Zahlen aus Hamburg: Was Sie über Ausländer-Kriminalität wissen sollten
Immer wieder wird hierzulande über Ausländer-Kriminalität diskutiert, dabei haben sich Klischees und Vorurteile in zahlreichen Köpfen verfestigt. Das liegt auch an den ungenauen Zahlen, die verbreitet werden – und die auch Experten kritisieren. Die MOPO hat sich mit den Daten für Hamburg mal genauer beschäftigt.
Wer sich die öffentlich zugängliche Polizeiliche Kriminalstatistik (PKS) für Hamburg anschaut, kann in dem Zahlenmeer leicht ertrinken. Der Einfachheit halber soll hier deshalb nur auf eine Kategorie geschaut werden, auf die „Straftaten gegen das Leben“, was unter anderem Mord und Totschlag umfasst.
- Deutsch (Deutschland)
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Immer wieder wird hierzulande über Ausländer-Kriminalität diskutiert, dabei haben sich Klischees und Vorurteile in zahlreichen Köpfen verfestigt. Das liegt auch an den ungenauen Zahlen, die verbreitet werden – und die auch Experten kritisieren. Die MOPO hat sich mit den Daten für Hamburg mal genauer beschäftigt.
Wer sich die öffentlich zugängliche Polizeiliche Kriminalstatistik (PKS) für Hamburg anschaut, kann in dem Zahlenmeer leicht ertrinken. Der Einfachheit halber soll hier deshalb nur auf eine Kategorie geschaut werden, auf die „Straftaten gegen das Leben“, was unter anderem Mord und Totschlag umfasst.
Dazu heißt es in der Hamburger Statistik, dass der Anteil dieser Straftaten an der Gesamtkriminalität sehr gering sei und bei gerade mal 0,05 Prozent liege. Dennoch sei die Zahl der Fälle von 2020 auf 2021 von insgesamt 49 auf 88 Fälle gestiegen, also um 79,6 Prozent.
Hamburg: Zahl der „Straftaten gegen das Leben“ steigt von 2020 auf 2021
Von den 121 ermittelten Tatverdächtigen im Jahr 2021 waren 59 Nicht-Deutsche (48,8 Prozent) und 62 Deutsche. Neben dieser Nennung der Tatverdächtigen, berechnet die Polizei Hamburg für die PKS auch die sogenannten Tatverdächtigenbelastungszahlen. Dafür wird die Zahl der Tatverdächtigen auf 100.000 Einwohner der entsprechenden Bevölkerungsgruppe umgerechnet – Grundlage sind die als in Deutschland wohnhaft gemeldeten Personen.
Das Ergebnis: vier von 100.000 Deutschen und 20 von 100.000 Nicht-Deutschen standen 2021 in Verdacht, Mord oder Totschlag begangen zu haben. Wer nur auf diese Zahlen schaut, bekommt also den Eindruck, dass wesentlich mehr Nicht-Deutsche tatverdächtig sind als Deutsche.
„Genau in dieser Zahl liegt das Problem“, sagt Professor Dr. Thomas Bliesener, Direktor des Kriminologischen Forschungsinstituts Niedersachsen. „Die Tatverdächtigenbelastungsziffer wird eigentlich nur bei den Deutschen berechnet, weil man da die Bevölkerungsgröße kennt. Bei Nicht-Deutschen wird das üblicherweise nicht gemacht, weil man die Referenzzahl nicht weiß. Wir wissen nicht, wie viele Nicht-Deutsche sich in Deutschland aufhalten.“
Tatverdächtigenbelastungszahl ist bei Nicht-Deutschen problematisch
Professorin Dr. Eva Groß von der Hochschule in der Akademie der Polizei Hamburg stimmt ihrem Kollegen zu: Zwar seien die Tatverdächtigenbelastungszahlen im Grunde ein guter Indikator für die Entwicklung von Kriminalität, jedoch unterlägen sie beim Thema „Ausländerkriminalität“ starken Verzerrungen.
Ein wichtiger Faktor, der zu diesen Verzerrungen führt, ist laut der Kriminologen, dass in der Statistik auch Ausländer als Tatverdächtige erfasst werden, die nicht in Deutschland wohnen und demnach nicht hier gemeldet sind. Dazu gehören Durchreisende, Fernfahrer und Touristen, aber auch Au-Pair-Schüler, Studierende, Saisonarbeiter und Stationierungskräfte, so die Experten.
