Firmenchef zu Vier-Tage-Woche: „Dann schneiden wir uns bald selbst die Haare!“
Das Zugunternehmen Metronom streicht massiv Verbindungen, weil es an Personal fehlt. Kantinen reduzieren die Öffnungszeiten, Firmen die Reinigungsintervalle ihrer Toiletten. Der Fachkräftemangel ist im Alltag überall spürbar. Wer im Kampf um Mitarbeiter erfolgreich sein will, sollte laut Personalprofis Vier-Tage-Woche, Homeoffice und Fortbildung anbieten. Physiotherapeut Andrew Krüger lassen diese Forderungen verzweifeln: „Das können Kleinstunternehmer wie ich überhaupt nicht bezahlen!“
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Das Zugunternehmen Metronom streicht massiv Verbindungen, weil es an Personal fehlt. Kantinen reduzieren die Öffnungszeiten, Firmen die Reinigungsintervalle ihrer Toiletten. Der Fachkräftemangel ist im Alltag überall spürbar. Wer im Kampf um Mitarbeiter erfolgreich sein will, sollte laut Personalprofis Vier-Tage-Woche, Homeoffice und Fortbildung anbieten. Physiotherapeut Andrew Krüger lassen diese Forderungen verzweifeln: „Das können Kleinstunternehmer wie ich überhaupt nicht bezahlen!“
Ein Patient liegt auf einer Therapieliege, Andrew Krüger steht über ihn gebeugt und streicht ruhig und gleichmäßig über einen Muskel, hebt dann den Arm des Patienten kontrolliert und legt ihn wieder ab. Krüger ist Physiotherapeut und hat sich vor vielen Jahren eine Praxis in Otterndorf bei Cuxhaven aufgebaut. „Was wir hier tun, das braucht Zeit, Ruhe und Geduld“, sagt der 62-Jährige. „Die Arbeit ist sehr personalintensiv.“
Wenn der Physiotherapeut die ganzen Forderungen nach höheren Löhnen, Vier-Tage-Woche, Homeoffice und Work-Life-Balance hört, dann wünscht er sich manchmal, „dass möglichst viele darauf hören und zu den Unternehmen wechseln, die so etwas finanzieren können“. Krüger: „Dann reparieren wir bald unsere Heizungen, Autos, Waschmaschinen selber, bauen unsere Häuser selber, schneiden uns selbst die Haare, therapieren den Bandscheibenvorfall mit Hilfe einer App und können die Gehaltserhöhungen nicht mehr beim Italiener verfuttern, sondern müssen selber kochen.“
Ein Fünftel weniger Umsatz
Er kann den Ruf nach der Vier-Tage-Woche bei vollem Lohnausgleich und anderen guten Lockangeboten für Mitarbeiter nicht mehr hören. „Wie soll ich das als Kleinunternehmer schaffen? Das ist doch eine Schnapsidee“, sagt er. Natürlich würde er seinen zwölf Angestellten das auch gern ermöglichen. Aber er hätte ein Fünftel weniger Umsatz. „Und ich müsste eine weitere Kraft einstellen. Wo soll die überhaupt herkommen, bei dieser Lage auf dem Arbeitsmarkt?“
Das gilt ebenso in der Pflege und vielen anderen Bereichen, die weniger Arbeitszeit nicht durch höhere Effizienz ausgleichen können und in denen eh schon Personalmangel besteht. Da nützt es wenig, dass laut Arbeitspsychologen die Vier-Tage-Woche mit einer hohen Zufriedenheit, einer besseren Gesundheit und einer höheren Work-Life-Balance einhergeht. Wenn Pfleger bei gleichem Lohn weniger arbeiten, dann steigen zudem die Pflegekosten. Arbeiten Lokführer nur noch vier Tage bei vollem Lohnausgleich, so sind höhere Fahrpreise zu erwarten.
Arbeitszeit kann nicht weiter verdichtet werden
Physiotherapeuten wie Krüger können ihre höheren Kosten gar nicht an die Kunden weitergeben. Sie sind an staatliche Vorgaben gebunden. Von Personalagenturen gern ins Feld geführte Anreizsysteme, die einen höheren Output bei Mitarbeitern erzeugen sollen, sind bei Krügers Berufsbild völlig undenkbar. Selbst das Umschichten der Wochenarbeitszeit auf vier Tage ohne Reduzierung ist dort kaum möglich. „Die Arbeitsdichte ist doch eh schon hoch. Meine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter kümmern sich um 24 Patienten am Tag.“ Das sei eine in vielerlei Hinsicht äußerst anstrengende Arbeit.
