x
x
x
  • Auschwitz-Birkenau: die Hölle auf Erden. Allein hier wurden rund 1,1 Millionen Menschen vergast.
  • Foto: Olaf Wunder

Zyklon B: Hamburg lieferte den Tod nach Auschwitz

Heute vor 76 Jahren, am 27. Januar 1945, befreite die Rote Armee Auschwitz. In dem Vernichtungslager in der kleinen polnischen Stadt Oswiecim bei Krakau verübten die Nazis das schlimmste Verbrechen der Menschheitsgeschichte. Mehr als eine Million Juden und Sinti wurden dort vergast. Und es waren Hamburger, die dazu einen entscheidenden Beitrag leisteten: Der eine war Robert Mulka, der stellvertretende Kommandant. Er kam aus Eppendorf. Der andere hieß Bruno Tesch, dessen Firma ihren Sitz im Meßberghof im Hamburger Kontorhausviertel hatte und das Zyklon B lieferte.

Bruno Tesch

Bruno Tesch, der Lieferant des Zyklon B.

Foto:

MOPO-Archiv

Bruno Tesch, geboren 1890 in Berlin: Er kannte sich aus mit dem Vergasen von Mensch und Tier. Er promovierte 1914 in Chemie und arbeitete im Ersten Weltkrieg am Kaiser-Wilhelm-Institut in Berlin an der Entwicklung von Gaskampfstoffen, die zigtausende Soldaten in den Schützengräben das Leben kosteten.

Bruno Tesch kannte sich aus mit dem Vergasen von Mensch und Tier

Nach dem Krieg wurde Tesch Schädlingsbekämpfer. Er gründete in Hamburg die Firma Tesch & Stabenow und verdiente gut mit der Durchgasung von Schiffen, Mühlen, Speichern und Kühlhäusern. Er tötete Wanzen, Kakerlaken und Flöhe und verwendete dafür eine Substanz, die aus Blausäure bestand: Zyklon B.

Meßberghof in Hamburg

Der Meßberghof in Hamburgs Kontorhausviertel: Hier hatte Zyklon-B-Lieferant Tesch&Stabenow seinen Sitz

Foto:

Olaf Wunder

Mit der Machtergreifung der Nazis liefen Teschs Geschäfte immer besser. Reihenweise Arbeits- und Konzentrationslager wurden hochgezogen, und wo so viele Menschen auf engem Raum beisammen sind, gibt es Schädlinge ohne Ende. Aus Angst vor Epidemien orderten staatliche Stellen, vor allem Wehrmacht und SS, Zyklon B in rauen Mengen – zunächst allerdings tatsächlich, um damit Schädlinge zu bekämpfen.

Tesch & Stabenow belieferte Auschwitz exklusiv

Die Deutsche Gesellschaft für Schädlingsbekämpfung (Degesch) in Frankfurt, ein Unternehmen, das zum Degussa-Konzern gehörte, war der einzige Hersteller von Zyklon B. Es gab zwei Handelsfirmen, die sich die Vertriebsrechte teilten: Eine davon war Bruno Teschs „Testa“. Sie belieferte das gesamte Gebiet östlich der Elbe – also auch sämtliche Konzentrationslager. Ein Monopol in Sachen Tod. Tesch, so schien es, hatte das große Los gezogen. 

Zyklon B

Tesch&Stabenow aus Hamburg lieferte das tödliche Gas: Zyklon B.

Foto:

dpa

Spätestens im Herbst 1941 kam die SS auf den Gedanken, dass Zyklon B zu mehr taugen könnte als nur zum Töten von Wanzen. Nazi-Deutschland war auf der Suche nach Wegen, die „Endlösung der Judenfrage“, also den millionenfachen Mord, logistisch und technisch möglich zu machen. Um das Gas zu testen, baute die SS in Auschwitz und anderen Lagern improvisierte Gaskammern, wo sie „versuchsweise“ russische Kriegsgefangene und kranke Häftlinge ermordete.

