Abholzen für den Wohnungsbau: Der Kampf um Hamburgs einzigartigen „Wilden Wald“
Wohnungen für mehr als 15.000 Menschen: In Wilhelmsburg gibt es derzeit eines von Hamburgs größten Neubauprojekten. Dort entstehen entlang der verlegten Wilhelmsburger Reichsstraße in den nächsten Jahren 5600 neue Wohnungen plus Gewerbe. Für den nördlichen Teil soll nun ein einzigartiger „Wilder Wald“ in der Größe von mehr als acht Fußballfeldern gerodet werden. Ersatzpflanzungen gibt es 50 Kilometer außerhalb der Stadt. Die Naturschutzverbände laufen Sturm dagegen. Wald oder Wohnungen, was ist wichtiger für Hamburg?
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Wohnungen für mehr als 15.000 Menschen: In Wilhelmsburg gibt es derzeit eines von Hamburgs größten Neubauprojekten. Dort entstehen entlang der verlegten Wilhelmsburger Reichsstraße in den nächsten Jahren 5600 neue Wohnungen plus Gewerbe. Für den nördlichen Teil soll nun ein einzigartiger „Wilder Wald“ in der Größe von mehr als acht Fußballfeldern gerodet werden. Ersatzpflanzungen gibt es 50 Kilometer außerhalb der Stadt. Die Naturschutzverbände laufen Sturm dagegen. Wald oder Wohnungen, was ist wichtiger für Hamburg?
Die Anwohner und die Initiative „Waldretter“ nennen ihn liebevoll den „Wilden Wald“; er ist nach der Flut von 1962 entstanden, als dort viele Kleingärten vom Wasser zerstört wurden. Das Biotop ist nie bewirtschaftet worden und konnte daher über Jahrzehnte ganz ungestört vor sich hinwachsen. Dort stehen vor allem Weiden, Birken und Espen, das Unterholz ist nur von kleinen Trampelpfaden durchzogen.
Dieses Waldgebiet zwischen Ernst-August-Kanal und dem Spreehafen im Norden Wilhelmsburgs soll verschwinden, weil es auf einem Teil der Fläche für das Neubaugebiet Spreehafenviertel liegt. Dort entstehen insgesamt 1100 Wohnungen und Gewerbeflächen, geplant von der städtischen IBA Hamburg. Im Rahmen des Bebauungsplanverfahrens geben derzeit die Umweltverbände ihre Einschätzungen ab.
Wilhelmsburger Wald: Dort entsteht das Spreehafenviertel
„Ein etwa 60 Jahre alter Pionierwald inmitten der Stadt geht unwiederbringlich für Menschen, Tiere und Pflanzen verloren“, sagt Jan Muntendorf, Waldexperte der Schutzgemeinschaft Deutscher Wald (SDW) in Hamburg. „Solche Wälder sind von unschätzbarem Wert. Mit dem Klimawandel werden Starkregen-Ereignisse und Hitzeperioden in Hamburg zunehmen. Grünflächen wie Wälder und Parks mildern Temperaturextreme und sorgen für Versickerung.“
Auch der Nabu kritisiert die Pläne vehement. Frederik Schawaller aus dem Leitungsteam der Nabu-Gruppe Süd: „Der Senat missachtet seinen eigenen Klimaplan. Es passt schlicht nicht zusammen, im Klimaplan die Neuanlage von sieben Hektar Wald in Hamburg vorzugeben und gleichzeitig fast zehn Hektar alten Waldes zu roden.“
Tatsächlich ist die Stadt Hamburg verpflichtet, einen Teil des wertvollen Waldes durch Ausgleichspflanzungen zu kompensieren. Und das sogar auf einer großen Fläche. Aber gepflanzt werden die Ersatzbäume laut B-Plan-Unterlagen der Stadt im Grünen, 50 Kilometer südlich des Spreehafens Nahe der Lüneburger Heide (Kampen) und im Kreis Segeberg, was sogar in 70 Kilometern Entfernung von Wilhelmsburg liegt.
Die Planer der IBA Hamburg sehen die Sache naturgemäß etwas anders. Aus ihrer Sicht wurde viel Rücksicht auf die Natur genommen. „Die südliche Bebauungskante wurde weiter nach Norden gerückt und damit bleibt eine rund 30 Meter breite, grüne Landschaftsachse am Ernst-August-Kanal bestehen“, so ein Sprecher. Dadurch könne der hochwertige Baumbestand direkt am Ernst-August-Kanal ebenso wie im östlichen Bereich des neuen Quartiers erhalten bleiben. Zusätzlich werde eine Fläche im Quartier geplant, die ausschließlich dem Naturschutz vorbehalten sei.
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Die Pläne fürs Spreehafenviertel sehen zudem Wege am Wasser vor, Terrassen am Ufer und zwei neue Brücken. So dass die neuen Bewohner dort sicherlich nett am Wasser spazierengehen können. Auch ein neuer Quartiersplatz ist geplant und Sportanlagen. Wäre dort nicht einer der letzten Stadtwälder, würden die Pläne sicherlich viel Zustimmung bekommen. Insbesondere, da Wohnungen dringend gebraucht werden.
Das B-Plan-Verfahren ist nach Einschätzung des Bezirks Mitte im Laufe des nächsten Jahres beendet. Die Initiative Waldretter will jedenfalls noch nicht aufgeben. Sie plant eine zweiwöchige Protest-Mahnwache im
wilden Wald. Sprecherin Sigrun Clausen: „Damit machen wir noch einmal auf die Gefährdung des Waldes aufmerksam und zeigen unseren Widerstand gegen die Rodung.“