Wohin mit Geflüchteten? Hamburg wiederholt die alten Fehler
Wird 2022 das neue 2015? Die Folgen der Massenflucht aus der Ukraine erinnern immer deutlicher an die Zeit vor sieben Jahren, als Schutzsuchende unter menschenunwürdigen Bedingungen zusammengepfercht wurden. Wie damals stößt Hamburg jetzt wieder an seine Grenzen. Die Willkommenskultur droht erneut in Ressentiments umzuschlagen, wenn es um die Schaffung neuer Unterkünfte für Flüchtlinge vor der eigenen Haustür geht. MOPO-Kolumnist Marco Carini fragt: Haben wir nichts dazugelernt?
Wird 2022 das neue 2015? Die Folgen der Massenflucht aus der Ukraine erinnern immer deutlicher an die Zeit vor sieben Jahren, als Schutzsuchende unter menschenunwürdigen Bedingungen zusammengepfercht wurden. Wie damals stößt Hamburg jetzt wieder an seine Grenzen. Die Willkommenskultur droht erneut in Ressentiments umzuschlagen, wenn es um die Schaffung neuer Unterkünfte für Flüchtlinge vor der eigenen Haustür geht. MOPO-Kolumnist Marco Carini fragt: Haben wir nichts dazugelernt?
„Schwierig“, „angespannt“, „ausgelastet“ – so charakterisiert die Sozialbehörde die Situation in den Erstunterkünften und Folgeunterbringungen für geflüchtete Menschen. Weil immer noch täglich alleine aus der Ukraine etwa 60 Menschen in Hamburg eintreffen, sind die Kapazitäten erschöpft. Ohne provisorische Unterkünfte, die zu Kriegsbeginn eigentlich nur für eine kurze Übergangszeit eingerichtet wurden, geht es nicht.
In der Harburger Halle des ehemaligen Fegro-Großmarkts etwa sind derzeit gut 500 Menschen untergebracht, ohne Intimsphäre und ohne angemessenen Corona-Abstand, nur durch provisorische Sichtschutzwände voneinander getrennt. Insgesamt leben etwa 15.000 Geflüchtete aus der Ukraine in öffentlichen Unterbringungsmöglichkeiten. Längst hat Hamburg SOS an die Bundesregierung gefunkt, Neuankömmlinge aus dem Kriegsgebiet auf andere Bundesländer zu verteilen.
Flüchtlingsunterkünfte: Hamburgs Kapazitäten sind erschöpft
Gleichzeitig sucht die Stadt Gewerbegebäude und Hotels, die sie kurzfristig umfunktionieren kann, und hat sich an alle Bezirke gewandt. Die sollen möglichst schnell möglichst viele Betten für Flüchtlinge bereitstellen. Der Zeitdruck führt vielerorts dazu, dass die Anwohner:innen der neu geplanten Einrichtungen – wie schon in den Jahren 2015 und 2016 – kaum in die Planungen einbezogen werden und sich so in vielen Stadtteilen bereits Initiativen gegen neue Flüchtlingsunterkünfte in der Nachbarschaft formieren.
Zudem verbinden sich – auch das erinnert an 2015/2016 – Oppositionspolitiker:innen vielerorts mit jenen, die vor Ort Bedenken gegen neue Unterkünfte vorbringen. Sicher auch, um Volkes Zorn mittelfristig in Wahlstimmen umzumünzen. So forderte etwa die CDU den Senat auf, schnell und ausreichend Unterbringungsmöglichkeiten für Flüchtlinge zu schaffen, und hat gleichzeitig bisher jeden konkreten Standortvorschlag als ungeeignet abgelehnt.

Initiative „Hamburg für gute Integration“ kritisiert die Stadt
Beispiele gefällig? Eine geplante Flüchtlingsunterkunft auf der Duvenstedter Festwiese? „Ungeeignet“, weil es dort an der sozialen Infrastruktur für eine gute Integration fehle, findet der Chef der CDU-Bürgerschaftsfraktion Dennis Thering. Eine Flüchtlingsunterkunft mit 304 Plätzen in der Straße Am Luisenhof in Farmsen-Berne? „Die Sozialeinrichtungen vor Ort sind bereits durch den massiven Wohnungsbau ausgelastet“, sagt der Bramfelder CDU-Bürgerschaftsabgeordnete Sandro Kappe. Konkrete Alternativen sucht man hingegen bei der CDU vergeblich.
Doch warum schlittert Hamburg trotz der Erfahrungen aus den Jahren 2015 und 2016 erneut so unvorbereitet in die neue Fluchtbewegung? „Wir haben damals verbindlich vereinbart, dass die Zentrale Koordinierungsstelle für Flüchtlinge des Senats ein Szenario entwickelt, wie die Stadt auf eine erneute plötzliche Zunahme der Flüchtlingszahlen vorbereitet ist“, sagt Klaus Schomacker. Er wirft der Stadt vor, ihre Hausaufgaben nicht gemacht zu haben. 2016 handelte Schomacker für die Initiative „Hamburg für gute Integration“ mit SPD und Grünen die sogenannten Bürger:innenverträge zur Unterbringung von Schutzsuchenden in Hamburg aus, die eine dezentralere Unterbringung der Schutzsuchenden vorsahen.
Schomacker: „Senat hat sozialen Sprengstoff gefürchtet“
„Anders als vereinbart hat Hamburg nach Vertragsunterzeichnung keine einzige dezentrale Unterbringungs-Einrichtung mehr gebaut“, klagt Schomacker jetzt. Auch die Forderung der Initiative, ein Viertel aller neu gebauten Wohnungen für Geflüchtete zu reservieren, sei „nie verwirklicht worden“. Seine Erklärung: „Der Senat hat den sozialen Sprengstoff gefürchtet, hier ausdrücklich Geflüchtete zu bevorzugen.“
So verwundert es nicht, dass die durchschnittliche Verweildauer der Geflüchteten in den öffentlichen Unterkünften noch immer bei drei Jahren, statt – wie es sein soll – bei wenigen Monaten liegt. Doch genau diese dauerhaft belegten Plätze werden derzeit eigentlich für die Neuankömmlinge aus der Ukraine gebraucht.
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