Wer kotzt, der putzt: Die eisernen Regeln der Kiez-Wirtin
Micky trägt ihr Herz auf der Zunge. Die laute, herzliche Frau mit den vielen Tätowierungen sagt, was sie denkt. Grundsätzlich. Dafür ist sie auf dem Kiez bekannt. Wer sternhagelvoll ist, der geht. Wer kotzt, der wischt. Die Ansagen der Wirtin der „Nachtschicht“ an der Gerhardstraße sitzen. Allerdings ist das nur die eine Seite. Micky Hensel (56) führt zwei Leben.
Was sie wollte – das wusste Micky schon früh. Sie machte ihr eigenes Ding. Mit 15 Jahren ging sie bereits regelmäßig auf die Piste. Schule? Überbewertet. Mal ging Micky hin, mal nicht. Nach der neunten Klasse verließ sie das Gymnasium und machte das letzte Jahr auf der Realschule. „Ich war schon echt anstrengend. Hätte ich so eine Tochter, würde ich sie an die Wand klatschen“, sagt Micky und lacht laut.
Micky trägt ihr Herz auf der Zunge. Die laute, herzliche Frau mit den vielen Tätowierungen sagt, was sie denkt. Grundsätzlich. Dafür ist sie auf dem Kiez bekannt. Wer sternhagelvoll ist, der geht. Wer kotzt, der wischt. Die Ansagen der Wirtin der „Nachtschicht“ an der Gerhardstraße sitzen. Allerdings ist das nur die eine Seite. Micky Hensel (56) führt zwei Leben.
Was sie wollte – das wusste Micky schon früh. Sie machte ihr eigenes Ding. Mit 15 Jahren ging sie bereits regelmäßig auf die Piste. Schule? Überbewertet. Mal ging Micky hin, mal nicht. Nach der neunten Klasse verließ sie das Gymnasium und machte das letzte Jahr auf der Realschule. „Ich war schon echt anstrengend. Hätte ich so eine Tochter, würde ich sie an die Wand klatschen“, sagt Micky und lacht laut.
Ihre Mutter jedoch ließ ihr viele Freiheiten. Sie zog ihre Tochter alleine auf. Und wollte ihr alles bieten, was ihre Freundinnen auch hatten. Nicht leicht. Denn Micky wuchs in „Schickimicki-Town“ Blankenese auf. „Meine Mutter musste als Sekretärin hart arbeiten, um mich durchzukriegen. Sie selber hat auf vieles verzichtet, damit ich in Blankenese mithalten kann.“

Von Glamour bis Gosse, von Blaulicht bis Rotlicht: Originale gibt es auf St. Pauli so einige. In der MOPO-Serie „Kiezmenschen“ zeigen Ihnen starke Frauen, protzende Kerle und Kultfiguren ihre Welt. Herzlich, persönlich, nah dran. Parallel dazu erzählen sie jede Woche im gleichnamigen Podcast ihre Geschichten.
Alle Podcast-Folgen der „Kiezmenschen“ finden Sie unter MOPO.de/Podcast, bei Spotify und Apple Podcasts.
Mickys Freundinnen kamen alle aus gutem Hause. Sie war die Einzige mit einer alleinerziehenden Mutter. Trotzdem oder vielleicht gerade deshalb spielte sich alles bei ihr zu Hause ab. In einer Drei-Zimmer-Wohnung. „Meine Mutter war immer etwas genervt, wenn sie von der Arbeit kam und ständig die Bude voll war.“ Irgendwann war die Bude leer. Micky hatte sich verliebt. In einen Kerl vom Kiez. Mit 18 Jahren zog sie nach St. Pauli zu ihrem Freund. „Meine Mutter fand das nicht so geil. Aber in dem Alter lässt man sich ja sowieso nichts sagen“, sagt die Frau mit den langen, blonden Haaren und verdreht schmunzelnd die Augen.
