Der Run auf Nord- und Ostsee: Hilfe, wir sind am Limit!
Die Strände voll, die Orte zugeparkt bis in die Straßengräben – viele Badeorte an Nord- und Ostsee werden im Sommer fast zu Tode geliebt. Und während die Urlaubsregionen am Mittelmeer unter Hitzewellen und Waldbränden ächzen, bringt der Klimawandel dem Norden angenehm stabile Hochdruckgebiete – was die Liebe der Touris nur noch anheizt. Scharbeutz, Sankt Peter-Ording und andere Bäder stoßen an ihr Limit.
Ein flehentlicher Facebook-Post machte Bettina Schäfer, Bürgermeisterin der Gemeinde Scharbeutz, im Jahr 2020 bundesweit bekannt: „Liebe Bürgerinnen und Bürger, liebe Gäste, unsere Küstenorte Scharbeutz und Haffkrug haben die Kapazitätsgrenze erreicht. Bitte reisen Sie nicht mehr an! Wir werden die Orte sperren und nur noch den Verkehr ableiten.“ Ein Ostseebad wegen Überfüllung geschlossen.
2020: Scharbeutz wegen Überfüllung geschlossen
Die Strände voll, die Orte zugeparkt bis in die Straßengräben – viele Badeorte an Nord- und Ostsee werden im Sommer fast zu Tode geliebt. Und während die Urlaubsregionen am Mittelmeer unter Hitzewellen und Waldbränden ächzen, bringt der Klimawandel dem Norden angenehm stabile Hochdruckgebiete – was die Liebe der Touris nur noch anheizt. Scharbeutz, Sankt Peter-Ording und andere Bäder stoßen an ihr Limit.
Ein flehentlicher Facebook-Post machte Bettina Schäfer, Bürgermeisterin der Gemeinde Scharbeutz, im Jahr 2020 bundesweit bekannt: „Liebe Bürgerinnen und Bürger, liebe Gäste, unsere Küstenorte Scharbeutz und Haffkrug haben die Kapazitätsgrenze erreicht. Bitte reisen Sie nicht mehr an! Wir werden die Orte sperren und nur noch den Verkehr ableiten.“ Ein Ostseebad wegen Überfüllung geschlossen.
2020: Scharbeutz wegen Überfüllung geschlossen
Eine absolute Ausnahmesituation, betont die Bürgermeisterin rückblickend gegenüber der MOPO: „Die Sperrung des Ortes war allein eine Folge der Coronapandemie und nichts anderes.“ Es war Pfingsten, es war heiß, die Leute konnten nicht ins Ausland verreisen und so musste der Ort an der Lübecker Bucht irgendwann die weiße Fahne hissen.

Total überrannt: Was die deutschen Küstenbäder während der Pandemie erlebt haben, geht auf kein Handtuch, äh, keine Kuhhaut. In diesem Sommer aber starten wieder Flieger nach Malle und Antalya, was sich an den heimischen Stränden sofort bemerkbar macht: „Der Nachfragedruck ist in dieser Saison viel geringer als in den Corona-Sommern“, sagt Katharina Schirmbeck, Tourismusdirektorin von Sankt Peter-Ording: „Was wir damals erlebt haben, wenn nicht gerade Lockdown war, war unglaublich.“ Wenn die Lübecker Bucht die Badewanne der Hamburger ist, dann ist der breite Strand von Sankt Peter-Ording ihr Sandkasten.
Weniger Tagesgäste an den Küsten
Auch Sven Partheil-Böhnke, Bürgermeister von Timmendorfer Strand, erinnert sich lebhaft an den Wahnsinn in den Pandemiesommern: „Wir hatten so viele Urlauber und Tagestouristen, dass die Orte das kaum fassen konnten.“ Und dieses Jahr? Besonders die Tagesgäste seien im Sommer 2022 weniger geworden, ist einhellig an Nord- und Ostsee zu hören, trotz des 9-Euro-Tickets. „Das hat vermutlich auch mit der Inflation und den Benzinpreisen zu tun“, sagt Katharina Schirmbeck: „Und mit der Unsicherheit, was im nächsten Jahr auf der Heizrechnung steht.“