Seit Februar läuft ein Pilotprojekt, bei dem 45 deutsche Unternehmen die Vier-Tage-Woche testen. Sie haben größtenteils zwischen zehn und 50 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Viele der Unternehmen sind aus der IT-Branche. Die Unternehmen sollen das Modell 100-80-100 verfolgen: 100 Prozent Leistung in 80 Prozent der Zeit bei 100 Prozent Bezahlung.
Patienten wollen nicht am Fließband behandelt werden
In der gleichen Zeit noch mehr Patienten zu behandeln, das wäre laut Krüger für Physiotherapeuten aber gar nicht erlaubt. Denn die Vergütung über das Gesundheitssystem ist darauf ausgerichtet, dass pro Patient 15 bis 25 Minuten veranschlagt werden. Und natürlich wollen auch die Patienten nicht behandelt werden, wie ein Autoteil auf dem Fließband.
Sein Verdienst als Kleinstunternehmer sei dabei auch nicht höher als im Bevölkerungsdurchschnitt. „Obwohl ich 50 bis 60 Stunden in der Woche arbeite.“ Und Urlaub sei nur zwei bis drei Wochen im Jahr möglich. Seine Rente wird äußerst gering ausfallen, schildert er, „ich habe das ganze Geld in die Praxis gesteckt, das ist meine Rente.“ Er selbst sei mit seinen 62 Jahren bereits am Ende seiner beruflichen Laufbahn angekommen, aber für junge Unternehmer sehe es düster aus. „Die bekommen langsam kalte Füße bei der Lage. Alle Kosten steigen und man weiß nicht, wo das Personal herkommen soll.“
„Und ich sehe doch, dass überall Arbeitskräfte fehlen“, schildert der Physiotherapeut. „Wir haben nur noch einen Schlachter im weiten Umfeld, viele Gastronomiebetriebe haben geschlossen.“ Daher will er von „Work-Life-Balance“ gar nichts hören. „Das ist was für große Industrieunternehmen, wir Kleinen können das nicht.“ Er ergänzt: „Wir bekommen auch keine Subventionen, schlagen uns mit einer absurden Bürokratie herum, dem kompliziertestes Steuersystem und unendlich viele Auflagen aller möglichen Behörden.“
Knappe Mehrheit für Vier-Tage-Woche
Eine Umfrage des Dachverbands der Betriebskrankenkassen unter 3000 Beschäftigten ergab im vergangenen Jahr, dass eine knappe Mehrheit für die Vier-Tage-Woche ist. In einer Befragung der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung gaben sogar rund 81 Prozent der Arbeitnehmer an, sich eine Vier-Tage-Woche zu wünschen. Aber: Knapp 73 Prozent können sich das nur bei gleichem Lohn vorstellen.
Bei der Handwerkskammer wird die Vier-Tage-Woche nicht so verteufelt. Allerdings geht es im Handwerk meist darum, die gleiche Arbeitszeit auf vier statt fünf Tage zu verteilen – und nicht um weniger Stunden, wie viele Arbeitnehmer es sich wünschen. „Die Verteilung der Wochenarbeitszeit auf vier Tage kann ein sehr wirkungsvolles Instrument sein, das einigen Betriebe des Handwerks gut in ihre Betriebsabläufe integrieren können“, sagt die Sprecherin der Handwerkskammer Hamburg Christiane Engelhardt. Einige Betriebe im Innenausbau, im Heizungsbau und dem Metallbau hätten Vier-Tage-Arbeitszeitmodelle bereits eingeführt und seien damit sehr zufrieden.
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Für Andrew Krüger funktioniert das nicht. Er wünscht seinen Mitarbeitern alles erdenklich Gute und einen möglichst hohen Verdienst. „Aber wir sind als Gesellschaft nicht mehr in der komfortablen Situation, immer noch mehr zu fordern, denn das Ende der Fahnenstange ist erreicht. Auch wenn wir alle kleine Abstriche machen müssen, wird es uns immer noch besser gehen als einem großen Teil der restlichen Erdbevölkerung.“