Kiezmensch: Micky Hensel, Wirtin der „Nachtschicht“
Mickys Plan damals: feiern und irgendwie Geld verdienen. Der Plan ihrer Mutter: eine Ausbildung. Nachdem sie ihr über einen Bekannten eine Stelle besorgt hatte, machte Micky die Lehre zur Groß- und Außenhandelskauffrau. „Eigentlich hatte ich da gar keinen Bock drauf. Morgens aufstehen, Berufsschule und all so ’nen Scheiß. Mit so was hatte ich ja schon längst abgeschlossen.“ Ihrer Mutter zuliebe zog sie die verspätete Ausbildung jedoch durch. Und machte sogar einen guten Abschluss – was die Wirtin noch immer kaum glauben kann.
Heute ist Micky glücklich, die Ausbildung gemacht zu haben. Eine solide Grundlage. Die sie aber erst mal nicht brauchte. Jahrelang arbeitete sie als Barfrau. Auch in der Disco „J’s“ im Bunker an der Feldstraße. Die sonst so laute Frau spricht mit leiser Stimme von dem Abend vor 22 Jahren, den sie nie vergessen wird. Der Abend, an dem ein Mann eine Splitter-Handgranate im Club zündete.
Micky arbeitete am Tresen im VIP-Bereich. Auf einmal gab es einen lauten Knall. Die Musik ging aus. Das Licht an. „Der Freund, mit dem ich zusammengearbeitet habe, lag blutüberströmt auf dem Fußboden. Er hatte die Splitter abbekommen“, sagt Micky und winkt ab. Sie möchte nicht weiter darüber reden. Die Erinnerung – zu schmerzhaft.
Es war an der Zeit, einen eigenen Laden aufzumachen
Nach dem Anschlag, bei dem neun Menschen zum Teil schwer verletzt wurden, arbeitete sie trotzdem weiter in dem Club. Wechselte aber nach zwei Jahren wieder auf den Kiez. Sie arbeitete im „Herzblut“, in der „Rutsche“ – und tagsüber immer noch in ihrem normalen Bürojob. „Irgendwann dachte ich, es sei ja eigentlich an der Zeit, einen eigenen Laden aufzumachen.“ Micky bekam das Angebot für eine kleine Bar an der Gerhardstraße. Und machte daraus ihre „Nachtschicht“ – mit viel Pink und noch mehr Deko.
Es ist der einzige Laden in der Straße, der im Hinterhof liegt. Klarer Vorteil: Dadurch habe sie nicht so viel Theater vor der Tür. „Ich brauche eigentlich keinen Türsteher. Wenn es mal Ärger gibt, regele ich das meistens alleine.“ Stress gibt es ab und an, wenn Gäste zu betrunken sind. Dann kommen sie bei Micky nicht über die Schwelle. „Manchmal reicht alleine mein Blick. Wenn nicht, kriegen sie ’ne Ansage.“ Dann ruft die resolute Wirtin zur Tür: „Geschlossene Gesellschaft!“ oder „Heute passt das nicht!“ Letztlich müsse sie sich auch gar nicht erklären. „Das ist mein Laden und ich mache hier die Ansagen. Wer das nicht akzeptiert, kann gleich wieder abhauen.“

Gelegentlich verirren sich auch mal Junggesellenabschiede zu ihr. „Aber Zebra- und Pimmelkostüm sind nicht so mein Ding. Eskalation mit Spucki auf dem Klo – da steh ich gar nicht drauf.“ Normalerweise hat Micky eine feste Regel: Wer kotzt, der putzt. „Aber du kriegst die Leute ja nicht immer zu fassen.“ Dann muss sie selber die Gummihandschuhe überziehen.
„Teenies und Landeier“ nerven Micky
Besonders genervt ist Micky von „Teenies und Landeiern“, die auf dem Kiez häufig ihr Benehmen verlieren würden. Junge Männer, die sie „Mäuschen“ oder „Muschi“ nennen – da könnte sie ausflippen. Dann gibt’s Ärger. „Wer nach Schlägen schreit, kriegt auch mal ‘nen Backs.“ Klare Sache für die Wirtin. Meistens reiche es allerdings schon, wenn sie ihre „Hausordnung“ in die Hand nimmt. Eine kleine Baseballkeule, die hinter dem Tresen an der Wand hängt.