Die berühmte „Strandampel“, die per App anzeigt, welche Strandabschnitte in Scharbeutz und Timmendorfer Strand noch Platz haben, stand in dieser Saison an deutlich weniger Abschnitten auf dem abschreckenden „rot“: „Heute hat die Strandampel eine andere Aufgabe“, sagt Scharbeutz-Bürgermeisterin Bettina Schäfer: „Jeder kann für sich selbst entscheiden, ob er mitten ins Geschehen möchte oder sich vielleicht doch lieber einen etwas ruhigeren Strandabschnitt in den Randbereichen suchen möchte.“
Von „Übertourismus“ in Schleswig-Holstein will keiner der Tourismusprofis an Nord- und Ostsee sprechen, von Problemen aber schon: Bezahlbare Wohnungen für Einheimische, Arbeitskräfte in der Gastronomie, Parkplätze – alles Mangelware. „Anders als früher müssen Restaurants in Timmendorfer Strand in der Hochsaison tageweise schließen, weil sie kein Personal haben“, sagt Sven Partheil-Böhnke: „Das ist für einen Touristenort natürlich ein fatales Signal, aber das ist überall so.“
Timmendorf kämpft gegen „Versyltung“
Im vergangenen Jahr hat er die Bürgermeisterwahl in Timmendorfer Strand gewonnen – mit einem zentralen Wahlversprechen: bezahlbarer Wohnraum für Dauermieter. „Der Versyltung haben wir einen Riegel vorgeschoben, indem wir Gebiete ausgeschrieben haben, in denen Ferienwohnungen und Zweitwohnungen ausgeschlossen sind. Wo jetzt neu gebaut wird, entstehen Wohnungen zur Dauernutzung.“

Und die Sache mit den Parkplätzen? Die nervt die Timmendorfer tatsächlich kolossal, sagt der Bürgermeister. Auch wenn alle wissen, dass das kommode Leben in dem Badeort nur den Gästen zu verdanken ist – keiner will Touristenautos, die von morgens bis abends Supermarktparkplätze und Feuerwehrzufahrten blockieren und noch den letzten Grünstreifen vollparken. Dann wird abgeschleppt, auch wenn die Gäste jammern, dass sie zum illegalen Parken ja quasi gezwungen sind.
Braucht der Ort vielleicht ein großes Parkhaus? Auf keinen Fall, sagt Partheil-Böhnke. Die Parkplätze seien ja gerade das Steuerinstrument für die Tagesgäste: „Wenn alle Parkplätze besetzt sind, dann ist das das Signal: Der Ort ist voll, fahrt bitte weiter.“

35.000 Menschen leben in der Saison in Timmendorfer Strand, davon rund 8600 Einheimische, plus die große Masse Übernachtungsgäste. Und wenn dann noch bis zu 8.000 Tagesgäste dazu kommen, ist irgendwann Schicht am Strand.
Timmerndorfer Strand schafft Gratis-Parkplätze ab
Bisher gibt es 4.500 kostenfreie Parkplätze: „Das wird sich aber am Ende der Saison ändern. Wem es dann zu teuer ist, der kann immer ausweichen an Küstenorte, die weniger besucht sind.“ Das Ziel: Den Andrang auf die ganze lange Küste verteilen, schließlich gibt es nicht nur die Lübecker Bucht, sondern etwa auch die Hochwachter Bucht.
Auch die Tourismusdirektorin von Sankt Peter-Ording weiß, was den knapp 4000 Einwohnern bei aller Freude über die Einnahmen aus dem Tourismus auf den Geist geht: „Einheimische und Gäste konkurrieren um die Infrastruktur.“ Heißt: Wenn in den Sommerferien Anreisetag ist, dann wird’s eng im örtlichen Supermarkt.

Sankt Peter Ording hat 17.000 Gästebetten, dazu 5000 Zweitwohnungen und an heißen Wochenenden auch mal 5000 Tagesgäste. Laut einer Tourismus-Akzeptanzstudie von 2020 finden 68 Prozent der Teilnehmer, es gebe zu viele Touristen in Sankt Peter-Ording. Katharina Schirmbeck: „Da müssen uns auch um die nicht-touristische Infrastruktur kümmern, etwa dass wir einen zusätzlichen Supermarkt bekommen und eine zweite Apotheke.“
Prognosen für Nord- und Ostsee
Und wie überall in den Lieblingsorten der Touris gilt auch in „SPO“: Leute, die dauerhaft im Ort arbeiten wollen (und in den Betrieben sehnlichst erwartet werden), finden keine Wohnung, weil alles an Feriengäste vermietet wird. Eine private Initiative hat im vergangenen Jahr etwas Neues ausprobiert: Mehrere Hoteliers schlossen sich zum „Nordsee-Kollektiv“ zusammen und gründeten das „Crewhouse“. 16 Zimmer für neue Köchinnen, Kellner und Hotelfachkräfte, die sich von hier aus in Ruhe auf Wohnungssuche begeben können. „Das ist super angekommen“, sagt Christian Sroka vom beteiligten „Beach Motel“: „Die Bewerber fragen gezielt danach, die Plätze waren durchgehend belegt.“
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Wie es weitergeht in den heißgeliebten Badeorten? Man sei für die Zukunft gerüstet, betonen alle Tourismus-Profis auf Nachfrage. Katharina Schirmbeck erklärt aber auch die Schwierigkeit der Prognose: „Tourismus ist ein sehr unbeständiges Geschäft. In diesem Jahr etwa sind die Hotelpreise in der Türkei unerwartet günstig, weil die russischen Touristen fehlen. Das merken wir hier sofort.“