Zu Besuch bei Helmut Schmidts jüdischen Verwandten in Jerusalem
Immanu-El Adiv ist schon sehr betagt. Am vergangenen Freitag wurde sie 96. Aber geistig ist sie noch voll da. Vor allem, wenn es um die Vergangenheit geht, um die Nazi-Zeit und um ihren berühmten Verwandten Helmut Schmidt, ist ihre Erinnerung glasklar. Mit leuchtenden Augen erzählt sie von dem Treffen mit dem Ex-Bundeskanzler. 1999 war das. Da hat sie bei den Schmidts in Langenhorn Kaffee getrunken. Vor allem die Loki sei sehr nett gewesen, sagt sie und strahlt dabei übers ganze Gesicht.
Immanu-El Adiv ist jetzt genauso alt wie Helmut Schmidt geworden ist. Am vergangenen Freitag feierte sie ihren 96. Geburtstag. Geistig ist sie noch voll auf der Höhe. Vor allem, wenn es um die Vergangenheit geht, um die Nazi-Zeit und um ihren berühmten Verwandten, da ist ihre Erinnerung glasklar. Mit leuchtenden Augen erzählt sie von dem Treffen mit dem Ex-Bundeskanzler. 1999 war das. Da hat sie bei den Schmidts in Langenhorn Kaffee getrunken. Vor allem die Loki sei sehr nett gewesen, sagt sie und strahlt dabei übers ganze Gesicht.
Rund 4300 Kilometer von Hamburg entfernt bin ich zu Besuch bei der Großcousine des wohl immer noch beliebtesten deutschen Politikers und bei deren Sohn Uriel Adiv (72). Sie leben im Herzen Jerusalems. Kontakt mit beiden habe ich, seit ich vor zwei Jahren für das MOPO-Magazin „Unser Hamburg“ (Ausgabe 15/Frühjahr 2021) die jüdischen Wurzeln Schmidts recherchierte. Mit Immanu-El Adiv konnte ich damals nur telefonieren. Ihrem Sohn Uriel und ihrem Enkel Assaf bin ich schon persönlich begegnet. Vor einem Jahr besuchten sie Hamburg und besichtigten damals auch den Bungalow der Schmidts.

Jetzt erfolgt mein Gegenbesuch. Ich möchte Immanu-El Adiv persönlich kennenlernen, möchte sehen, wie Schmidts jüdische Verwandte in Israel leben. Viel Zeit habe ich leider nicht, da ich mich nur deshalb in Jerusalem aufhalte, weil ich die Reise von Bundesratspräsident Peter Tschentscher (SPD) nach Israel journalistisch begleite. Das bedeutet: pausenlos Termine. Aber irgendwie gelingt es mir dann doch, mich loszueisen. Wenigstens für ein paar Stunden.
Immanu-El Adiv, Schmidts Großcousine, wurde am Freitag 96 Jahre alt
Mein Glück ist, dass Helmut Schmidts Großcousine nur zehn Gehminuten von meinem Hotel entfernt wohnt. Bereits seit einem halben Jahrhundert lebt sie in ihrer Wohnung. Inzwischen hat Immanu-El Adiv so sehr an Kraft eingebüßt, dass sie rund um die Uhr Betreuung braucht: Eine philippinische Pflegerin namens Conny kümmert sich um sie. Mindestens einmal pro Woche sieht außerdem ihr Sohn nach ihr. Uriel geht sehr liebevoll mit seiner Mutter um.

Nun sitzen wir da in einem Wohnzimmer, das noch im Stil der 1970er Jahre eingerichtet ist, trinken Tee und Immanu-El Adiv geht ihrer Lieblingsbeschäftigung nach: Sie erzählt aus der Vergangenheit. Dabei kommt sie dann früher oder später auch auf ihren Onkel Ludwig zu sprechen. Was für ein kleiner dicker Mann er doch gewesen sei. Und sehr lieb …
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Ludwig Gumpel aus Bernburg an der Saale war aber nicht nur Lieselottes Lieblingsonkel, er war auch Helmut Schmidts heimlicher Großvater: Als junger Mann lernte Ludwig Gumpel 1887 während seiner Banklehre in Hamburg das 19-jährige Dienstmädchen Friederike Wenzel kennen. Sie wurde schwanger. Eine Heirat kam für Ludwig Gumpel nicht in Frage, aber immerhin sorgte er finanziell großzügig für seinen Sohn.