Die Tests waren so „erfolgreich“, dass bald darauf das massenhafte Vergasen begann. Unter dem Vorwand, sie sollten duschen, wurden die Menschen in die Gaskammern geführt. Das Zyklon B wurde durch Öffnungen hineingeschüttet – und die Opfer litten furchtbare Qualen.

Gaskammer

Ein Künstler hat das Sterben in den Gaskammern von Auschwitz so dargestellt.

Foto:

Museum of Jewish Heritage, New York

Wer Zyklon B einatmet, hat zunächst ein stechendes Gefühl in der Brust. Es folgen krampfartige Schmerzen, die mit epileptischen Anfällen vergleichbar sind. Die Blausäure dringt beim Einatmen bis in die kleinsten Verästelungen der Lunge und blockiert die Zellatmung. Die Menschen ersticken qualvoll. Es vergehen 10, 12 Minuten, dann erst ist der Todeskampf beendet. Allein in Auschwitz starben auf diese Weise 1,1 Millionen Menschen.

Robert Mulka war verantwortlich für den Transport des Zyklon B

Robert Mulka

Robert Mulka, der stellvertretende Kommandant von Auschwitz, stammte aus Hamburg

Foto:

MOPO-Archiv

Einer, der dafür mitverantwortlich war, ist er: Robert Mulka, ein Mann, der 1895 als Sohn eines kleinen Postassistenten in Hamburg geboren worden war. Er machte zunächst eine Ausbildung zum Exportkaufmann, bevor er sich im Ersten Weltkrieg freiwillig an die Front meldete und es bis zum Leutnant brachte. Auch am Zweiten Weltkrieg wollte er gerne als Offizier teilnehmen, aber weil er wegen Hehlerei vorbestraft war und im Gefängnis gesessen hatte, lehnte die Wehrmacht ihn ab. Die Waffen-SS war da weniger wählerisch und nahm ihn 1941 im Rang eines SS-Obersturmführers in ihre Reihen auf.

Wohnhaus Mulka

In diesem Haus an der Isestraße war Robert Mulka, der stellvertretende Kommandant von Auschwitz, zu Hause.

Foto:

Olaf Wunder

Anfang 1942 wurde Mulka nach Auschwitz abkommandiert. Er stieg auf zum Stellvertreter des Lagerkommandanten Rudolf Höß und hatte vor allem eine Aufgabe: Auschwitz – bis dahin ein gewöhnliches KZ – in ein Vernichtungslager zu verwandeln. In Mulkas Dienstzeit fielen Planung und Bau der vier Krematorien ebenso wie der Beginn der systematischen Selektion der Juden auf der sogenannten „Judenrampe“. „Robbi“, so sein Spitzname unter Freunden, war nachweislich verantwortlich für den Transport von Zyklon B nach Auschwitz.

Ob sich Mulka und Tesch je persönlich begegnet sind? Wir wissen es nicht.

Bruno Tesch und sein Prokurist wurden hingerichtet

Bruno Tesch wurde gleich nach dem Krieg festgenommen und vor Gericht gestellt. Er, sein Prokurist Karl Weinbacher und sein Angestellter Joachim Hans Drosihn waren die ersten, die sich 1946 bei den Hamburger Curiohaus-Prozessen zu verantworten hatten, noch vor den KZ-Aufsehern aus Neuengamme und Ravensbrück.

In dem Verfahren, das eine Woche dauerte, ging es im Grunde nur um eine Frage: Was wussten Tesch und die beiden anderen? Wussten sie, dass mit Zyklon B Menschen ermordet worden waren?

Koffer in Auschwitz

Tausende Hamburger starben in Auschwitz. In der Gedenkstätte werden die Koffer der Deportierten bis heute aufbewahrt.

