Zwangsarbeit in Hamburg: Italiener wurden bespuckt, beschimpft und ausgebeutet
Hamburg am Ende des Zweiten Weltkrieges: praktisch ein einziges Zwangsarbeiterlager. Rund 500.000 Menschen, verschleppt aus ihren Heimatländern, schuften zwischen 1939 und 1945 unter erbärmlichsten Bedingungen in Industrie- und Gewerbebetrieben oder müssen Trümmer beseitigen. Viele verhungern, nehmen sich aus Verzweiflung das Leben oder sterben bei alliierten Luftangriffen – denn in die Luftschutzkeller dürfen sie nicht. Am schlechtesten werden sowjetische Gefangene behandelt – in den Augen der Nazis „Untermenschen“. Nur noch eine Gruppe gibt es, die in der Gefangenen-Hierarchie auf ähnlich niedriger Stufe steht: Italiener. Ausgerechnet Italiener.
Da ist zum Beispiel Luigi Cattaneo, ein Kfz-Mechaniker, geboren im August 1913 in Mailand. 1943 wird der italienische Soldat von der Wehrmacht festgenommen und nach Hamburg gebracht wie Tausende seiner Kameraden auch.
Er wird eingesperrt in einem Zwangsarbeiterlager, das sich im elften Stock des Heinrich-Bauer-Hauses, Schützenpforte 11, befindet. Cattaneo stirbt am 1. Januar 1945 im Alter von nicht mal 32 Jahren. Aus der Sterbeurkunde geht die Todesursache nicht hervor.
Zwangsarbeiter durften nicht in die Luftschutzbunker
Emilio Bova aus dem 400-Seelen-Dorf Montalto in Ligurien, Bauer von Beruf, wird nur 20 Jahre alt. Ein zierlicher Mann mit welligem Haar. Er ist ebenfalls im Lager Heinrich-Bauer-Haus untergebracht, muss jeden Tag zum Arbeitseinsatz, zwölf Stunden ohne Pause und ohne ausreichend Verpflegung.
In Hamburg ums Leben gekommen: der italienische Gefangene Luigi Cattaneo
ANRP Italia
Im Juni 1944 stürzt er, erleidet einen Schädelbruch und wird tags darauf auf dem Ohlsdorfer Friedhof verscharrt. Sein Wunsch, die Heimat, die Mutter, den Vater, die Geschwister wiederzusehen, geht nicht in Erfüllung.
Oder Davide Galli, ein Transportarbeiter, geboren am 3. Oktober 1910 in San Dalmazio bei Pisa. Er wird in Wilhelmsburg zur Zwangsarbeit eingesetzt – und stirbt gemeinsam mit etlichen anderen Italienern bei einem alliierten Bombenangriff am 31. Dezember 1944.
Italienische Soldaten wurden wie Verräter behandelt
Die Liste der italienischen Gefangenen, die im Arbeitseinsatz in Hamburg sterben, ist lang, sehr lang: Pietro Baselli wird nur 23 Jahre alt, Guiseppe Di Fini 26, Sante Frisan 25, Luigi Fuzi 21, Lucia Giordano 18, Antonio Libralesso 32, Salvatore Fatti 23, Giuseppe Rosighetti 34 Jahre. Wir könnten noch viele weitere Namen aufzählen. Alles junge Männer, die ihr Leben noch vor sich hatten.
In Hamburg ums Leben gekommen: der Gefangene Emilio Bova
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Womöglich ist der Tod für sie aber sogar eine Erlösung, denn Hamburg stellt für italienische Gefangene so etwas wie die Hölle auf Erden dar. Auf Sympathie der Bevölkerung, auf Freundlichkeit ihrer Bewacher, auf ein Stück Brot, das ein Passant ihnen voller Mitleid zusteckt – nein, auf solche Zeichen von Menschlichkeit warten sie vergeblich. Stattdessen werden sie mit Steinen beworfen oder von Kindern bespuckt – sie, die „Badoglio-Verräter“.
Liste mit italienischen Zwangsarbeitern, die zu Tode kamen.
Initiative „Kein Vergessen im Kontorhausviertel“
Der Sturz von Diktator Mussolini brachte die Wende
Der 8. September 1943 ist der Wendepunkt im deutsch-italienischen Verhältnis. Bis dahin sind Rom und Berlin Verbündete. Doch nach dem Sturz von Diktator Benito Mussolini vereinbart der neue Regierungschef Pietro Badoglio einen Waffenstillstand mit den Alliierten und erklärt Deutschland anschließend sogar den Krieg.
Adolf Hitler und Benito Mussolini: Nachdem der italienische Diktator 1943 gestürzt ist, schließt Rom einen Waffenstillstand mit den Alliierten.
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Was aber ist mit den italienischen Soldaten an der Front, die Seite an Seite mit den Deutschen kämpfen? Sie werden von der Wehrmacht vor die Wahl gestellt: auf deutscher Seite weiterzumachen oder in Gefangenschaft zu gehen.
Ohne Rücksicht auf internationales Recht: Italiener werden zu Zwangsarbeiter
Rund 600.000 Italiener sagen Nein, lassen sich daraufhin meist widerstandslos festnehmen: Rund 11.000 von ihnen werden ermordet, die übrigen zu sogenannten „Militärinternierten“ erklärt – ein Gefangenenstatus, den die Genfer Kriegsrechtskonvention gar nicht kennt.
Der italienische Gefangene Ludovico Lisi hat seine Erlebnisse als Zwangsarbeiter in Deutschland künstlerisch verarbeitet in solchen Aquarellen.
Dokumentationszentrum NS-Zwangsarbeit
Ohne Rücksicht auf internationales Recht werden die Italiener anschließend als Zwangsarbeiter in der deutschen Rüstungsproduktion eingesetzt. Um die 12.500 Italiener unterzubringen, die ab September/Oktober 1943 in Viehwaggons meist auf dem Umweg über das Stalag X B Sandbostel, dem größten Kriegsgefangenenlager Nazi-Deutschlands, nach Hamburg transportiert werden, verwandeln die NS-Behörden in Windeseile zahlreiche öffentliche Gebäude in Zwangsarbeiterlager. Darunter vor allem Schulen – wie beispielsweise die Schule an der Schanzenstraße.
Schon ein Jahr zuvor war sie ein Ort des Grauens, als sich dort rund 1700 Hamburger Juden einfinden mussten, um nach Theresienstadt deportiert zu werden. Nun ist sie ein Gefängnis für 400 italienische Soldaten – und auch von ihnen sehen viele ihre Heimat nicht mehr wieder.