Der kleine Gustav wuchs bei Adoptiveltern auf, dem Hausmeister-Ehepaar Schmidt. Als die Nazis an die Macht kamen, hatte Gustav Schmidt Glück, dass in seiner Geburtsurkunde die Stelle leer war, wo eigentlich der (jüdische) Vater hätte eingetragen sein müssen. So gelang es Gustav Schmidt, seine „nichtarische“ Herkunft zu vertuschen. Wäre die Wahrheit rausgekommen, sein Sohn Helmut wäre nie Wehrmachtsoffizier geworden – und vielleicht auch nie Bundeskanzler.

Weil Ludwig Gumpel 1935 an einem Herzinfarkt starb, blieb ihm der Schrecken des Holocaust erspart. Seine Angehörigen aber bekamen den Nazi-Terror voll zu spüren: Verwandte starben im KZ oder nahmen sich, um einer Deportation zuvorzukommen, das Leben. Andere flohen ins Ausland.
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Immanu-El Adiv war elf, als ihre Eltern mit ihr 1938 Deutschland verließen. Im Februar 1939 trafen sie in Palästina ein. Damals hieß Immanu-El noch Lieselotte Gumpel. Den neuen Namen nahm sie erst später an. Sie machte eine Ausbildung zur Goldschmiedin, heiratete und wurde Mutter von drei Kindern.

Es ist spät geworden. Abendbrotzeit! Immanu-El Adiv ist es gewohnt, immer genau zur selben Zeit zu essen. Lachs gibt es heute. Uriel und ich wünschen guten Appetit und verabschieden uns. Auf ein baldiges Wiedersehen.
Uriel Adiv ist promovierter Architekt, arbeitet aber als Dolmetscher
Ein kurzer Fußmarsch bis zur Bushaltestelle, eine 20-minütige Fahrt durch den alltäglichen Stau Jerusalems, dann haben wir das Ziel erreicht: Uriels Wohnung liegt in einer malerischen Seitenstraße, direkt an der Grenze zum palästinensischen Ostteil. Wir müssen ein paar steile Treppen erklimmen, bis wir vor seiner Tür stehen. Aber die Mühe lohnt sich, denn von da oben bietet sich ein phantastischer Ausblick über die Stadt.

Uriel ist promovierter Architekt, hat in Berlin studiert, und zwar zur selben Zeit, als Helmut Schmidt in Bonn Kanzler war, was er irgendwie lustig findet. Damals wusste er nichts von dem Verwandtschaftsverhältnis. Erst als Schmidt in den 1990er Jahren das Geheimnis seiner jüdischen Herkunft lüftete, erfuhren die Adivs, was für einen berühmten Mann sie da in der Familie haben.
Seinem Architekten-Beruf geht Uriel schon lange nicht mehr nach. Er arbeitet als Dolmetscher bei Gericht oder für deutsche Politiker, die das Land besuchen. „Für Angela Merkel habe ich viermal gearbeitet, als sie Kanzlerin war“, sagt er. Er ist stolz darauf.
Verheiratet ist Uriel nicht, Vater aber trotzdem: Er hat einen Adoptivsohn. Der 28 Jahre alte Assaf ist gelernter Chocolatier, arbeitet als Konditor im besten Hotel der Stadt, dem legendären „King David“, wohnt aber noch zu Hause.

Weil die Wohnung sehr groß ist, hat Uriel einen Teil in ein Ferienappartement verwandelt, ein Bed & Breakfast. „Diana’s“ nennt er es – nach seiner ehemaligen Dobermann-Hündin. Zurzeit sind gerade Feriengäste da: Leute aus den Niederlanden, die sich pudelwohl bei ihm fühlen und sich nicht stören an den Katzen, die überall in der Wohnung auf leisen Pfoten unterwegs sind. „Das da ist ,Dschinsch‘“, sagt Uriel und zeigt auf eins der Tiere, „und die da hinten heißt ,Pinta‘.“
Wer Jerusalem besuchen möchte, keine Katzenallergie hat, aber Lust, bei einem Verwandten von Helmut Schmidt zu logieren – für den ist das „Diana’s B&B“ die richtige Adresse. Zu buchen über Booking.com oder direkt bei Uriel Adiv. „Tolles Frühstück gibt es bei mir!“ schwärmt er mir vor. Und als ob er seine Kochkünste auch gleich unter Beweis stellen wollte, bereitet er mir, bevor ich zurück muss ins Hotel, ein köstliches orientalisch-jüdisches Mahl zu. Mit Fladenbrot, Humus und einem israelischen Bier. Sehr lecker.
Ich bedanke mich und sage Tschüs: „Ad Hapa’am Haba’ah“. Was so viel heißt wie „Bis zum nächsten Mal!“