Hamburgs neuer Boom-Stadtteil mit Multikulti, Fachwerk und viel Platz für Familien
Reetgedeckte Fachwerkgebäude neben gleichförmigen Mehrfamilienhäusern, ein traditioneller Wochenmarkt neben einem schmucklosen „Kaufland“-Supermarkt und Multikulti zwischen alteingesessenen Hamburger Jungs und Deerns: In Neugraben-Fischbek prallen Gegensätze aufeinander. Der südwestlichste Stadtteil Hamburgs hat sich in den vergangenen Jahren stetig verändert. Dabei kam es immer wieder zu Konflikten. Die MOPO hat herausgefunden, was die Einwohner stört – und warum so viele Menschen in den Stadtteil ziehen wollen.
Reetgedeckte Fachwerkgebäude neben gleichförmigen Mehrfamilienhäusern, ein traditioneller Wochenmarkt neben einem schmucklosen „Kaufland“-Supermarkt und Multikulti zwischen alteingesessenen Hamburger Jungs und Deerns: In Neugraben-Fischbek prallen Gegensätze aufeinander. Der südwestlichste Stadtteil Hamburgs hat sich in den vergangenen Jahren stetig verändert. Dabei kam es immer wieder zu Konflikten. Die MOPO hat herausgefunden, was die Einwohner stört – und warum so viele Menschen in den Stadtteil ziehen wollen.
Als Stefan Kaiser (63) im Jahr 2000 aus Fuhlsbüttel in den Stadtteil im Bezirk Harburg zog, verliebte er sich sofort in den Stadtteil. „Die Natur, die Menschen, die hübschen Straßen – hier passt einfach alles“, sagt der 63-Jährige, der gemeinsam mit seiner Freundin direkt neben einem Naturschutzgebiet wohnt, in der ersten Genossenschaftsneubausiedlung, die nach dem Zweiten Weltkrieg in Hamburg gebaut wurde. „Nur ein paar Schritte und man ist im Grünen“, sagt er. „Wir gehen hier häufig spazieren.“ Genau wie in den Harburger Bergen und im Moor: Natur gibt es hier genug.
Viele junge Familien aus der Stadt ziehen nach Neugraben
Bis 1937 waren Neugraben und Fischbek eigenständige Gemeinden, bis sie nach dem Groß-Hamburg-Gesetz nach Hamburg eingemeindet wurden. 1951 wurden Neugraben und Fischbek zu einem Stadtteil zusammengefasst. 33.963 Menschen leben hier – Tendenz steigend. Mit Plus 1627 Menschen war das Wanderungssaldo im vergangenen Jahr deutlich größer als im etwas kleineren Nachbarstadtteil Neuenfelde (Plus 297 Menschen). „Wir erleben gerade einen sehr angenehmen Zuzug von Menschen“, erzählt Stefan Kaiser, während er die MOPO-Reporter durch das neue Wohngebiet Am Vogelkamp mit etwa 1200 bis 1300 Wohneinheiten führt. „Hier sind eine Menge junger Menschen mit kleinen Kindern von nördlich der Elbe eingezogen, denen es in der Stadt zu eng wurde.“ Auf einer Dachterrasse trainiert ein junger Mann mit seinem Springseil.

Die Planung der neuen Wohnungen hebt er lobend hervor: „Sie haben zuerst in die Infrastruktur investiert, Kitas, Grundschulen und Sporteinrichtungen gebaut. Bei 4000 bis 5000 Menschen war das auch nötig.“

Nicht weit vom Vogelkamp entfernt befindet sich das Bildungszentrum Süderelbe (BGZ), in dem Stefan Kaiser Kurse verwaltet und Presse- und Öffentlichkeitsarbeit betreibt. Stolz zeigt er die Räumlichkeiten: Hier gibt es ein breites Angebot an Handwerks-, Musik- und Bewegungskursen. „Neugraben zeichnet sich durch ein gutes Neben- und Miteinander-Leben aus“, sagt der 63-Jährige. „Im Jahr 2015 wehrten sich viele Einwohner noch vehement gegen den Zuzug von Geflüchteten, die Anzahl wurde von 3000 auf 1500 runtergehandelt. Heute treffen sich viele Geflüchtete und Neugrabener im Willkommenscafé. Die Stimmung ist besser geworden.“
Stadtteilreport: Neugraben war schon immer multikulti
Multikulti war der Stadtteil schon immer. Er ist Heimat vieler Türken und Russland-Deutscher – Folge der Siedlungspolitik. „In den 90ern gab es Tumulte“, berichtet Stefan Kaiser und deutet auf die Straße Wehrstieg. „Laut meiner Freundin, die seit denn 80ern hier lebt, hat man manche Ecken des Stadtteils zu dieser Zeit lieber gemieden.“ Durch Maßnahmen wie Jugendarbeit habe sich diese Situation verbessert.
Während immer mehr Menschen nach Neugraben ziehen, wird das Einkaufsangebot kleiner, bemängelt Stefan Kaiser. „Vor allem der Wochenmarkt“, sagt er. „Supermärkte haben wir genug, aber die individuellen Einkaufsmöglichkeiten fehlen.“ Aus dem ehemaligen Karstadt (2004 geschlossen) wurde ein „Kaufland“-Supermarkt. Unweit davon befindet sich eines der letzten inhabergeführten Geschäfte: Feinkost Mecklenburg in der Marktpassage.

„Wir betrachten den Zuzug mit Freude“, sagt Inhaber Kai Mecklenburg, der den Laden 1995 in zweiter Generation von seinen Eltern übernommen hat. „Gerade können wir uns vor Kunden, Catering- und Weinproben-Aufträgen kaum retten. Das liegt an den vielen jungen Familien, die ein gutes Stück Käse oder einen hochwertigen Wein zu schätzen wissen.“ Zur Wahrheit gehört aber leider auch: „Das Reformhaus und der Bäcker mussten kürzlich aufgeben.“
- Florian Quandt In einem der Fachwerkhäuser an der Francoper Straße gibt es ein Restaurant, das unter anderem Pferdefleisch anbietet.
In einem der Fachwerkhäuser an der Francoper Straße gibt es ein Restaurant, das unter anderem Pferdefleisch anbietet. - Florian Quandt In den Fachwerkhäusern befinden sich Wohnungen.
In den Fachwerkhäusern befinden sich Wohnungen. - Florian Quandt Die steinalten Fachwerkhäuser sind charakteristisch für Neugraben.
Die steinalten Fachwerkhäuser sind charakteristisch für Neugraben.
Das Highlight auf der Tour durch Neugraben ist für Stefan Kaiser die Francoper Straße mit ihren denkmalgeschützten und reetgedeckten Häusern aus dem 16. Jahrhundert. „Hier kann man sich vorstellen, wie unser Stadtteil einmal aussah“, sagt er.
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Damals, als Bäcker, Fischer und Fleischer noch nicht von Kaufland und Co. in die Knie gezwungen wurden. „Ich mag unseren Stadtteil“, sagt Stefan Kaiser. „Ob Eingeborene oder Zugezogene: Hier können die verschiedensten Menschen ein Zuhause finden!“