Hört sich nach viel Stress an. Ist es aber nicht. Meistens sind die Abende ausgelassen. Viele Stammgäste und Kiezianer kommen in die „Nachtschicht“. „Bei mir können alle so sein, wie sie sind. Hier sind alle gleich. Ob Banker oder Milieu. Vollkommen egal.“ Micky kennt viele ihrer Gäste seit Jahren. Ihre Probleme, Sorgen, Freuden.

Aber auch Touristen finden in ihren Laden. Besonders wegen der Tafel an der Straße, auf der Drinks wie „Tussi Lover“, „Porno Vodka“ und „Muschiblitz“ stehen. Was häufiger für Verwirrung sorgt. Dann stolpern Typen rein, die meinen, es handele sich um einen Puff. „Ich schwöre, ich sehe es auf einen Blick, wenn es ein Freier ist. Ich sage nur: ‚Sorry, ist kein Puff.‘ Dann gehen sie ganz bedröppelt wieder“, sagt Micky und steckt sich eine Zigarette an. Sie ist müde. Es war ein langer Tag. Wie so häufig.
Kündigung ebnete Weg zu neuer Herausforderung
Obwohl es schon besser geworden ist. Bis vor ein paar Monaten arbeitete sie neben ihrem Job als Wirtin fünf Tage die Woche als Assistentin der Geschäftsführung bei einem großen Unternehmen. „Freitags bin ich um 18 Uhr wie ’ne Geistesgestörte nach Hause gerast. Essen. Umziehen. Und sofort in den Laden.“ Der absolute Stress. Den sie jetzt nicht mehr hat. Nach 17 Jahren endete der Arbeitsvertrag.

Heute beschreibt Micky die Kündigung als ihr großes Glück. Schnell fand sie eine neue Stelle im Office von „Hafenstadt Weine & Spirituosen“. „Dass ich die Chance bekommen habe, mich da noch mal zu beweisen, macht mich richtig glücklich. Und Diva darf immer mit.“ Diva – das ist ihre Französische Bulldogge. Ihr Herz. Ihr Ein und Alles – wie sie sagt. „Alle in der Firma lieben sie. Auch wenn sie den ganzen Tag nur pupst und uns alle damit verzaubern will.“
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Vier Tage die Woche Bürojob, freitags und samstags „Nachtschicht“. Zwischendurch auch mal Zeit zum Nichtstun. Micky ist zufrieden. Eigentlich wollte sie im nächsten Jahr in „Gastrorente“ gehen. Dann hat sie die 15 Jahre mit ihrer „Nachtschicht“ voll. Aber daraus wird wohl nichts. Die Wirtin möchte den Mietvertrag verlängern. Ein Leben ohne ihre „Nachtschicht“ und ohne die eingeschworene Gemeinschaft von Wirten rund um den Hans-Albers-Platz – momentan noch unvorstellbar. „Mein Herz ist und bleibt die Kneipe. Hier kann ich so sein, wie ich bin.“ Und das ist sie. Garantiert.
Steckbrief Micky Hensel
Spitzname und Bedeutung: Rippchen – weil ich einmal nachts eine eiskalte Fanta getrunken habe und danach in Ohnmacht gefallen bin. Dabei bin ich auf die Kante vom Kühlschrank geknallt und habe mir die Rippen gebrochen. Deswegen nennen meine Freunde mich so.
Beruf/erlernte Berufe: Gastronomin, gelernte Groß- und Außenhandelskauffrau
St. Pauli ist für mich wie … mein Leben, mein Herz, mein Ghetto.
Mich nervt es tierisch, wenn … Blender unberechtigt den Dicken machen.
Ich träume davon … hm, lass mich kurz überlegen. Aus aktuellem Anlass leider von Weltfrieden.
Wenn mir einer blöd kommt, … gibt es eine klare Ansage.
Zum Abschalten … lese ich ein Buch.
Als Kind … bin ich immer viel auf einem Ponyhof gewesen. Ich hatte ein eigenes Pferd.
Meine Eltern … haben sich scheiden lassen, als ich zwei Jahre war. Meine Mama hat alles für mich gegeben.