Batteriefabrik, Windkraft, LNG, Wasserstoff: Der Norden wird zur Boom-Region
Abgesehen von Tourismus und Windenergie hat Schleswig-Holsteins Westküste lange kaum große wirtschaftliche Perspektiven offenbart. Nun mausert sich die einst strukturschwache Region zum großen Hoffnungsträger für Schleswig-Holstein. Das neue Zauberwort heißt dabei Wasserstoff. Ein Überblick über die neuen Technologien und Projekte.
Abgesehen von Tourismus und Windenergie hat Schleswig-Holsteins Westküste lange kaum große wirtschaftliche Perspektiven offenbart. Nun mausert sich die einst strukturschwache Region zum großen Hoffnungsträger für Schleswig-Holstein. Das neue Zauberwort heißt dabei Wasserstoff.
„Die Energiewende hat den Standort interessant gemacht“, sagt Wirtschaftsminister Bernd Buchholz (FDP). Vom Bund geförderte Großvorhaben wie ein LNG-Terminal für Flüssigerdgas in Brunsbüttel, eine Batteriefabrik bei Heide – das wie auch diverse Wasserstoffprojekte verheißen tausende neue Arbeitsplätze und einen Technologiesprung für Schleswig-Holstein.
Neue Technologien versprechen Industrieentwicklung im Norden
Während aber einige Technologien der Energiewende wie Windräder schon bekannt sind, gibt es auch viele neue Vorstöße: So baut die Raffinerie Heide eine Großanlage, die mit Strom aus erneuerbaren Energien klimaneutralen Wasserstoff, auch grünen Wasserstoff genannt, erzeugen wird. Kombiniert mit Kohlenstoffdioxid (CO₂) aus dem Zementwerk Lägerdorf sollen daraus Methanol und andere synthetische Kraftstoffe hergestellt werden. „So bringt an der Westküste die Energiewende zugleich eine industrielle Wende“, sagt Buchholz.
„Bei Wasserstofftechnologien sind wir mit unterschiedlichen Projekten ganz vorn dabei.“ Diese Chancen müssten jetzt auch genutzt werden, so Buchholz. Es gehe um Flächen und auch um Infrastruktur bis hin zu Wohnmöglichkeiten für tausende neue Arbeitskräfte in der Region.
Wasserstoff ist dabei der zentrale Faktor für eine umweltfreundliche industrielle Entwicklung an der Westküste, die neue hochwertige Arbeitsplätze und einen Modernisierungsschub für die Wirtschaft verspricht. Schon jetzt sieht ein Gutachten für 2030 im Land einen Bedarf von 1,8 Terawattstunden an grünem Wasserstoff. Dieser werde für die klimaneutrale Herstellung von Rohstoffen in der Industrie und als Energieträger für alternative Antriebe im Verkehr benötigt.
Besondern viel Wasserstoff werden die Industrieparks an der Westküste in Brunsbüttel sowie Tankstellen benötigen – laut dem Gutachten wird das windreiche Land 2030 jedoch ausreichend Strom aus erneuerbaren Quellen erzeugen können, um den eigenen Stromverbrauch zu decken und grünen Wasserstoff für sich und andere Länder zu produzieren.
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Grünstrom wird bisher bei sehr viel Wind und Sonne wegen Netzengpässen oft „abgeregelt“, also nicht genutzt. Die Lösung: In Angebotsspitzen aus dem Überangebot an Energie Wasserstoff erzeugen – das Element kann als Energiespeicher genutzt werden. Die Herstellung erfolgt per Elektrolyse, bei der mit Hilfe von Strom Wasser in Wasserstoff und Sauerstoff zerlegt wird. Wasserstoff kann so auch in der Industrie fossiles Gas ersetzen: Bei der Reduktion des CO₂-Ausstoßes, auch Dekarbonisierung genannt, des Lkw-Verkehrs etwa, wo hohe Leistung und Reichweite gefragt sind. Auch für Langstrecken mit dem Auto ist Wasserstoff als Energieträger verwendbar.
