Zeugen Jehovas: Sie sind überzeugt, dass die Welt bald untergeht
Ganz Hamburg, ganz Deutschland ist geschockt vom Amoklauf in einem sogenannten „Königreichssaal“ der Zeugen Jehovas in Hamburg. Der Täter soll selbst ehemaliges Mitglied gewesen sein. Viele fragen sich nun: Was für eine Glaubensgemeinschaft ist das eigentlich? Es geht um Armageddon, eine bestimmte Zahl an Auserwählten und eine klare Haltung zur Politik.
Ganz Hamburg, ganz Deutschland ist geschockt vom Amoklauf in einem sogenannten „Königreichssaal“ der Zeugen Jehovas in Alsterdorf. Der Täter ist ein ehemaliges Mitglied gewesen. Er wurde angeblich ausgeschlossen. Viele fragen sich nun: Was für eine Religionsgemeinschaft ist das eigentlich? Und wieso steht ausgerechnet der baldige Weltuntergang im Mittelpunkt ihres Glaubens?
Die Zeugen Jehovas sind davon überzeugt, dass „Armageddon“, also der Weltuntergang, bevorsteht – allerdings denken sie das schon sehr lange. 1914, 1918, 1925 und 1975 sollte es eigentlich bereits so weit sein. Die Angehörigen der Glaubensgemeinschaft sind überzeugt, dass – sobald das erwartete Ende da ist – Gott alle vernichten wird, die nicht nach den Grundsätzen Gottes leben. Also alle außer den Zeugen Jehovas. Von denen werden nach ihrer Überzeugung 144.000 Auserwählte in das Himmelreich auffahren, während die anderen das ewige Leben auf der Erde bekommen. Die Zahl der 144.000 Auserwählten beziehen die Zeugen aus dem letzten Buch der Bibel, der Offenbarung des Johannes. Dort wird Jesus auf dem Berg Zion stehend mit 144.000 Menschen um sich beschrieben, was die Religionsgemeinschaft wörtlich versteht.
Es herrschen strenge Vorschriften: Kein Sex außerhalb der Ehe
Es handelt sich bei den Zeugen Jehovas zwar um eine christliche Glaubensgemeinschaft, allerdings legen ihre Anhänger die Bibel anders aus. Sie sehen sich als die einzigen echten Christen. Aus ihrer Sicht steht Jesus Christus niedriger als Gott und darf deshalb nicht angebetet werden. Jehovas Zeugen glauben nicht an die Heilige Dreieinigkeit, also nicht an Vater, Sohn und Heiligen Geist. Altar, Kreuz und Heiligenbilder fehlen komplett in den sogenannten „Königreichssälen“ – so werden die Kirchen bei ihnen genannt.

Die Anhänger glauben an Jehova als „allmächtigen Gott und Schöpfer“ und unterwerfen sich strengen Vorschriften: Sex ist vor und außerhalb der Ehe nicht erlaubt. Sexuelle Untreue ist der einzige zulässige Scheidungsgrund. Innerhalb der Ehe hat der Mann das Sagen. Homosexualität wird grundsätzlich abgelehnt.
Zeugen Jehovas wählen nicht und feiern auch nicht Geburtstag
Die Zeugen Jehovas stehen dem Staat sehr distanziert gegenüber. Aus religiösen Gründen nehmen sie an Wahlen nicht teil. Sie treten auch keinen Parteien bei. Christliche Feste wie Weihnachten oder Ostern lehnen sie ab – Geburtstage feiern sie auch nicht.
Zwar lassen sich Zeugen Jehovas ärztlich behandeln – aber nur von Medizinern, die ihre Lehre akzeptieren. Sie verfügen über eine entsprechende Datenbank. Bluttransfusionen sind unter Zeugen Jehovas verboten.

Gegründet wurde die Sekte Ende des 19. Jahrhunderts vom amerikanischen Geschäftsmann Charles Taze Russell (1852-1916). In der NS-Zeit war die Glaubensgemeinschaft verboten. Die „Leitende Körperschaft“, so heißt die Zentrale von Jehovas Zeugen, sitzt in Warwick nahe New York. Weltweit gibt es rund acht Millionen Mitglieder. Die deutsche Gemeinschaft ist mit etwa 175.000 Mitgliedern die größte in Europa. In Hamburg gibt es 3847 Zeugen Jehovas in 47 Gemeinden. Bezahlte Geistliche gibt es nicht. Die Glaubensgemeinschaft finanziert sich durch Spenden. Es gibt in Hamburg acht Königreichssaalgebäude.
„Falschspieler Gottes“: Mitglieder erhalten Gehirnwäsche
Die wichtigsten Publikationen der Glaubensgemeinschaft sind der „Wachtturm“ und „Erwachet!“ Oft stehen Mitglieder mit diesen Zeitungen in der Hand an der Straße oder klingeln bei Fremden an der Haustür – um zu missionieren.

Der in Hamburg geborene emeritierte Hochschullehrer Professor Rolf Nobel, ein berühmter Fotograf, schleuste sich Mitte der 80er Jahre in die Glaubensgemeinschaft ein und schrieb darüber das Buch: „Falschspieler Gottes“. Nobel bezeichnete die Zeugen Jehovas als gefährlich, weil sie sich „vor allem an ungebildete und problembelastete Menschen wenden. Sie bieten leichte Antworten auf komplizierte Fragen“.
Wer zu den Zeuge Jehovas gerate, werde einer Gehirnwäsche unterzogen. „Die Leute werden indoktriniert, so dass sie ihre Selbstständigkeit verlieren. Sie leben nur noch mit den Gläubigen und sind nach kurzer Zeit der Gemeinschaft ausgeliefert. Die Persönlichkeit wird gestohlen und durch die Gruppe ersetzt. Abweichler werden hart bestraft.“

Das bestätigt auch die Hamburgerin Margit Ricarda Rolf, selbst 15 Jahre Mitglied der Glaubensgemeinschaft. Heute betreut sie Aussteiger. Wer den Zeugen Jehovas den Rücken kehre, so Rolf, werde geächtet. „Sobald die Gemeinde öffentlich macht, dass du nicht mehr dazugehörst, darf niemand mehr mit dir reden.“ „Gemeinschaftsentzug“ wird das genannt – und da jedes Mitglied nach der Taufe alle Kontakte außerhalb der Gemeinschaft aufzugeben hat, stehen Ausgestoßene dann ganz alleine da. „Das zieht einem den Boden unter den Füßen weg“, so Rolf.
„Unser Mitgefühl gilt den Opfer sowie den traumatisierten Augenzeugen“
Die Zentrale von Jehovas Zeugen in Deutschland veröffentlichte auf ihrer Homepage eine Stellungnahme zum Amoklauf von Alsterdorf: „Die Religionsgemeinschaft ist tief betroffen von der schrecklichen Amoktat auf ihre Glaubensangehörigen in einem Königreichssaal in Hamburg nach einem Gottesdienst.“
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Und weiter heißt es da: „Unser tiefes Mitgefühl gilt den Familien der Opfer sowie den traumatisierten Augenzeugen. Die Seelsorger der örtlichen Gemeinde tun ihr Bestes, ihnen in dieser schweren Stunde Beistand zu leisten. Wir beten für alle Betroffenen und wünschen ihnen die Kraft des Gottes allen Trostes.“