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  • Marianne Bachmeier schiebt sich am 2. November 1982 durch einen Pulk von Fotografen zu ihrem Platz im Gerichtssaal im Lübecker Landgericht.
  • Foto: picture alliance/dpa

Heute vor 40 Jahren: Der Fall Bachmeier: Diese Schüsse schrieben Justizgeschichte

Lübeck –

Auch nach 40 Jahren gilt der Fall Marianne Bachmeier als einer der spektakulärsten Fälle von Selbstjustiz in Deutschland. Die damals 31-Jährige erschoss am 6. März 1981 im Gerichtssaal in Lübeck den mutmaßlichen Mörder ihrer Tochter. Um Rache, so erklärte sie später, sei es ihr dabei jedoch nie gegangen.

Es war der dritte Prozesstag im Landgericht Lübeck gegen Klaus Grabowski. Der 35-jährige Schlachter hatte bereits gestanden, die damals sieben Jahre alte Anna ein Jahr zuvor am 5. Mai 1980 in seiner Lübecker Wohnung mit einer Strumpfhose erwürgt zu haben, angeblich aus Angst, sie könne ihn verraten. Als die Mutter des Mädchens, Marianne Bachmeier, an jenem Freitag den Saal betrat und zur Anklagebank blickte, soll sie gesagt haben „Ach, ist ja noch alles leer“. Nachdem sie den Saal kurzzeitig verlassen hatte, um zu warten, bis der Angeklagte wieder auf der Bank saß, ging sie wieder hinein, zog eine Pistole aus der Manteltasche, zielte auf ihn und feuerte das ganze Magazin leer – insgesamt acht Schüsse. Sechs davon trafen den Grabowski in den Rücken, der noch im Gerichtssaal starb.

Klaus Grabowski war ein vorbestrafter Sexualstraftäter

Grabowski war damals bereits wegen des sexuellen Missbrauchs von Kindern vorbestraft und wegen seiner pädophilen Neigungen in einem psychiatrischen Krankenhaus untergebracht. Dieses hatte er nur verlassen dürfen, weil er sich freiwillig einer Kastration unterzog. Eine mit Genehmigung des Gerichts später durchgeführte Hormonbehandlung führte jedoch dazu, dass sein sexuelles Empfinden wieder gesteigert wurde.

Marianne Bachmeier Blut im Gerichtssaal

Blick über die Blutlache und Anklagebank auf die Tür, von wo aus die tödlichen Schüsse auf Klaus Grabowski fielen.

Foto:

Cornelia Gus/dpa

„Ich kann mir vorstellen, dass ich nicht hätte schießen können, wenn dieser Mensch sich umgedreht hätte und gesagt hätte, ich bitte Sie um Verzeihung“, erklärte Marianne Bachmeier später, die zu jener Zeit in der Lübecker Altstadt eine Kneipe betrieb. Sie habe die Tat nicht geplant, sondern im Affekt gehandelt, behauptete sie nach ihrer Verhaftung. Angeblich habe sie die Waffe nur getragen, um sich sicherer zu fühlen, doch der Staatsanwalt war überzeugt: „Das kann man nur, wenn man geübt hat.“ Das bestätigte auch damals ihre beste Freundin, die in der WDR-Doku „Die Rache der Marianne Bachmeier“ verriet, Bachmeier hätte sehr wohl Schießübungen gemacht hat, heimlich, im Keller unter ihrer lauten Kneipe, sodass die Nachbarn nichts mitkriegten.

Marianne Bachmeier ging es angeblich nie um Rache

In ihrer Vernehmung nach der Tat sagte Bachmeier aus, dass es ihr nicht um Rache gegangen sei. So berichtet es Klaus-Dieter Schulz, der damals als zuständiger Staatsanwalt die Vernehmungen geführt hat. „Sie sagte, sie habe verhindern wollen, dass der Angeklagte durch seine Aussage ihre Tochter öffentlich schlecht macht“, sagt Schulz. Grabowski hatte vor Gericht angegeben, das Mädchen habe eine Mark von ihm verlangt, sonst würde es erzählen, er habe es unsittlich gestreichelt, was nicht stimme.

