Fahrradaktivist: „Wer in Hamburg Rad fährt, muss Regeln brechen“
Rambos auf dem Rad, Zweirad-Rowdys oder Kampfradler – die Autofahrer in Hamburg haben viele Namen für Radfahrer, die aus ihrer Sicht notorische Verkehrssünder sind. Die Vorwürfe: Sie fahren zu oft über rote Ampeln oder ignorieren Radwege. In einem Streitgespräch stellten sich Mitglieder des Hamburger Fahrradclubs ADFC jetzt diesen Vorwürfen – mit teils irritierenden Äußerungen: „Wer in Hamburg Fahrrad fährt, muss Regeln brechen.“
Rambos auf dem Rad, Zweirad-Rowdys oder Kampfradler – die Autofahrer in Hamburg haben viele Bezeichnungen für Radfahrer, die aus ihrer Sicht notorische Verkehrssünder sind. Die Vorwürfe: Sie würden zu oft über rote Ampeln fahren oder Radwege ignorieren. In einem Streitgespräch stellten sich Mitglieder des Hamburger Fahrradclubs ADFC jetzt diesen Vorwürfen – mit teils irritierenden Äußerungen, zum Beispiel: „Wer in Hamburg Fahrrad fährt, muss Regeln brechen.“
Man wolle einen Perspektivwechsel einnehmen, heißt es im aktuellen Magazin des Hamburger ADFC, in dem das Streitgespräch der vier Mitglieder abgedruckt wurde. Wann ist man als Radfahrer von anderen Radfahrern genervt?
Streitgespräch im aktuellen Magazin des ADFC Hamburg
„Es ist oft nicht so einfach zu beurteilen“, sagt dort Amrey Depenau, die Tourenrad, E-Bike und Klapprad fährt. „Wo weicht jemand aus Angst vor dem Autoverkehr auf den Fußweg aus und wo geht es jemandem nur darum, ein paar Sekunden zu sparen?“
Für Pedelec-Fahrerin Ulrike Hanebeck ist die Sache allerdings klarer: „Manchmal werde ich von Rennradler:innen viel zu knapp überholt.“ In sozialen Medien bekomme sie zudem sehr viel beleidigende Kritik von anderen Radlern, wenn sie sich als langsame Fahrerin oute. Und auch Trekkingradlerin Andrea Kupke kann etwas benennen: „Geisterradler“, also diejenigen die auf der falschen Seite fahren, denn das könne gefährlich für die Fußgänger werden.
Und Radwege? Die seien oftmals zu schmal, als dass sich Fahrradfahrer gegenseitig mit genügend Abstand überholen könnten. Ohnehin sei es der Autoverkehr, „der seit Jahrzehnten die Standards in Deutschland setzt“, erklärt Dirk Lau, viertes Mitglied in der Runde und gleichzeitig Pressesprecher des ADFC. „Für mich ist klar: Wer in Hamburg Rad fährt, muss Regeln brechen.“ Das liege an der teils schlechten Infrastruktur, aber auch daran, dass Verkehrsregeln von Autofahrern für Autofahrer gemacht worden seien. Rücksicht auf schwächere Verkehrsteilnehmer nehme er immer, „aber Verständnis für Autofahrer:innen? Kaum.“
Für ihn bedeute Regelbruch oft auch Sicherheit. Als ein Beispiel nennt er benutzungspflichtige Radwege, auf denen öfter mal Bäume oder Mülltonnen ständen – diese Pflicht würde er dann ignorieren. Kupke widerspricht ihm. Es sei schon problematisch, Regeln nach eigenem Ermessen zu Brechen. „Wenn ich zum Beispiel den Sicherheitsabstand beim Überholen nicht einhalten kann, dann muss ich halt eine Weile langsamer fahren.“
Das fordert der ADFC für die Radwege in Hamburg
Lau betont auf MOPO-Nachfrage, dass diese Aussage seine persönliche Meinung sei und nicht in seiner Rolle als Pressesprecher stellvertretend für den Fahrradclub stehe. Der ADFC fordere nichtsdestotrotz in Hamburg mehr Platz fürs Rad. Bedeutet: mindestens die Regelbreite auf Radwegen (1,85 Meter), besser noch drei Meter plus 75 Zentimeter Sicherheitsabstand zu den Autos.
Von anderen Verbänden hagelt es für die Regelbruch-Aussage heftige Kritik. „Auch wenn die Infrastruktur mangelhaft ist, müssen Radfahrende lernen, dass sie auf dem Gehweg nichts zu suchen haben“, sagt Fuß e.V.-Vorsitzende Sonja Tesch. „Häufig ist es auch reine Bequemlichkeit, zum Beispiel bei Kopfsteinpflaster oder Abkürzungen. „Wir fordern immer wieder, dass das Gehwegfahren endlich geahndet werden muss.“
So viele Gehweg-Fahrer wurden im Jahr 2022 angezeigt
Laut der Bußgeldstelle war besagtes Gehweg-Fahren immerhin die am meisten angezeigte Ordnungswidrigkeit bei Radfahrern im Jahr 2022 mit 1144 Verstößen. Dahinter landet die Handynutzung während der Fahrt mit 964 Fällen. Insgesamt wurden im Jahr 3587 Anzeigen verfasst, das sind circa 900 mehr als noch 2021. Allerdings sind seitdem auch deutlich mehr Radfahrer unterwegs, ihr Anteil am Straßenverkehr stieg in einem Jahr um neun Prozent.
In der Statistik nicht enthalten sind unter anderem die Fahrten unter Alkoholeinfluss, da hier Auto- und Radfahrer zusammengefasst werden. Dabei sind die meisten der Unfälle unter Alkoholeinfluss im Jahr 2022 von Radlern und E-Scooter-Fahrern verursacht worden. Innensenator Andy Grote (SPD) kündigte diesbezüglich mehr Kontrollen an.
Polizei Hamburg: Das sind die Verstöße von Radfahrern
Bei der letzten Großkontrolle der Polizei am Stephansplatz Ende Februar verursachten Fahrradfahrer jedenfalls mehr als die Hälfte aller 77 gezählten Verstöße, nämlich 45. Demnach wurden 27 „Geisterradler“ erwischt, von denen fünf auf dem Gehweg fuhren. 13 nutzten ihr Handy während der Fahrt oder hatten keine ausreichende Beleuchtung.
Beim Hamburger Automobilclub ADAC kann man die Aussage von Lau ebenfalls nicht nachvollziehen. „Zwar stellen Autos aufgrund der höheren Masse ein größeres Betriebsrisiko für den laufenden Verkehr dar. Das kann aber nicht bedeuten, dass Fahrradfahrer einen Freifahrtschein haben“, sagt Sprecher Christof Tietgen. Radwege, die benutzt werden müssten, könnten nur dann missachtet werden, wenn der Weg nicht geräumt worden oder aufgrund einer Baustelle blockiert sei. „Ein subjektives Sicherheitsgefühl als Grundlage der Entscheidung zu nehmen, ist dagegen nicht zielführend.“
Der Meinung ist auch der Hamburger CDU-Verkehrsexperte Richard Seelmaecker. „Kein Mensch ist gezwungen, Verkehrsregeln zu brechen“, sagt er. Nach der Grundregel der Straßenverkehrsordnung brauche es ständige Vorsicht und Rücksicht. „Das gelingt nur, wenn sich alle Verkehrsteilnehmer auch daran halten.“