Wohnungsnot in Hamburg: Stadtplaner will Tiny Houses auf „Tabuflächen“
„20 neue Stadtteile auf der grünen Wiese” – das forderte Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) jüngst gegen Wohnungsmangel in Deutschland. Aber sind aus dem Boden gestampfte Neubausiedlungen wie in den 70ern jetzt wirklich das Mittel der Wahl? Und wo wäre in Hamburg überhaupt noch Platz dafür? Die MOPO hat einen Stadtplaner und Wohnungsexperten der HafenCity Universität gefragt. Warum er von Scholz Vorstoß wenig hält – und auf welchen „Tabuflächen” in Hamburg er stattdessen riesiges Potenzial sieht.
„20 neue Stadtteile auf der grünen Wiese” – das forderte Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) jüngst gegen Wohnungsmangel in Deutschland. Aber sind aus dem Boden gestampfte Neubausiedlungen wie in den 70ern jetzt wirklich das Mittel der Wahl? Und wo wäre in Hamburg überhaupt noch Platz dafür? Die MOPO hat den Stadtplaner und Wohnungsexperten der HafenCity Universität, Thomas Krüger, gefragt. Warum er von Scholz Vorstoß wenig hält – und auf welchen „Tabuflächen” in Hamburg er stattdessen riesiges Potenzial sieht.
MOPO: Bundeskanzler Olaf Scholz hat jüngst den Neubau ganzer Stadtteile auf freien Flächen gefordert. Was halten Sie davon?
Thomas Krüger: Ich halte das Argument, dass wir viel mehr Bauland brauchen, für falsch. Wir leben heute im Schnitt auf 43 Quadratmetern pro Kopf und jetzt sollen wir noch mehr Quadratmeter schaffen und auf die grüne Wiese ziehen? Angesichts des Klimawandels und der Baukostensteigerung passt das nicht in unsere Zeit. Davon abgesehen gilt „viel hilft viel“ nur eingeschränkt, denn die Wohnungswirtschaft baut nicht unbedingt das, was gebraucht wird. Wir haben gerade bei kleinen und großen Wohnungen Mangel. Ich bin für intelligenten und moderaten Neubau, aber wir können die hohe Nachfrage allein so nicht abdecken.

Wie könnte man bei so einem Vorgehen „Ghetto-Viertel“ wie aus den 70er Jahren verhindern?
Wenn Neubaugebiete mit gemischten Strukturen, für Junge und Alte, für kleine und große Haushalte und für Gut- und für Geringverdiener geschaffen werden. Und sie einen guten Anschluss an den öffentlichen Nahverkehr, eine Nahversorgung, Schulen und Arbeitsplätze haben, dann wird das gut. Aber das ist schwer zu realisieren. In Oberbillwerder wird das wohl klappen.
Das könnte Sie auch interessieren: Protest gegen Wuchermiete lohnt sich: Hamburger bekommen 13.000 Euro zurück!
Wo wäre in Hamburg überhaupt noch Platz für solche Siedlungen?
Die Welt hört ja nicht mit der Stadtgrenze auf. Wir brauchen eine bessere Zusammenarbeit mit dem Hamburger Umland. Denn wenn man dort etwas kompakter bauen würde, könnte man ein erhebliches Potenzial heben. Außerdem sind im Hafen viele Flächen extrem schecht genutzt: Vis-à-vis von der Elphi stehen auf dem Grasbrook alte Autos für den Export. Das kann doch nicht wahr sein! Ich finde es insgesamt sehr schwierig, wie Hamburg mit dem vorhandenen Flächenpotenzial umgeht.
Was meinen Sie damit?
70 Prozent der Gebäude in Hamburg sind Ein- oder Zweifamilienhäuser auf zum Teil sehr großen Grundstücken. Diese oft alten Energieschleudern müssen ohnehin grundlegend erneuert werden. Warum dann nicht gleich auch umbauen und erweitern? Klar, das ist ein sehr sensibles Thema. Aber wir können auch im Sinne des Klimasschutzes nicht immer weiter neue Fläche in Anspruch nehmen. Wir müssen neu denken und an die Tabuflächen ran.
Aber das ist Privatbesitz. Was will man da machen?
Klar, mit Zwang erreicht man gar nichts. Die Menschen müssen einen echten Vorteil erkennen und ihre eigene Situation verbessern können. Es gibt Häuser aus den 50er bis 80er Jahren, in denen jetzt ein bis zwei ältere Menschen leben. Sie werden in den nächsten Jahren von Energiekosten überrollt, bekommen aber wegen ihres Alters keine Kredite für Modernisierungen. Angenommen sie geben von ihren 160 Quadratmetern 100 an eine neue Familie ab. So kann der Umbau finanziert oder barrierefreies Wohnen ermöglicht werden, sodass die älteren Menschen dort noch jahrelang glücklich leben können. Und in den Garten kommt noch ein Tiny House für ein junges Paar. Das geht alles, wenn man es behutsam macht und die Stadt mit Genehmigungen und flexibleren Standards hilft. So können wir ohne einen Quadratmeter neuer Flächeninanspruchnahme Gutes für viele Menschen bewirken.
Eine weitere Schiene: Viele Menschen der Generation 50plus wollen im dritten Lebensabschnitt nicht allein alt werden. Sie wünschen sich eine gemeinschaftliche, lockere Wohnform – zum Beispiel mit gemeinsamem Garten, Werkstatt oder großer Küche, wo man ein- oder zweimal in der Woche gemeinsam isst und sich ansonsten in Ruhe lässt. Wenn man dieser großen Gruppe solche Wohnformen anbietet, kleinere Wohnungen mit gemeinschaftlich nutzbaren Bereichen, ziehen die aus ihren derzeitigen größeren Wohnungen aus, in die dann wiederum junge Familien einziehen können.
Glauben Sie, das machen die Leute mit?
Es ist sicherlich nicht einfach. Man muss Überzeugungsarbeit leisten und dicke Bretter bohren. Aber ich bin sicher, dass es wert wäre, die Anstrengung zu versuchen, selbst wenn es am Anfang keine Massenbewegung ist. Ich glaube, dass die Win-Win-Situationen die Menschen nach und nach überzeugen wird. Weil es einfach logisch ist und sich ältere Menschen trotz immer höherer Energiekosten dann keine Sorgen über die Zukunft machen müssen.
Und wie viel bringt das?
70 Prozent der Hamburger Gebäude sind Einfamilienhäuser. Wenn nur ein Viertel mitmacht, kommen Sie in Größenordnungen, in die das Hamburger Wohnungsbauprogramm für zehn Jahre hineinpasst.
Die junge Familie muss sich das aber auch leisten können. Ist das nur eine Lösung für Wohlhabende oder wie hilft das Mietern?
Klar, auch aufgeteilte Einfamilienhäuser können sich viele Familien nicht leisten. Uns fehlt das mittlere und das günstige Angebot. Es muss mehr größerer Wohnraum auf den Markt, der nicht 600.000 Euro aufwärts kostet. Wenn mehr Familien es sich leisten können, Teileigentümer zu werden und ihre jetzigen Mietwohnungen freimachen, hilft das über die ausgelöste Umzugskette auch den anderen.