Wie Rot-Grün seinen eigenen Klimabeirat einfach ignoriert
Er soll der Politik und Verwaltung tatkräftig dabei helfen, die ambitionierten Hamburger Klimaziele zu erreichen: Der Ende 2021 eingesetzte Klimabeirat, ein unabhängiges Gremium von 15 Wissenschaftler:innen. Doch oft – so scheint es – wenn sich der Beirat bisher äußerte, stießen seine Bedenken und Vorschläge auf taube Ohren. Das betrifft Großprojekte, wie die neue U5, aber auch das Wohnungsbauziel der Stadt. Ist das Gremium nur ein machtloser Papiertiger?
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Er soll Politik und Verwaltung tatkräftig dabei helfen, die ambitionierten Hamburger Klimaziele zu erreichen: Der Ende 2021 eingesetzte Klimabeirat, ein unabhängiges Gremium von 15 Wissenschaftler:innen. Doch oft wenn sich der Beirat bisher äußerte, stießen seine Bedenken und Vorschläge auf taube Ohren. Das betrifft Großprojekte, wie die neue U5, aber auch das Wohnungsbauziel der Stadt. Ist das Gremium nur ein zahnloser Tiger?
„Wir brauchen die engagierte Mitwirkung und Expertise aus der Wissenschaft, um in Hamburg noch schneller und effektiver Antworten auf die Klimakrise zu finden.“ Mit diesen Worten stellte Umweltsenator Jens Kerstan (Grüne) den Klimabeirat im Oktober 2021 vor – wie ernst war das tatsächlich gemeint?
Klimabeirat Hamburg: Das forderte das Gremium bereits
Ein Überblick: Nur zwei Monate nach seiner Einsetzung übergab der Klimabeirat seine erste „klimapolitische Empfehlung“ an den Senat. Eine der zentralen Forderungen: Hamburg solle seine bisherige Neubauquote von 10.000 Wohnungen pro Jahr reduzieren. „Jeder Neubau ist mit einem Material- und Energieeinsatz sowie Flächenverbrauch verbunden“, hieß es. Stattdessen würden angesichts der Bevölkerungsprognose auch 5000 Wohnungen reichen.
In der Baubehörde traf diese Forderung auf wenig Verständnis. „Ich zweifle an der Ernsthaftigkeit und Sachlichkeit dieser Aussage“, sagte die damalige Bausenatorin Dorothee Stapelfeldt (SPD). „Wir sind in der Verantwortung, Wohnraum zu schaffen für Azubis, Studierende, junge Berufsanfänger und qualifizierte Fachkräfte.“ 5000 Wohnungen pro Jahr seien da nicht ausreichend. Erst vor ein paar Wochen bestätigte Nachfolgerin Karen Pein (SPD) noch einmal das 10.000er Ziel.
Klimabeirat empfiehlt Tempo 30 als Regelgeschwindigkeit
Die zweite Empfehlung betraf den Verkehr. Jörg Knieling, stellvertretender Vorsitzender des Klimabeirats, forderte damals im MOPO-Interview, dass Tempo 30 zur Regelgeschwindigkeit werden müsse. Hauptstraßen könnten mit 50 km/h ausgeschildert werden. „Das bedeutet weniger Lärm, weniger Luftschadstoffe, weniger Treibhausgasemissionen und mehr Verkehrssicherheit“, sagte er.
Was ist seitdem passiert? Ein Antrag der Linken im Sommer 2022, dass Hamburg sich der bundesweiten Städteinitiative „Tempo 30“ anschließen solle, scheiterte im Verkehrsausschuss. Seitdem liegt das Thema auf Eis.
Ist eine Straßenbahn als U5-Alternative sinnvoll?
Die jüngste Empfehlung des Klimabeirats betrifft Hamburgs größtes Verkehrsprojekt, die neue U5. Angesichts der fast 20-jährigen Bauzeit bezweifelt der Beirat, ob sie „die angemessene Antwort auf die Dringlichkeit für mehr Klimaschutz und eine schnellwirksame Verkehrswende“ darstellt. Deswegen müssten so schnell wie möglich Alternativen geprüft werden – auch wegen der Milliardenkosten.
Mit den möglichen Alternativen ist offenbar den Bau einer Straßenbahn gemeint. Diese wurden von Verkehrssenator Anjes Tjarks (Grüne) jedoch bereits oft abgewiesen. Auf die aktuellen Vorschläge des Gremiums hieß es aus seiner Behörde lediglich, dass die „wertvollen Hinweise“ jetzt von der Hochbahn geprüft würden. Großartig ändern werden sich die U5-Planungen wohl nicht. Wozu also eigentlich überhaupt einen Klimabeirat einsetzen?
Klimabeirat sieht sich als Impulsgeber für den Senat
Knieling, Professor für Stadtplanung an der HafenCity-Universität (HCU), erklärt, dass das Gremium sich zuallererst als Impulsgeber verstehe. „Die Hinweise mögen nicht immer auf Zustimmung stoßen, aber die Diskussion ist wichtig.“ Er ist sich sicher: „Alleine dadurch, dass unsere Stellungnahmen kontrovers in Politik und Gesellschaft diskutiert werden, können wir Veränderungen bewirken.“
Mit Bürgermeister Peter Tschentscher (SPD) und einzelnen Senator:innen seien sie im direkten Austausch und hätten auch den Eindruck, „dass die Hinweise aufgegriffen werden“, erzählt der HCU-Professor. Ob das tatsächlich der Fall ist, wird sich wohl im Sommer zeigen, wenn der neue Klimaplan präsentiert wird. Schwerpunkte müssen dort laut Knieling unter anderem im Verkehr und der klimaneutralen Sanierung von Gebäuden gesetzt werden.
Der 15-köpfige Klimabeirat tagt viermal im Jahr im Plenum und erarbeitet in Untergruppen klimapolitische Empfehlungen. Er wird von einer Geschäftsstelle der Umweltbehörde von Senator Kerstan begleitet. Vorsitzender der Geschäftsstelle ist Manfred Braasch, langjähriger Geschäftsführer des Umweltverbandes BUND Hamburg, dessen Wechsel in die grün geführte Umweltbehörde für Kritik gesorgt hatte.