„Wir werden als Freiwild betrachtet!“: Sexarbeiterinnen wehren sich gegen Gewalt
Vergewaltigung, Missbrauch, Beleidigungen: Für Sexarbeiterinnen ist es oft besonders schwierig, über Gewalterfahrungen zu sprechen und diese anzuzeigen. Am Freitag machten Betroffene und Sozialarbeiterinnen bei einer Aktion am Hansaplatz auf dieses Problem aufmerksam – und stellten Forderungen. Vor allem eine Sache muss sich in ihren Augen ändern.
- Deutsch (Deutschland)
MOPO+ Abo
für 1,00 €Jetzt sichern!Neukunden lesen die ersten 4 Wochen für nur 1 €!Zugriff auf alle M+-ArtikelWeniger Werbung
Danach nur 7,90 € alle 4 Wochen //
online kündbarMOPO+ Jahresabo
für 79,00 €Jetzt sichern!Spare 23 Prozent!Zugriff auf alle M+-ArtikelWeniger Werbung
Danach zum gleichen Preis lesen //
online kündbar
Wenn Sie E-Paper Kunde sind, betrifft diese Änderung Sie nicht.
Vergewaltigung, Missbrauch, Beleidigungen: Für Sexarbeiterinnen ist es oft besonders schwierig, über Gewalterfahrungen zu sprechen und diese anzuzeigen. Am Freitag machten Betroffene und Sozialarbeiterinnen bei einer Aktion am Hansaplatz auf dieses Problem aufmerksam – und stellten Forderungen. Vor allem eine Sache muss sich in ihren Augen ändern.
Rote und weiße Schilder hängen an den Laternenpfählen und Bäumen am Hansaplatz, auf dem Asphalt stehen Forderungen, geschrieben mit Kreide in bunten Farben. Ab und zu bleibt ein Passant stehen, liest, macht ein Foto und geht weiter. Die Zitate auf den Schildern sind verstörend, für Sexarbeiterinnen sind sie jedoch Alltag:
„Ich geb dir einen 5er, dafür bekomme ich Arsch, Fotze, Mund und das zweimal“. „Entweder du gibst mir das Geld zurück, oder ich sage an der Rezeption, was du machst“. „Die neue Freundin deines Sohnes sitzt da, wo die anderen Nutten sitzen“. „Und, lernst du deine Tochter schon an?“
Sexarbeiterinnen werden beleidigt, bedroht, um ihr Geld gebracht oder körperlich attackiert. Selbst im Familien- und Freundeskreis werden sie geschmäht, man schämt sich für sie, möchte nichts mit ihnen zu tun haben.
Hamburg: Sexarbeiterinnen protestieren gegen Gewalt
Undine de Rivière (49) ist Sexarbeiterin und seit 22 Jahren in Hamburg tätig. Sie ist am Freitag am Hansaplatz und nimmt an der Aktion „Wir kreiden an!“ gegen Gewalt an Sexarbeiterinnen teil. „Als Berufsstand sind wir nach wie vor Gewalt in vielerlei Formen ausgesetzt. Dazu zählen verbale, strukturelle und gesellschaftliche Gewalt und Diskriminierung. Dagegen protestieren wir heute, machen darauf aufmerksam. Was wir von unserem Umfeld zu hören bekommen, ist manchmal ziemlich krass“, sagt sie.
Gudrun Greb (59) hält während der Aktion eine Rede. Sie leitet ragazza e.V., eine Anlaufstelle für Sexarbeiterinnen und Frauen, die Drogen konsumieren. Sie ist überzeugt: „Die Stigmatisierung von Prostitution macht es Sexarbeiter*innen besonders schwer, über Gewalterfahrungen zu sprechen“. Sexarbeiterinnen würden als weniger wertvoll und schutzwürdig wahrgenommen und selbst bei der Polizei mit ihren Gewalterfahrungen oft nicht ernst genommen.
„Es ist Gewalt gegen eine bestimmte Art des Lebens, eine Lebensentscheidung, die unser Alltag ist“, sagt Gudrun Greb gegenüber der MOPO. „In einem Bereich wie der Sexarbeit, der so stigmatisiert, tabuisiert und kriminalisiert ist, ist es besonders schwierig, erlebte Gewalt zur Anzeige zu bringen.“ Es werde sehr viel Druck auf die Frauen ausgeübt. „Jede Frau, die versucht, einen Übergriff zur Anzeige zu bringen, muss damit rechnen, dass ihre Personalien, ihr Aufenthaltsstatus oder sie selbst auf Drogen geprüft wird.“ Die Angst vor Zwangs-Outing oder fehlende Arbeits- und Aufenthaltsgenehmigungen halten viele Frauen davon ab, Anzeige zu erstatten.
Täter fühlen sich im Recht
„Täter fühlen sich legitimiert, dadurch dass wir gesellschaftlich diskriminiert werden“, sagt Undine de Rivière. „Wir müssen oft isoliert arbeiten, es gibt einige Menschen, die uns als Freiwild betrachten. Deswegen ist das Wichtigste aus meiner Sicht, dass Sexarbeit stärker gesellschaftlich anerkannt und integriert wird – und Menschen mit Sexarbeitern umgehen, wie mit allen anderen Leuten auch.“
Doch was muss passieren, damit sich die Situation der Frauen (und Männer) verbessert? „Wir brauchen eine rechtliche Anerkennung von Sexarbeit, eine Abschaffung der Sondergesetze und eine Integration ins Gewerberecht, beispielsweise Anerkennung von Sexarbeit als Freiberuf. Wichtig wären auch Antidiskriminierungskampagnen, die Unterstützung der Beratungsstellen und der Sexworker-Selbstvertretung“, sagt de Rivière.
Das könnte Sie auch interessieren: „Freier können nicht erkennen, ob eine Frau zur Prostitution gezwungen wird“
Gudrun Greb ergänzt: „Wir fordern eine komplette Trennung der Sexarbeit vom Thema Frauen- und Menschenhandel zum Zwecke der sexuellen Ausbeutung. Das wird immer zusammengeworfen, auch in der Presse, und hat nichts miteinander zu tun. Und wir fordern natürlich auch eine Anerkennung dessen, was die Frauen hier anbieten.“ Für sie ist klar: Eine Frau muss selbst entscheiden dürfen, ob sie sexuelle Dienstleistungen, ihren Verstand oder ihre Kreativität verkauft.