Das Potenzial in Schleswig-Holstein für grünen Wasserstoff ist deshalb so groß, weil hier viel Wind weht und Flächen oft leichter verfügbar sind als anderswo. Und pfiffige Bauern haben schnell gelernt, dass man mit Windstrom gut Geld verdienen kann. Beste Voraussetzungen also für viele neue Technologien und Projekte:
Batteriefertigung: Ganz frisch haben Regierung und die schwedische Firma „Northvolt“ eine Absichtserklärung zum Bau einer Batteriezellfertigung nahe Heide unterzeichnet, die MOPO berichtete. 3000 Arbeitsplätze sind geplant. 2025 soll die Produktion starten. Auch eine Anlage zum Recycling von Altbatterien ausrangierter E-Autos ist vorgesehen. „Ein solches Projekt wird auch eine Sogwirkung entfalten und andere Unternehmen anlocken“, sagt Buchholz.
„WESTKÜSTE 100“: Das ist eine branchenübergreifende Partnerschaft aus leistungsstarken Unternehmen, der Entwicklungsagentur Region Heide und der Fachhochschule Westküste. Vorgesehen ist, grünen Wasserstoff für die Produktion klimafreundlicher Treibstoffe für Flugzeuge zu nutzen und ihn auch in Gasnetze einzuspeisen. Auch der Düngemittelkonzern „Yara“ will seine Ammoniak-Produktion im ChemCoast Park Brunsbüttel durch Umstellung auf grünen Wasserstoff dekarbonisieren, jährlich sollen so über 265.000 Tonnen CO₂ eingespart werden.
„E-Farm“: In Nordfriesland entsteht mit dem von dem Energieunternehmen „GP Joule“ initiierten Verbundprojekt eine grüne Wasserstoff-Infrastruktur. Dazu werden fünf Wasserstoffproduktionsstandorte in der Nähe zu Windparks, zwei Wasserstoff-Tankstellen in Husum und Niebüll, zwei Brennstoffzellenbusse für den Linienverkehr und zunächst 30 Brennstoffzellen-Pkw gehören.
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„Aquaventus“: Die Projekte dieser Initiative reichen von der Entwicklung von Offshore-Windanlagen mit integrierter Wasserstofferzeugung über eine zentrale Abnahmepipeline, maritime wasserstoffbasierte Anwendungen bis zu einer Forschungsplattform.
Batteriezellenforschung: 2021 hat der Aufbau des Forschungszentrums für Angewandte Batterietechnologie in Itzehoe begonnen, in dem unter anderem schnell ladende Batterien erforscht werden sollen. Das Land steuert zu den mit 9,5 Millionen Euro kalkulierten Gesamtkosten 5,5 Millionen bei.
Forschung und Lehre: Regierung und Fachhochschule Westküste beraten über einen neuen Studiengang Erneuerbare Energien. Die Hochschule hat schon ein Institut für die Transformation des Energiesystems.
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Aquakultur: Die in Büsum ansässige Gesellschaft für Marine Aquakultur forscht an besseren Haltungssystemen für Fische und an Futter. Mit der Ansiedlung einer Forschungsstelle einer dänischen Futterfirma und von Start-ups besteht ein international vernetztes Forschungscluster.
Infrastruktur: „Im digitalen Bereich sind wir mit unserem Glasfasernetz gut aufgestellt“, sagt Buchholz. Über die A23 sei der Anschluss der Region Heide an den Großraum Hamburg gewährleistet, aber die A20 samt Elbquerung werde benötigt, damit die Unternehmen Vorprodukte gut herbekommen und Endprodukte zurück. Auch der Schienenverkehr Richtung Hamburg müsse schneller werden.
Arbeitskräfte: Der „Importbedarf“ sei gewaltig, sagt Buchholz. Zwar könnten in den nächsten Jahren noch viele Fachkräfte im Land für die genannten Projekte ausgebildet werden. Aber zum Beispiel für das Batteriefertigungsprojekt in Heide werde man auch international Fachleute anwerben müssen. Insgesamt sieht Buchholz im Zuge aller Projekte ein zusätzliches Arbeitskräftepotenzial von 5000 bis 10.000 Personen. (dpa/mp)