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Die Tat der damals 31 Jahre alten Mutter führte in der Öffentlichkeit zu einer heftigen Diskussion über Selbstjustiz und den Umgang der Justiz mit Sexualstraftätern und machte die Frau über Nacht schlagartig bekannt. Zweimal wurde ihre Geschichte verfilmt. Dem Magazin „Stern“ verkaufte sie für 250.000 Mark ihre Lebensgeschichte: Mutter Kriegsflüchtling aus Ostpreußen, die sich von Mariannes Vater, einem alkoholsüchtigen ehemaligen Major der Waffen-SS, trennte, als Marianne drei Jahre alt war. Der Stiefvater, der sie verachtete und immer wieder verprügelte, steckte Marianne mit 16 in ein Heim, als sie gerade schwanger war. Sie gab das Kind zur Adoption frei. Mit 18 wurde sie erneut schwanger. Auch dieses Kind gab sie zur Adoption frei. 1973 bekam sie Tochter Anna. Am Morgen des 5. Mai 1980 verschlief Marianne Bachmeier und verpasste es, sie in die Schule zu schicken. Anna schwänzte und begegnete auf dem Weg zum Spielen ihrem Mörder.

Prozess gegen Marianne Bachmeier wurde zum Medienspektakel

Im November 1982 begann der Prozess gegen Bachmeier. „Das Interesse der Öffentlichkeit und der Presse war riesig“, erinnert sich Schulz, der damals die Anklage gegen Bachmeier vertrat. Die lautete zunächst auf Mord. Am Ende des 15 Monate dauernden Prozesses verurteilte das Landgericht sie im März 1983 wegen Totschlags zu sechs Jahren Haft, von denen sie aber letztlich nur gut zwei Jahre verbüßen musste.

Marianne Bachmeier Gericht

Marianne Bachmeier (ganz rechts, hier mit ihren drei Verteidigern) wurde im März 1983 wegen Totschlags zu einer Haftstrafe von sechs Jahren verurteilt, von der sie gut zwei Jahre verbüßte.

Foto:

picture alliance / Wulff Pfeiffer

Nach ihrer vorzeitigen Haftentlassung 1985 heiratete Bachmeier einen Lehrer aus Lübeck und zog mit ihm nach Nigeria. Nach der Scheidung verschlug es sie im Februar 1991 schließlich nach Palermo auf Sizilien, wo sie an einem Buch über ihre Geschichte schrieb. Dort bat sie 1993 eigenen Aussagen zufolge in der Rosalienkirche Gott um Vergebung für ihre Tat. „Es fiel mir sehr schwer, aber ich habe es gemacht“, erzählte sie in einem Interview mit Spiegel TV. In dem Moment sei sie endgültig frei von dieser Schuld gewesen. „Ich hatte plötzlich das Gefühl gehabt, dass ich nie schuldig gehandelt habe (…) und deshalb sage ich jetzt auch erstmals, das, was ich gemacht habe, ist gut. Das habe ich früher nie so gesehen und auch nie so gedacht.“

Marianne Bachmeier starb an Krebs

Als sie an Bauchspeicheldrüsenkrebs erkrankte, kehrte sie nach Lübeck zurück. Wenige Monate später, im September 1996, starb sie in einer Klinik in Lübeck im Alter von 46 Jahren und wurde an der Seite ihrer Tochter Anna auf dem dortigen Burgtorfriedhof beigesetzt.

Marianne Bachmeier 1995

Marianne Bachmeier im Februar 1995.

Foto:

Klaus Franke/dpa

Heute erinnert in Lübeck kaum noch etwas an Bachmeier. Das gemeinsame Grab von Mutter und Tochter wurde 2016 eingeebnet, nachdem die Liegezeit von 20 Jahren abgelaufen war. Einzig Bachmeiers ehemalige Kneipe, das „Tipasa“ in der Lübecker Altstadt, existiert noch, mit neuen Betreibern und neuem Konzept. 

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