Wie die Nazis die Hapag zwangen, ein Schiff umzutaufen
Sie war Hamburgs ganzer Stolz: Die „Albert Ballin“ war das erste Schiff, das nach dem verlorenen Ersten Weltkrieg in Deutschland gebaut wurde. Die Stadt jubelte, als der Passagierdampfer am 16. Dezember 1922 bei Blohm & Voss vom Stapel lief. Doch als Adolf Hitler an die Macht kam, geriet das Schiff ins Visier der nationalsozialistischen Rassenideologen – wegen seines Namens.
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Sie war Hamburgs ganzer Stolz: Die „Albert Ballin“ war das erste Schiff, das nach dem verlorenen Ersten Weltkrieg in Deutschland gebaut wurde. Die Stadt jubelte, als der Passagierdampfer am 16. Dezember 1922 bei Blohm & Voss vom Stapel lief. Doch als Adolf Hitler an die Macht kam, geriet das Schiff ins Visier der nationalsozialistischen Rassenideologen – wegen seines Namens.
Zwei Schornsteine, vier Masten und eine Länge von 191 Metern. Die „Albert Ballin“ war ein prächtiges Schiff, das Reisenden zwischen Hamburg und New York in den goldenen zwanziger Jahren Luxus und Komfort bieten sollte. Zumindest den Passagieren der ersten Klasse.
Erster Nachkriegsdampfer wird auf den Namen „Albert Ballin“ getauft
Die Reederei Hapag-Lloyd taufte ihren ersten Nachkriegsdampfer auf den Namen ihres früheren Generaldirektors Albert Ballin (1857 bis 1918), der das Unternehmen zur größten Schifffahrtslinie der Welt ausgebaut hatte und als Erfinder der Kreuzfahrt gilt.
Ballin war 1918 nach Einnahme eines Schlafmittels gestorben. Ob es Selbstmord war oder ein durch die Arznei ausgelöster Magendurchbruch – darüber streiten die Historiker. Klar ist: Ballin, ein überzeugter Monarchist, war verzweifelt über den Untergang des Kaiserreichs. Und er hatte es nicht leicht gehabt, Anerkennung in der Hamburger Gesellschaft zu finden. Einmal, weil er aus ärmlichen Verhältnissen stammte – und weil er Jude war.
1935 ordnen die Nazis die Umbenennung der „Albert Ballin“ in „Hansa“ an
Genau diese Tatsache war es auch, die den Nationalsozialisten ab 1933 missfiel. Dass da ein deutscher Dampfer auf den Weltmeeren unterwegs ist, der den Namen eines Juden trug, passte den neuen Herrschern nicht. Im Herbst 1935 zwang das Reichsministerium für Volksaufklärung und Propaganda die Hapag-Lloyd, die „Albert Ballin“ in „Hansa“ umzubenennen.
Erstaunlich: Die Umbenennung erfolgte erst zwei Jahre nach Beginn der sogenannten „Arisierung“. Ein neu in den Hapag-Lloyd-Archiven aufgetauchtes Dokument, das der MOPO vorliegt, lässt den Rückschluss zu, dass die Reederei sich lange gegen die Anordnung von Oben zur Wehr setzte.
Es ist ein Brief, der auf den 19. Oktober 1934 datiert ist und mit den Worten „Heil Hitler!“ endet. „Ich bitte Sie aber, nochmals zu prüfen, ob Sie Ihre damalige Stellungnahme, den Namen des Dampfers nicht ändern zu können, aufrecht erhalten“, heißt es in dem Schreiben.
Neues Dokument zur „Albert Ballin“ in den Hapag-Lloyd-Archiven aufgetaucht
Gerichtet ist der aus der Reichswirtschaftskammer stammende Brief an Staatsrat Emil Helfferich, der zu dem Zeitpunkt zugleich Vorsitzender des Aufsichtsrats bei der Hapag (damals noch Hamburg-Amerika-Linie) war. Deutlich wird: Es ist nicht der erste Versuch, der NS-Behörden, bei der Reederei eine Umbenennung zu erwirken.
Unter Verweis auf eine inzwischen erlassene Verordnung vom 16. September 1934 schreibt der Verfasser: „Der Träger des Namens Ballin kann im neuen Deutschland nicht gut als historische Person bezeichnet werden, insbesondere bei Bedachtnahme auf sein Ende.“
Noch deutlicher ist eine weitere Textstelle, die anmerkt, dass die Sache unter dem Aktenvermerk „Passagierdampfer mit jüdischem Namen“ bereits ganz oben beim „Stab des Stellvertreters des Führers“, Rudolf Heß, anhängig sei. Zitat: „Es wird darauf hingewiesen, dass die Vereinigung dieses Namens mit der Hakenkreuzflagge in fernen Ländern nicht den Eindruck von Konsequenz machen kann.“
Hat sich die Hapag-Lloyd gegen die Umbenennung ihres Schiffes zur Wehr gesetzt?
Hat Hapag-Aufsichtsrat Emil Helfferich sich den NS-Schergen widersetzt? Hat er versucht, die Umbenennung zu verhindern? Das lässt sich nicht mehr endgültig klären. In den Archiven am Ballindamm ist heute nichts mehr zu finden, was Licht in die Sache bringen könnte.
Helfferich hatte keine Kinder. Sein Großneffe Wolfgang Helfferich, ein Glaskünstler aus Neustadt an der Weinstraße, beschreibt ihn als meinungsstarken Menschen, der gerne unbequeme Fragen stellte. Zumindest zu Beginn der 30er Jahre sei er aber ein glühender Hitler-Anhänger gewesen.
Passagierdampfer „Albert Ballin“ wurde noch drei Mal umbenannt
Erkenntnissen des Historikers Karl Scherer zufolge, hat sich Emil Helfferich, der vor seiner Zeit bei der Hapag lange Jahre als Südostasienkaufmann in Indonesien gelebt hat und sich sehr für fremde Kulturen interessierte, nach dem Novemberpogrom vom Nationalsozialismus abgewandt. Er soll sich für verhaftete jüdische Geschäftspartner eingesetzt und ihnen die Freilassung und Emigration ermöglicht haben.
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1941 schied Helfferich bei der Hapag aus. Die weitere Entwicklung der „Albert Ballin“ dürfte er aus den Augen verloren haben. Das Schiff fuhr am 27. Juli 1939 zum letzten Mal nach New York. Während des Krieges diente es als Marine-Wohnschiff und half bei der Evakuierung der deutschen Ostgebiete.
Kurz vor Kriegsende lief der Dampfer vor Warnemünde auf eine Mine und sank. Er wurde geborgen und später von der Sowjetunion übernommen. Der neue Name lautete nun: „Sovetskij Sojus“. Eine letzte Umbenennung erlebte die einstige „Albert Ballin“ im Jahr 1980. Als „Tobolsk“ wurde sie 1982 verschrottet – genau zehn Jahre nach dem Tod ihres einstigen Schutzpaten Emil Helfferich.