Kriminalität: Vergleich zwischen Deutschen und Nicht-Deutschen schwierig
„Damit sind insbesondere die Tatverdächtigenbelastungszahlen, die stets in Relation zur Anzahl der jeweiligen Bevölkerungsgruppe wohnhaft in Deutschland berechnet werden, für die Werte nicht-deutscher Tatverdächtiger systematisch nach oben verzerrt“, erklärt die Kriminologin Eva Groß. So wurde für das Jahr 2012 beispielsweise festgestellt, dass altersübergreifend circa 20 Prozent der ausländischen Tatverdächtigen ihren Wohnsitz außerhalb Deutschlands hatten. Im Jahr 2021 waren es 14,6 Prozent.
Die Tatverdächtigenbelastungszahlen für die Gesamtbevölkerung und differenziert für Deutsche und Nicht-Deutsche werden seit 1984 berechnet, so der Sprecher der Polizei, Florian Abbenseth. Er verweist ebenfalls darauf, dass es bei den Zahlen für Nicht-Deutsche zu statistischen Verzerrungen aus den von den Kriminologen genannten Gründen kommt: Der Tatverdächtigenbelastungszahl liegt lediglich der jeweils amtlich gemeldete Bevölkerungsanteil zugrunde, also die in Hamburg gemeldete Wohnbevölkerung. Die anderen Gruppen werden nicht berücksichtigt.
Doch nicht nur das Erfassungsproblem, das zu Verzerrungen in der Kriminalstatistik führt, macht den Vergleich zwischen Ausländern und Deutschen schwierig. Es gibt auch Straftaten, die Deutsche gar nicht begehen können, wie beispielsweise Delikte im Bereich des Ausländerrechts. Auch die unterschiedliche strukturelle Zusammensetzung (Alters-, Geschlechts- und Sozialstruktur) machen die Zahlen kaum vergleichbar.
Straftaten von Ausländern und Deutschen nicht vergleichbar
So unterscheidet sich die Gruppe der Deutschen und Nicht-Deutschen soziodemografisch: Der Anteil der Männer, vor allem der jungen Männer, ist bei den Nicht-Deutschen hierzulande deutlich höher. Gerade diese Gruppe begeht am häufigsten Straftaten und ist deshalb wiederum am stärksten belastet, erklärt Bliesener.
Der Blick in die Hamburger Justizvollzugsanstalten zeigt, dass der Anteil Gefangener mit ausländischer Staatsangehörigkeit im Juni 2021 bei 54,29 Prozent lag. Mehr als die Hälfte der Menschen in Hamburger Knästen ist demnach Nicht-Deutsch.
„Das hat jedoch nichts mit Ethnie oder Herkunft zu tun, sondern einfach mit den Lebenssituationen, in denen sich diese Menschen befinden“, macht der Kriminologe deutlich. „Allein wenn wir daran denken, wo sie häufig untergebracht sind – sie wohnen ja nicht in den guten Gegenden, sondern da, wo es sich ballt, wo leichter an Drogen heranzukommen ist und eine größere Verwahrlosung in den Stadtteilen herrscht. Da ist die Kriminalitätsquote insgesamt natürlich höher.“
Soziale Faktoren für Kriminalität
Hinzu kommen weitere Faktoren bei Nicht-Deutschen, die Kriminalität begünstigen. So seien Nicht-Deutsche im Allgemeinen weniger gut integriert, hätten eine schlechtere Ausbildungssituation, seien dadurch weniger qualifiziert und hätten häufiger Sprachprobleme als Deutsche. Gleichzeitig haben sie eine geringere Bindung und weniger Zutrauen zu Behörden, sagt Bliesener. Bei Konflikten gehe man nicht unbedingt zur Polizei, sondern trage es unter einander aus. Davon werden andere wiederum Zeuge und melden es dann der Polizei.
Dabei lässt sich feststellen, dass es ein unterschiedliches Anzeigeverhalten gibt, je nachdem, ob der Tatverdächtige als Deutscher oder Nicht-Deutscher eingestuft wird. „Seit Dekaden ist aus der Dunkelfeldforschung bekannt, dass die Wahrscheinlichkeit einer Strafanzeige erhöht ist gegenüber Personen aus einer fremd gelesenen Gruppe“, sagt Expertin Groß.
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All das zeigt, dass man nicht beim Blick auf die Zahlen der Tatverdächtigen und Gefangenen verharren sollte, findet der Kriminologe Bliesener. Vielmehr sollten diese als Verweis gesehen werden, dass sich gute Integration lohnt – für alle.