„Das machst du gut“, flüstert der Sargträger – dann lassen wir den Toten in sein Grab
Die Aufregung ist groß an diesem Morgen in der Borsteler Chaussee. Nicht etwa bei den älteren Herren, die um einen Tisch sitzen und sich unterhalten, als wären sie bei einem Kaffeekränzchen, sondern bei mir. Heute werde ich mit sieben 60- bis 80-jährigen Männern von der „Albert Meyer & Co. Trägervermittlung“ einen Sarg zum Grab tragen – für mich absolutes Neuland, für sie Routine.
Nach der Vorbesprechung und Einweisung fahren wir in einem Bus zum Friedhof Ohlsdorf. Auf der Fahrt herrscht eine gelöste Stimmung. „Ich mache Ihnen dann einfach alles nach, ja?“, frage ich einen meiner Kollegen nervös. „Klar“, antwortet dieser fröhlich. „Wenn ich ins Loch springe, springen Sie hinterher?“ Später erklärt er mir, dass man die permanente Konfrontation mit dem Tod am besten mit Humor ertrage. Bis zur Kapelle ist der erlaubt – dann wird es ernst.
Selbstversuch: Das sind die Aufgaben eines Sargträgers
- Deutsch (Deutschland)
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Die Aufregung ist groß an diesem Morgen in der Borsteler Chaussee. Nicht etwa bei den älteren Herren, die um einen Tisch sitzen und sich unterhalten, als wären sie bei einem Kaffeekränzchen, sondern bei mir. Heute werde ich mit sieben 60- bis 80-jährigen Männern von der „Albert Meyer & Co. Trägervermittlung“ einen Sarg zum Grab tragen – für mich absolutes Neuland, für sie Routine.
Nach der Vorbesprechung und Einweisung fahren wir in einem Bus zum Friedhof Ohlsdorf. Auf der Fahrt herrscht eine gelöste Stimmung. „Ich mache Ihnen dann einfach alles nach, ja?“, frage ich einen meiner Kollegen nervös. „Klar“, antwortet dieser fröhlich. „Wenn ich ins Loch springe, springen Sie hinterher?“ Später erklärt er mir, dass man die permanente Konfrontation mit dem Tod am besten mit Humor ertrage. Bis zur Kapelle ist der erlaubt – dann wird es ernst.
Selbstversuch: Das sind die Aufgaben eines Sargträgers
Bevor wir den Sarg abholen, müssen wir uns erst einmal umziehen. Ich bin groß, das ist gut, denn eigentlich sind die einheitlichen Sargträger-Outfits für Männer gemacht. Das soll sich ändern: Gerade angesichts des Mangels an Nachwuchs werden explizit auch Frauen ermutigt, den Beruf mal auszuprobieren. Schwarzer Mantel, weißer Kragen, Dreispitz und Handschuhe: Die Kleidung fühlt sich ungewohnt an, der Kragen kratzt ein wenig, aber es passt.
Eine Weile stehen wir vor der Kapelle und warten. Drinnen findet die Trauerfeier statt. Leise dringt „In Hamburg sagt man Tschüss“ zu uns. Währenddessen erfahre ich einiges über die Arbeit der Sargträger. Zum Beispiel, dass die Bestatter entweder sechs oder acht von ihnen für eine Beerdigung buchen. Etwa 40 arbeiten in dem Betrieb. Heute waren eigentlich nur sechs geordert – „aber weil wir nicht wussten, wie kräftig du bist, haben wir acht daraus gemacht“, erklärt Gerd-Dieter Ottmann. Er ist der Meinung, dass sich der Beruf auch für Frauen öffnen sollte. Bisher gibt es erst eine Sargträgerin in Hamburg. „Man kann das maximal machen, bis man 80 ist“, so Ottmann. „Nachwuchs zu finden, ist schwer. Dabei sind Sargträger essentiell für eine würdevolle Bestattung.“
Da bekommen wir das Zeichen von der Bestatterin. Wir betreten im Gleichschritt die Halle, linker Fuß zuerst, den Hut in der Hand. Im Hintergrund läuft Musik, die Blicke der Trauergäste ruhen auf uns. Bloß nichts falsch machen, denke ich, ich darf Ihnen diesen wichtigen Moment nicht zerstören. Zum Glück geben mir die erfahrenen Sargträger immer wieder leise Hinweise. Wir verneigen uns, setzen den Hut wieder auf, greifen unter den Sarg und tragen ihn im Gleichschritt hinaus. Vor der Kapelle steht die Bahre, mit der wir ihn langsam zum Grab fahren. Die Trauergemeinde folgt uns.
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Jetzt kommt der Teil, vor dem ich am meisten Angst habe: Mithilfe eines Seils lassen wir den Sarg hinunter in das Loch, das vorher ausgehoben wurde. Hinter uns stehen die Trauergäste. „Du machst das gut“, flüstert Gerd-Dieter Ottmann mir zu. Wir verneigen uns ein zweites Mal und verlassen das Grab, als die Bestatterin zu ihrer Rede ansetzt.
Wir haben es geschafft. Das mulmige Gefühl, gerade einen Fremden in sein Grab begleitet zu haben, bleibt. Aber es fühlt sich auch gut an – denn immerhin haben wir zu einer würdevollen Beerdigung beigetragen. „Es ist wichtig, dass diese Tradition erhalten bleibt“, sagt Gerd-Dieter Ottmann. Und spätestens seit heute ist klar: Das hier muss keine Männerdomäne bleiben.