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  • Seit der Corona-Pandemie haben viele Menschen das Gefühl, dass die Zeit rast. (Symbolbild)
  • Foto: www.imago-images.de

Zeitforscher im Interview: Wie Corona unsere Zeitwahrnehmung beeinflusst

Während die Zeit für einige gerade vorbeirauscht, haben andere das Gefühl, sie steht still. Doch eines dürfte für alle gleich sein: Die Corona-Pandemie hat unser Zeitgefühl verändert. Den Grund dafür kennt Psychologe Dr. Marc Wittmann, der in Freiburg im Breisgau zu den Themen Zeitwahrnehmung und -bewusstsein forscht und am Institut für Grenzgebiete der Psychologie und Psychohygiene eine Arbeitsgruppe leitet.

MOPO: Herr Wittmann, wie empfanden Sie selbst bisher die Zeit während der Corona-Pandemie?

Marc Wittmann: Mir kam die Zeit bisher sehr kurz vor: Ich konnte mich auf meine Arbeit konzentrieren und war beschäftigt. Diejenigen, die das nicht konnten, werden eine andere Zeitwahrnehmung gehabt haben.

Offenbar haben viele Menschen gerade das Gefühl, dass die Zeit rast. Woran liegt das?

Es gibt zwei Typen von Menschen: Zum einen diejenigen, die möglicherweise durchaus Stress haben, aber sozial gut eingebettet sind und eine Zukunftsperspektive haben. Sie haben eine Routine entwickelt, die sich von der vorigen unterscheidet: Es gibt keine Höhepunkte mehr, jeder Tag ist gleich. Für diese Gruppe vergeht die Zeit viel schneller als sonst.

Für die anderen, die die Zeit als besonders belastend empfinden, sich vielleicht einsam fühlen oder arbeitslos sind, vergeht die Zeit langsamer. Sie sind die ganze Zeit auf sich selbst fokussiert: Wenn man ängstlich und deprimiert ist, entsteht ähnlich wie bei der Langeweile ein Zeitdehnungseffekt – wir können uns nicht mehr so leicht ablenken.

Psychologe Marc Wittmann forscht zum Thema Zeitwahrnehmung und Zeitbewusstsein.

Psychologe Marc Wittmann forscht zum Thema Zeitwahrnehmung und Zeitbewusstsein. 

Foto:

Oksana Gutina

Auch rückblickend kann die Zeitwahrnehmung nochmal eine andere sein: Das ganze Jahr 2020 kommt den meisten Menschen viel länger vor als gewöhnlich, weil wir über das Jahr so viele Veränderungen hatten.

Wodurch wird unser Zeitempfinden denn überhaupt beeinflusst?

Wenn es ums Hier und Jetzt geht, hängt das mit unserer Aufmerksamkeit zusammen: Achte ich auf die Zeit und sie dehnt sich, oder bin ich abgelenkt, weil ich etwa ein tolles Gespräch habe und die Zeit vergeht wie im Flug?

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Wenn man auf die Zeit zurückblickt, sind wiederum die Gedächtnisinhalte entscheidend. Bekannt ist etwa, dass die Zeit im Alter scheinbar schneller vergeht. Das liegt daran, dass man als junger Mensch viele Dinge zum ersten Mal macht und die Erlebnisse im Gedächtnis hängen bleiben. Mit dem Alter entwickelt man aber in vielem eine Routine: Das lässt die Zeit schneller vergehen.

Noch mehr als sonst sind wir derzeit ja auch durch unsere Smartphones abgelenkt. Inwieweit beeinflusst das unsere Zeitwahrnehmung?

Smartphones sind typische Zeitkiller: Wenn ich im Internet surfe, beachte ich mich selbst nicht, sondern bin von dem, was ich tue, absorbiert. Gleichzeitig ist diese Tätigkeit aber auch keine, die besonders im Gedächtnis bleibt – damit vergeht die Zeit in unserer Wahrnehmung schnell.

Wie können wir selbst aktiv beeinflussen, wie wir Zeit wahrnehmen? 

Wenn die Zeit ganz langsam vergeht, wissen wir oft, wie wir uns mit Fernsehen, Smartphone und Co. ablenken können. Umgekehrt ist das schwieriger. Wenn wir auf Autopilot geschaltet sind, hilft es innezuhalten und uns aus diesem Modus rauszuholen. Dazu muss man sich seiner selbst bewusst werden und sich vergegenwärtigen, wie man sich eigentlich gerade fühlt.

Können wir aus der Pandemie etwas über den Umgang mit Zeit lernen?

Ja, das können wir sicherlich. Wir können lernen, Ereignisse wertzuschätzen und achtsamer zu sein – all das dehnt die Zeit. Wir haben es also selbst in der Hand, das ein bisschen zu steuern und Abwechslung in unser Leben zu bringen.

Wie schaffen wir das in so einer Zeit am besten?

Man muss etwas Neues beginnen: Viele fangen mit Yoga an, lernen ein Musikinstrument oder gehen bewusst spazieren und achten dabei auf ihre Umwelt. Wir sind ja zum Glück nicht eingesperrt: Es ist weiterhin möglich, seine Routinen zu unterbrechen.

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