Pastor warnt vor „netten, neuen Nachbarn“: Die infamen Tricks der Rechtsextremen
Völkische Gruppen und Familien infiltrieren norddeutsche Dörfer, kaufen gezielt alte Höfe auf – um ihre rechtsextreme Ideologie unter den Bewohnern zu verbreiten. Sie sprechen von „Umvolkung“, „Ausrottung der deutschen Rasse“ und einer „alliierten Besatzung“. Der ehemalige Pastor Martin Raabe aus Ebstorf (Landkreis Uelzen) warnt mit seinem Verein „beherzt“ vor diesen Menschen und ihrem Gedankengut. Mit der MOPO hat er über das Netzwerk der „netten neuen Nachbarn“, über ihre subtilen Strategien und ihre Einflussnahme in die Politik gesprochen.
Völkische Gruppen und Familien infiltrieren norddeutsche Dörfer, kaufen gezielt alte Höfe auf – um ihre rechtsextreme Ideologie unter den Bewohnern zu verbreiten. Sie sprechen von „Umvolkung“, „Ausrottung der deutschen Rasse“ und einer „alliierten Besatzung“. Der ehemalige Pastor Martin Raabe aus Ebstorf (Landkreis Uelzen) warnt mit seinem Verein „beherzt“ vor diesen Menschen und ihrem Gedankengut. Mit der MOPO hat er über das Netzwerk der „netten neuen Nachbarn“, über ihre subtilen Strategien und ihre Einflussnahme in die Politik gesprochen.
MOPO: Herr Raabe, rechtsextreme Siedler lassen sich in Dörfern Norddeutschland nieder. Wie kann das sein?
Martin Raabe: Dieses Phänomen ist nicht plötzlich gekommen, sondern hat sich über eine lange Zeit entwickelt. Wir haben in Norddeutschland eine Reihe an alt eingesessenen Familien und Sippen, die nach wie vor hier aktiv sind. Außerdem kaufen völkische Gruppen für wenig Geld Höfe in Dörfern auf und nutzen die ländlichen Gebiet als Rückzugs- und Vernetzungsräume.
„Die völkischen Gruppen haben fürchterliche Angst vor der sogenannten ,Umvolkung’“
Was treibt diese Gruppierungen an?
Die völkischen Gruppen haben fürchterliche Angst vor der sogenannten „Umvolkung“ – also davor, dass sie „überfremdet“ oder von Ausländern „verdrängt“ werden und dass Deutschland irgendwann nicht mehr „deutsch“ ist. Sie haben Angst, von Geflüchteten „ausgerottet“ zu werden. Und deshalb wollen sie ihre Sippen unbedingt erhalten und dafür brauchen sie neue Mitglieder und viel Nachwuchs.
Denken diese völkischen Gruppen also genauso wie der typische „Springerstiefel-Nazi“?
Diese „Springerstiefel-Generation“ gibt es gar nicht mehr als solche. Die haben gemerkt, dass sie mit einem solchen Auftreten nicht weiterkommen. Hinter diesen völkischen Gruppen steht ein Netzwerk mit unterschiedlichsten Gruppierungen, die jeweils inhaltliche Schwerpunkte haben. Das geht von medizinisch ausgerichteten Gruppen über religiösen Verbänden bis hin zu Jugendorganisationen. Und diese Gruppen sind untereinander extrem gut vernetzt. Sie haben alle den gemeinsamen Konsens: Die Demokratie ist falsch, „undeutsch“ und muss deshalb abgeschafft werden. Stattdessen wollen sie eine andere Gesellschaft etablieren.
Wie sieht diese andere Gesellschaft aus?
Das ist eine Gesellschaft wie vor der Aufklärung mit klaren Führungsstrukturen, einer klaren Justiz. Sie wollen die allgemeine Schulbildung abschaffen, zurück zur absoluten Selbstversorgung. Mit der Reichsbürgerszene kommt die Ansicht hinzu, dass es nach wie vor keinen Friedensvertrag gibt und Deutschland unter alliierter Besatzung steht.
„Das sind die total netten, neuen Nachbarn“
Wie gehen die Gruppen dann in den Dörfern vor?
