Zoff um Ostermarsch in Hamburg: Kein Wort zu Putin – aber die Nato ist böse
Ausgerechnet jetzt, im Jahr des Kriegsausbruchs in Europa, droht die traditionelle Friedensdemo am Ostermontag in Hamburg zu einer Randerscheinung zu werden, weil die Organisatoren sich nicht von altlinken Freund-Feind-Bildern lösen können. Die Nato ist Schuld am Krieg, weil sie Russland provoziert hat: Kremlgemäße Sichtweisen im Demo-Aufruf verprellen viele altgediente Teilnehmer.
Wer sich distanziert, was einer der Organisatoren sagt: Lesen Sie mehr mit MOPO+ – jetzt vier Wochen lang für nur 99 Cent testen.
Ausgerechnet jetzt, im Jahr des Kriegsausbruchs in Europa, droht die traditionelle Friedensdemo am Ostermontag in Hamburg zu einer Randerscheinung zu werden, weil die Organisatoren vom „Hamburger Forum“ sich nicht von altlinken Freund-Feind-Bildern lösen können.
Die Nato ist Schuld am Krieg, weil sie Russland provoziert hat – mit dieser kremlgemäßen Sichtweise verprellt das „Hamburger Forum“, das seit Jahrzehnten die Ostermärsche organisiert, viele altgediente Teilnehmer.
„Dieser Aufruf des ,Forums‘ wird viele Menschen abschrecken“, sagt Christiane Schneider (73), frühere Linken-Fraktionschefin in der Bürgerschaft: „Ich selbst werde nach vielen Jahrzehnten erstmals nicht am Ostermarsch teilnehmen.“ Auch Kersten Artus, die bis 2015 für die Linken in der Bürgerschaft saß, ist schockiert von dem, was die Organisatoren vom „Hamburger Forum“ über Putins Krieg denken: „Eigentlich gehören an Ostern Hunderttausende für den Frieden auf die Straße, aber auch ich werde nicht hingehen, so weh es mir tut.“
Ärger um Ostermarsch in Hamburg
Die Wut und das Unverständnis vieler treuer Ostermarschierer entzündet sich an der extremen Sichtweise der Verantwortlichen vom „Hamburger Forum“, die seit Jahrzehnten die Demos am Ostermontag organisieren und anmelden. „Die Bundesregierung hat sich als Vasall an die Seite der USA gestellt, die im Kampf um die Erhaltung
ihrer weltweiten Hegemonie mit der Nato-Osterweiterung Russland in die Knie zwingen will“, heißt es etwa in einem Rundbrief des „Forums“ vom 3. April. Er verstehe nicht „wie man sich an die Seite der Ukraine stellen könne“, sagt Markus Gunkel, der den Rundbrief geschrieben hat, gegenüber der MOPO: „Das sind Nationalisten, die Kriegsverbrechen begehen.“ Genauso klingt es aus dem Kreml.

Das „Forum“, einst ein breites linkes Bündnis von SPD und Grünen bis zum Deutschen Gewerkschaftsbund, ist in den vergangenen Jahren auf einen kleinen harten Kern von maximal 20 Einzelpersonen geschrumpft: „Die großen Organisationen sind ja schon lange nicht mehr dabei“, sagt Gunkel ohne Bedauern: „Jetzt sind wir eben die einsamen Rufer in der Wüste.“
Russland gut, Nato böse, an dieser Weltsicht hat sich auch nach Putins Angriffskrieg nichts geändert für die Mitglieder des „Hamburger Forum“: „Die Nato hat die ganze Zeit Krieg geführt, die Bundeswehr war in Afghanistan, das ist für uns alles dasselbe.“
Putin-Sympathisanten beim „Hamburger Forum“
Dass er mit seiner blinden Sympathie für Wladimir Putin den Hamburger Ostermarsch in die Bedeutungslosigkeit treiben könnte, ficht Gunkel, nach eigenen Angaben Ex-Linker, jetzt parteiloser Pazifist, nicht an: „Ich will gar keine Menschenmenge auf die Straße bringen, die Waffenlieferungen an die Ukraine befürwortet.“ Seinen Rundbrief beendet er mit „antimilitaristisch-pazifistischen Grüßen“.
Bis zu 3000 Menschen kamen in den vergangenen Jahren zum Hamburger Ostermarsch zusammen, zumeist ältere, die schon in den 80er Jahren bei der Friedensbewegung waren und gegen Nato-Doppelbeschluss und Aufrüstung demonstriert haben. Kritische Distanz zur Nato und zu allem, was mit Waffen zu tun hat, gehört für viele zu ihrer politischen DNA, ein Ostermontag ohne Ostermarsch war undenkbar – bis Putins Armee am 24. Februar in ein souveränes Nachbarland einmarschiert ist. Auf einer Friedensdemo den Schulterschluss mit Putin-Verteidigern zu üben, das kommt für viele nicht in Frage.
Das könnte Sie auch interessieren: Putins Krieg zerreißt die Hamburger Linke
Keyvan Taheri, Landessprecher der Hamburger Linken, distanziert sich im Gespräch mit der MOPO vom „Hamburger Forum“: „Was am 24. Februar passiert ist, hat eine neue Realität erschaffen, die eine neue Betrachtung erfordert. Keine Vorgeschichte rechtfertigt diesen Krieg, mit dem Russland alle Regeln der Menschlichkeit außer Kraft gesetzt hat.“
Die Linken rufen ihre Anhänger trotz der Kritik am Forum zur Teilnahme am Ostermarsch auf: „Der Ostermarsch gehört zu unserer Geschichte“, sagt Taheri, „das lassen wir uns von einer Minderheit nicht nehmen.“
Auch der DGB Hamburg und seine Mitgliedsgewerkschaften rufen wie in jedem Jahr zur Teilnahme an den Ostermärschen in der Region auf, distanzieren sich aber ebenfalls von den Organisatoren: „Der DGB Hamburg ist kein Mitglied des ,Hamburger Forum‘, welches den Hamburger Ostermarsch organisiert“, heißt es auf MOPO-Nachfrage: „Wir entsenden keine Delegierten und haben keine Informationen über interne Diskussionen.“