Foto:

Olaf Wunder

Tesch gab zwar zu, Auschwitz mehrfach besucht und die SS im Umgang mit dem Stoff geschult zu haben. Wofür sein Produkt missbraucht wurde, habe er erst nach dem Krieg erfahren. Hätte man ihm mitgeteilt, so schwor Tesch, dass mit Zyklon B Menschen und nicht nur Ungeziefer vernichtet wurden, hätte er die Lieferung doch sofort eingestellt.

Die Aussagen zweier Angestellter erschütterten dann jedoch Teschs Verteidigung in den Grundfesten: Sowohl von der Sekretärin Anna Ünzelmann als auch vom Wirtschaftsprüfer Emil Sehm wurde er schwer belastet. Sehm erzählte, er habe einen Bericht gelesen, den Tesch über eine Dienstreise nach Berlin angefertigt hatte. In dem Papier war von einem Treffen die Rede, bei dem Wehrmachtsvertreter über eine rasant zunehmende Zahl an Erschießungen von Juden gesprochen und sich darüber beklagt hatten, wie unhygienisch das doch alles sei. Tesch habe dann den Vorschlag gemacht, Blausäure statt Gewehre einzusetzen – genau wie bei der Vernichtung von Ungeziefer.

Brausebad

Die KZ-Häftlinge sollten duschen, so wurde ihnen gesagt. Dann wurden sie vergast.

Foto:

dpa

Tesch und Weinbacher wurden am 16. Mai 1946 im britischen Militärgefängnis in Hameln hingerichtet. Sie sind übrigens die einzigen Unternehmer Nazi-Deutschlands, die die Beteiligung an NS-Verbrechen mit dem Leben bezahlten.

Mulka wurde eine Olympia-Medaille zum Verhängnis

Und Robert Mulka? Der blieb nach dem Krieg völlig unbehelligt. Zunächst. Er machte sich selbstständig, lebte in Hamburg als Import-Export-Kaufmann und brachte es zu einigem Wohlstand – bis 1960 sein Sohn Rolf Mulka, ein Segler, bei den Olympischen Spielen in Rom die Bronzemedaille gewann. Der Frankfurter Staatsanwalt Joachim Kügler, der gerade dabei war, den Strafprozess gegen die Täter von Auschwitz vorzubereiten, las in der Zeitung vom Medaillensieg und stutzte. Rolf Mulka? Ob der wohl verwandt sein konnte mit dem Auschwitz-Verbrecher Robert Mulka, den er, Kügler, seit Monaten vergeblich suchte?

Kurz darauf wurde Mulka verhaftet. Er beteuerte zwar seine Unschuld, doch die Beweise waren erdrückend: Dem Staatsanwalt lagen Erschießungslisten aus Auschwitz vor, die detailliert die Tötung von Häftlingen dokumentierten, unterzeichnet von Lagerkommandant Rudolf Höß – und Robert Mulka.

Die Auschwitz-Täter fühlten sich alle unschuldig

Am 20. Dezember 1963 begann in Frankfurt der größte Strafprozess der Nachkriegsgeschichte – in der „Strafsache gegen Mulka und andere“. 22 SS-Angehörige aus dem Lager Auschwitz saßen auf der Anklagebank. Alle erklärten sich für unschuldig. Keiner der Angeklagten habe auch nur eine „gewisse Reue empfunden“, so Untersuchungsrichter Heinz Düx später. „Die taten alle so, als ob nichts geschehen sei. Als ob sie mit der Sache gar nichts zu tun hätten.“

Am 19. August 1965 wurde Mulka wegen gemeinschaftlicher Beihilfe zum Mord zu 14 Jahren Zuchthaus verurteilt.

Mulka überlebte in der Strafanstalt Kassel einen Sui­zidversuch. Bereits 1966 wurde er wegen Haftunfähigkeit entlassen. Er starb 1969 in Hamburg.

Email
Share on facebook
Share on twitter
Share on whatsapp