine Milch mehr im Kaffee und keinen Käse. Wie er zu dieser drastischen Entscheidung kam, was nun bloß mit seinen 30 geliebten Kühen passiert – und was man im Dorf von der Idee hält.
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Seit rund 50 Jahren geht Jürgen Rademacher (62) in den Kuhstall und sieht nach seinen Tieren. Doch was er als Jugendlicher anfing und was seitdem sein Leben bestimmt, findet noch in dieser Woche ein radikales Ende. Der Bauer macht Schluss mit der Milchproduktion. Und überhaupt: Fleisch isst er auch nicht mehr und bald gibt es bei ihm auch keine Milch mehr im Kaffee und keinen Käse. Wie er zu dieser drastischen Entscheidung kam und was nun bloß mit seinen 30 geliebten Kühen passiert.
Den Bauernhof in Beverstedt-Taben (Kreis Cuxhaven) gibt es seit 1756, von der Familie Rademacher wird er seit 1898 bewirtschaftet, eine Jahrhunderte alte Tradition. Dennoch, in dieser Woche fährt zum allerletzten Mal der Tankwagen der Molkerei bei ihm auf den Bio-Hof.
Ab August sind Rademachers 30 Kühe quasi frei – frei davon, täglich große Mengen Milch geben zu müssen. Frei davon, jedes Jahr ein Kalb zu gebären. Und frei von dem Damoklesschwert Schlachterei, das immer über ihnen schwebt, falls die Milchleistung sinkt oder sie nicht mehr trächtig werden.
Jürgen Rademacher: Bio-Bauer gründet Kuh-Altersheim
„Ich bin es einfach leid“, sagt der Bio-Bauer zu seinem folgenschweren Schritt. „Auch wenn ich jetzt ein sehr großes Risiko eingehe, was die Zukunft betrifft.“ Er habe einfach keine Lust und keine Kraft mehr, seine Kühe „zu opfern“ und sie zum Schlachter zu bringen und ihnen die Kälber wegzunehmen. „Meine Herde ist sehr alt, ich kenne jede Kuh mit Namen, wir sind fast eine Familie.“
Schon in den vergangenen Jahren hat der Bio-Bauer immer öfter die ganz alten Kühe behalten und „mitlaufen lassen“, statt sie töten zu lassen. Etwa wie Irina, die schon 17 Jahre alt ist und nach einer schweren Geburt nicht mehr trächtig werden kann. Oder Cora (13), die erste Kuh auf dem Hof, die nicht mehr enthornt wurde. Im Nachhinein eine gute Entscheidung für die gesamte Herde, denn im Cuxkreis gibt es im Umkreis von 20 Kilometern vier Wolfsrudel, denen die Hörner der Kühe zum Glück etwas Respekt einflößen. Einen Wolfszaun gibt es trotzdem.
Beverstedt: Bauer isst kein Fleisch mehr und wird Veganer
„Auf Dauer kann man sich das als Bauer gar nicht leisten, die Tiere zu behalten, wenn sie keine Milch mehr geben, das bezahlt ja niemand.“ Er hat auch schon früher weniger Kälber produziert, aber dann geben die Kühe weniger Milch – was auf Dauer auch nicht bezahlbar ist für die Landwirte. Oder die Milch würde noch teurer. „Was die Kunden wiederum nicht mehr bezahlen wollen.“
„Meine Kühe sollen jetzt ein zufriedenes schöne Leben haben“, hat Rademacher beschlossen. Sein Hof wird ein Kuhaltersheim. Cleo, Romy, Bilke und die anderen Tiere sollen auf dem Hof Lunetal ihr Gnadenbrot bekommen und in Ruhe noch älter werden. Das ist aber richtig teuer. „Die Haltung einer Kuh kostet pro Jahr mindestens 1800 Euro, Tendenz steigend.“ Daher sucht Rademacher jetzt nach Paten, für die Hälfte der Tiere gibt es sie bereits.
Statt Milchvieh: Buchweizen, Lupine und Ölsaaten
Rademacher will seine Kühe weiterhin betreuen und auf seinen landwirtschaftlichen Flächen neben dem Weideland in Zukunft lieber Buchweizen, Lupine und Ölsaaten für die Produktion veganer Lebensmittel anbauen. Denn er isst selbst seit mehreren Jahren kein Fleisch mehr („weil ich gegen das Schlachten bin“) und verzichtet auch größtenteils auf Milchprodukte. Der Bauer ist fast schon Veganer. „Nur für die Kaffee-Milch habe ich noch keinen Ersatz gefunden. Hafermilch mag ich nicht.“ Im Moment hat er auch noch etwas selbst produzierten Käse, aber wenn der alle ist, dann ist auch damit Schluss.
Der Bio-Molkerei ist es ganz Recht, dass jetzt im Sommer keine Milch mehr von ihm kommt. Sie hat eh Probleme, ihre Milchmengen in der Ferienzeit an den Kunden zu bringen. „Es wird ja auch insgesamt weniger Bio-Milch gekauft, seit alles teurer geworden ist. Da werden wohl noch mehr Bio-Betriebe die Milchproduktion aufgeben.“
In seinem direkten Umfeld in Beverstedt reiben sich die Leute schon etwas die Augen und fragen: „Wovon willst du bloß leben?“ Aber Rademacher glaubt daran, dass er die Paten für seine Kühe findet und auch ohne Milch- und Fleischproduktion wirtschaftlich überleben kann. Solche Lebenshöfe gebe es in Süddeutschland ja schon eine ganze Menge. Und im Norden ist der Hof Butenland ein Vorbild. Dort holt er sich Rat für die Umstellung.
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Hilfe kommt aber auch aus der Nähe. Gerade waren „zwei Damen“ aus der Umgebung da und haben bei ihm den Hof gefegt und alles etwas hübsch gemacht – in Vorbereitung auf Besucher. Andere helfen ihm mit dem Internetauftritt, denn Facebook oder Instagram sind dem Landwirt fremd. „Das ist natürlich wichtig für den Lebenshof. Die Paten sollen ja auch wissen, wie es ihren Tieren geht, was die so machen.“
Für die Paten wird es einmal pro Monat Besuchstage geben und einmal im Jahr gibt es ein Hoffest. Das erste steigt bereits am 20. August. Und dann ist Jürgen Rademacher in seinem Element, wenn er Menschen von seinen Tieren und seiner Arbeit auf dem Hof erzählen kann: „Ich muss einfach immer raus zu meinen Kühen, am Schreibtisch oder Computer, das ist nicht meine Welt.“