Eine blonde Frau

Die abgesetzte Moderatorin Julia Ruhs moderierte das NDR-Format „Klar“. Foto: picture alliance/dpa/NDR Norddeutscher Rundfunk | NDR/BR/Markus Konvalin

Debatte um Ruhs: Wie der NDR auf kritische Fragen reagiert

Das ARD-Reportage-Format „Klar“ sollte heikle gesellschaftliche Themen wie Migration, Armut und Zerrissenheit im Land diskutieren – kontrovers und ohne Tabus. Doch schnell wurden der Sendung Einseitigkeit und Nähe zu rechtspopulistischen Deutungen vorgeworfen. Am Mittwoch trennte sich der NDR von Moderatorin Julia Ruhs. Aber warum genau? Das blieb unklar. Die wichtigsten Fragen und Antworten.

Warum wurde Julia Ruhs entlassen? 

Antworten des NDR auf eine MOPO-Anfrage blieben reichlich vage. Auslöser war womöglich die Pilotfolge „Migration – Was falsch läuft“. Das vermuten zumindest Fans des Formats. Bislang gab es drei Pilotfolgen – neben Migration auch eine zu den Bauernprotesten und eine über die Folgen der Corona-Pandemie. Nach drei ausgestrahlten Folgen entschied der NDR, Ruhs nicht mehr einzusetzen.

Wer kritisierte das Format?

Die Kritik kam aus verschiedenen Richtungen. ZDF-Reporterin Nicole Diekmann spottete öffentlich über Ruhs’ Selbstinszenierung. Satiriker Jan Böhmermann nannte die Sendung „rechtspopulistischen Quatsch“. NDR-Journalistin Anja Reschke unterstellte „Klar“ in einem satirischen Beitrag gar, rechtsextreme Positionen zu verbreiten – wofür sich der NDR später entschuldigte. 

Nach der ersten Sendung soll es intern laut „Welt“ eine regelrechte Abrechnung gegeben haben, später sollen fast 250 Mitarbeiter einen Protestbrief an die Chefredaktion unterschrieben haben. Der Vorwurf: mangelnde Ausgewogenheit. Nach Angaben mehrerer Mitarbeiter des NDR heißt es in dem Brief, dass die Auftaktsendung zu Migration einer „Reihe von Grundsätzen unserer journalistischen Arbeit“ und dem „öffentlich-rechtlichen Auftrag gemäß NDR-Staatsvertrag“ nicht nachkomme. „Wir distanzieren uns von dieser Produktion und wünschen uns eine Aufarbeitung der Entscheidungen, die dazu geführt haben, dass dieser Film so über den Sender gegangen ist.“

Vom NDR hieß es dazu, man fördere eine „offene Diskussionskultur“. „Die Mitarbeitenden haben ihre interne Stellungnahme vor Ostern 2025 verfasst und damals ausdrücklich darauf hingewiesen, dass sie keine Veröffentlichung wünschen“, sagte eine Sprecherin auf Anfrage der Deutschen Presse-Agentur. Man wolle diesen Wunsch respektieren und sich dazu nicht äußern.

Was sagt Julia Ruhs zu ihrer Entlassung? 

Die Entlassung sei für Ruhs und ihr Team absolut unverständlich. „Ich bin zutiefst enttäuscht, ja fassungslos über die Entscheidung des NDR, genauso wie mein gesamtes KLAR-Team“. Dass sie das Format nicht weiter moderieren dürfe, sei ein „Armutszeugnis“. Sie wirft dem NDR „Cancel Culture“ vor, den Chefs fehle der „Mut, sich auch mal querzustellen“.

„Mein ‚KLAR‘-Team und ich persönlich haben unglaublich viel Zuspruch für unser Format bekommen, von Menschen, die eigentlich schon das Vertrauen in den öffentlich-rechtlichen Rundfunk und die dortige Meinungsvielfalt verloren haben“, sagte sie der Deutschen Presse-Agentur. „Wir haben also das geschafft, wovon die Sender immer träumen – eine verlorene Zielgruppe zurückzugewinnen.“ Die 1994 geborene Journalistin stammt aus Baden-Württemberg und veröffentlichte 2025 ihr Buch „Links-grüne Meinungsmacht – Die Spaltung unseres Landes“.

Wie reagiert die Politik? 

Vor allem aus der CDU kommt scharfe Kritik. Der Hamburger Bundestagsabgeordnete Christoph de Vries spricht von einem „skandalösen“ Umgang. Schleswig-Holsteins Ministerpräsident Daniel Günther, der am Mittwochabend eine NDR-Veranstaltung mit dem neuen Intendanten schwänzte und stattdessen bei einer Lesung von Ruhs auftauchte, spricht von einem „extrem schlechten Signal“.

CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann spricht von einem „neuen Tiefpunkt in Sachen Debattenkultur“ und forderte Konsequenzen: Die Gebühren müssten eingefroren werden, um Reformen zu erzwingen. Der CSU-Chef und bayerische Ministerpräsident Markus Söder schrieb auf der Plattform X: „Das ist kein gutes Signal für die Meinungsfreiheit, Pluralität und Toleranz im öffentlich-rechtlichen NDR.“ Konservative Stimmen gehörten zum demokratischen Meinungsspektrum, „auch wenn das einigen Linken nicht gefällt“. Unionsfraktionschef Jens Spahn kritisierte die Entscheidung des NDR als „sehr problematisch“.

Linken-Fraktionschefin Heidi Reichinnek kritisierte die Absetzung der Moderatorin im Gespräch mit dem „Spiegel“. „Es ist halt wirklich hochproblematisch, wenn auf Druck von irgendeiner Seite etwas abgesetzt wird“, sagte sie. Aus dem Kreis von SPD und Grünen gab es auch Zuspruch für die Entscheidung.

Wie begründet der NDR offiziell den Rauswurf? 

Konkrete Rückfragen beantwortete der NDR auf MOPO-Nachfrage nicht. Stattdessen erklärte der Sender allgemein, dass ihm „Perspektivenvielfalt im Programm“ wichtig sei. NDR-Programmdirektor Frank Beckmann erklärte in einer Sendung des NDR, dass die Themen und nicht ein Moderator im Mittelpunkt des Formats stehen sollten.

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Wie geht es jetzt mit dem Format weiter? 

Der NDR kündigte an, das Format 2026 fortzusetzen – mit mehr Folgen und mehreren Moderatoren. Beckmann sagte: „Für uns war es eigentlich eher logisch, zu sagen, dass wenn man über das Thema Meinungspluralität redet, man dann durchaus auch mit mehreren Köpfen die Sendung präsentieren kann.“ Diese Entscheidung habe man dann nach Ansicht der Pilotsendungen getroffen. Wer die Nachfolge von Ruhs antreten soll, ist noch offen. Der Bayerische Rundfunk möchte hingegen weiter mit Ruhs zusammenarbeiten. (mit dpa)

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