Sie versuchen, in der Dorfgemeinschaft wirksam zu werden – im Kindergarten, in der Feuerwehr, im Sportverein. Das sind die total netten, neuen Nachbarn. Sie versuchen, die Meinungshoheit über die Stammtische zu gewinnen und über kollegiale und freundschaftliche Beziehungen ihre Ideologie zu verbreiten – direkt in die Mitte der Gesellschaft. Und genau hier liegt das Problem: Das ist ein total subtiles Vorgehen. Teilweise wird den anderen Dorfbewohnern erst nach mehreren Jahren deutlich, mit welchen Menschen sie es überhaupt zu tun haben.
Also äußerlich kann man diese Rechtsextremen nicht erkennen?
Im ersten Augenblick nicht, nein. Ein bisschen merkwürdig wird es dann, wenn die Gruppen offensiver auftreten und die Männer dann Kniebundhosen und weite Baumwollhemden tragen und die Frauen in langen Kleidern durchs Dorf gehen. Dann wird es offensichtlicher und auch das Stirnrunzeln der anderen Dorfbewohner wird größer.
Sie engagieren sich mit ihrem Verein „beherzt“ gegen rechte Gedankengut. Wie genau?
Unser Engagement liegt darin, erstmal über diese Gruppierungen und ihre Verbreitung aufzuklären. Hierfür gehen wir in die Dorfgemeinschaften, in Vereine, in Schulen. Wir halten Vorträge, gehen mit Dorfbewohnern ins Gespräch, um sie und ihre Positionierung für Vielfalt, Offenheit und Demokratie zu stärken.
Außerdem haben wir ein Symbol entwickelt: Ein pink-gelbes Kreuz aus Holz mit der Aufschrift „Kreuz ohne Haken – für Vielfalt“. Dieses Kreuz stellen sich Menschen an ihre Toreinfahrt und zeigen damit: Dieses rechte Gedankengut von den völkischen Gruppen hat bei uns keinen Platz.

Wie sind die Reaktionen, wenn sie mit den Dorfbewohnern ins Gespräch gehen?
In der Regel sagen uns die Leute: „Jetzt verstehen wir endlich, was diese Familien von uns wollen, in welchem Zusammenhang das steht.“ Dann kommt aber auch so eine gewisse Sorge auf, wenn die Dorfbewohner sehen, wie nah die Verknüpfung zwischen ihrem eigenen, unbedachten Denken und dem völkischen Gedankengut ist – denn das passiert ganz unbewusst.
Wie verändert sich das Leben im Dorf, wenn die Bewohner merken, dass Rechtsextreme unter ihnen leben?
Nach meiner Erfahrung gibt es in diesen Fällen drei unterschiedliche Reaktionen: Da sind einige Dorfbewohner, denen gefällt das rechte Gedankengut. Der Großteil schweigt. Und eine kleine Gruppe versucht dagegen anzugehen. Das Problem ist: Die völkischen Gruppen machen sich in der Regel nicht strafbar. Wir können diese Familien nicht von ihren Höfen jagen, das geht schlichtweg nicht. Es geht um die Auseinandersetzung und das Bewusstsein im Dorf, mit diesen Menschen und ihrem Gedankengut im Dorf zu leben.
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Suchen die völkischen Gruppen denn auch den Weg in die Kommunalpolitik?
Ja, das tun sie. Zum Beispiel sind Rechte aus Schleswig-Holstein in die Nähe von Ludwigslust gezogen, waren dort wieder die furchtbar netten Nachbarn und wurden anschließend in den Gemeinderat gewählt. Zudem gibt es enge, persönliche Verbindungen zwischen den völkischen Gruppen und der AfD. Die AfD ist sozusagen der politische Arm der Gruppierungen.
Müssen wir Angst haben, dass diese Gruppen auf kommunaler Ebene Übermacht nehmen?
Die größte Gefahr, die ich sehe, ist die: Der größte Teil der Bevölkerung auf dem Land geht mit dem Gedankengut undifferenziert um. Genau das versuchen wir zu durchbrechen, um eine weitere Verbreitung verhindern. Je mehr Menschen aufgeklärt werden über das Gedankengut der Rechten, desto weniger besteht die Gefahr, dass sie stärker werden.