Wer vor 90 Jahren durch dieses Tor ging, betrat die Hölle
Wenn die SS einen auf dem Kieker hatte, dann bedeutete das für den Gefangenen die Hölle. Denn dann konnte es passieren, dass ihn Nacht für Nacht sadistische Schläger heimsuchten, ihn mit Peitschen und Ketten misshandelten, mit Stiefeln traten, mit Fäusten schlugen. Die Wachmänner hatten Spaß daran, sich immer neue Foltermethoden, neue Demütigungen auszudenken. Wenn der Insasse diese Torturen nicht überlebte, dann hieß es, er habe Selbstmord begangen. Wo all das passiert ist? Im Kola-Fu in Fuhlsbüttel, in dem ein besonders brutaler SS-Sturmführer auf die Häftlinge losgelassen wurde.
Wenn die SS einen auf dem Kieker hatte, dann bedeutete das für den Gefangenen die Hölle. Denn dann konnte es passieren, dass ihn Nacht für Nacht sadistische Schläger heimsuchten, ihn mit Peitschen und Ketten misshandelten, mit Stiefeln traten, mit Fäusten schlugen. Die Wachmänner hatten Spaß daran, sich immer neue Foltermethoden, neue Demütigungen auszudenken. Wenn der Insasse diese Torturen nicht überlebte, dann hieß es, er habe Selbstmord begangen. Wo all das passiert ist? Im Kola-Fu in Fuhlsbüttel, in dem ein besonders brutaler SS-Sturmführer auf die Häftlinge losgelassen wurde.
Kola-Fu, so nannte der Volksmund vor 90 Jahren das Konzentrationslager Fuhlsbüttel, eine der berüchtigsten Terrorstätten in Nazi-Deutschland. Angesiedelt war es in den Strafanstalten, die in den 1870er Jahren errichtet worden waren und die seit 1932 leer standen, weil sie den Anforderungen, die an einen modernen Strafvollzug gestellt wurden, eigentlich nicht mehr genügten. Die Gebäude sollten abgerissen werden. Aber dazu kam es nicht: Als die Nazis im März 1933 die Macht im Hamburger Rathaus übernahmen, begannen sie sofort damit, Jagd auf politische Gegner zu machen – sie brauchten also jede Menge Haftraum.
Aufseher hatten Spaß daran, sich immer neue Foltermethoden auszudenken
Die sogenannten „Schutzhaftgefangenen“ wurden anfangs im Untersuchungsgefängnis Holstenglacis, im Polizeigefängnis Hütten und auf dem Gelände einer alten Torfverwertungsfabrik im Norden Stadt, dem sogenannten KZ Wittmoor, untergebracht. Hamburgs Gauleiter und Reichsstatthalter Karl Kaufmann befand jedoch, die Behandlung der Gefangenen sei dort zu lasch. Das KZ Wittmoor wurde aufgelöst und parallel dazu im ehemaligen Frauen- und Jugendgefängnis in Fuhlsbüttel das Kola-Fu eingerichtet. Offizieller Eröffnungstermin war der 4. September 1933. Ein SS-Kommando unter der Leitung des besonders brutalen SS-Sturmführers Willi Dusenschön wurde auf die Häftlinge losgelassen.

Unter den Gefangenen im Kola-Fu befanden sich viele Frauen und Männer des Hamburger Widerstands, Mitglieder von KPD, SPD, Gewerkschaftler und Mitglieder anderer Oppositionsgruppen, aber auch Zeugen Jehovas, Juden, Angehörige der Swing-Jugend, Homosexuelle und Prostituierte. Während der Kriegsjahre gehörten zunehmend ausländische Widerstandskämpfer und Zwangsarbeiter zu den Insassen. Die Zustände im Lager blieben der Öffentlichkeit nicht verborgen. Ende 1933 erhielten Richter, Rechtsanwälte und Pastoren anonyme Rundschreiben, in denen ein Ex-Häftling die Übergriffe schilderte. Im März 1934 erstattete ein Arzt Anzeige, nachdem ein misshandeltes Opfer im Lazarett gestorben war. Der Fall wurde auf Geheiß von Gauleiter Kaufmann im Herbst 1934 niedergeschlagen.
„Zur Abwehr von Hetz- und Gräuelpropaganda“ ordnete SS-Chef Heinrich Himmer 1936 an, das KZ Fuhlsbüttel in „Polizeigefängnis Fuhlsbüttel“ umzubenennen. Aber am Charakter der Einrichtung änderte sich dadurch nichts. Zwischen 1933 bis 1945 kamen im Kola-Fu mehrere Hundert Frauen und Männer ums Leben – infolge der Haftbedingungen, durch Folter und Gewalt, teils auch durch gezielte Tötung.
Nach Kriegsende blieben die Strafanstalten Fuhlsbüttel Gefängnis und Zuchthaus. 1987 wurde im alten Torgebäude eine Gedenkstätte eingeweiht. Seit 2003 gibt es dort eine Dauerausstellung zur Geschichte des Kola-Fu.
Wer waren die Täter, wer waren die Opfer des Kola-Fu? Wir erzählen ihre Geschichten:
Willi Dusenschön: Er war der schlimmste Schläger im Kola-Fu

Als schlimmster Schläger des Kola-Fu galt der SS-Wachmann Willi Dusenschön (1909-1977). Er war der Schrecken der politischen Häftlinge. Stundenlanges Stehen, Schläge und Fußtritte und Drohungen gehörten zum Alltag der Gefangenen. Nachts wurden Insassen in den Zellen mit Peitschen, Koppeln und Stuhlbeinen bis zur Bewusstlosigkeit geschlagen.
Im Herbst 1962 wurde Dusenschön wegen Mordes vor Gericht gestellt. Der Vorwurf: Er soll den jüdischen Redakteur Fritz Solmitz so schwer misshandelt haben, dass er entweder starb oder sich das Leben nahm – die tatsächliche Todesursache wurde nie geklärt. Das Urteil war ein Skandal: Das Gericht sprach Dusenschön frei.
Hanne Mertens: Die Schauspielerin musste sterben, weil sie Hitler verspottet hatte
Weil sie ein Spottlied auf Adolf Hitler gesungen hatte, wurde die Schauspielerin Hanne Mertens im Februar 1945 festgenommen, nach Fuhlsbüttel gebracht und kurz vor Kriegsende ermordet.

Seit 1943 gehörte Schauspielerin Hanne Mertens zum Ensemble des Thalia-Theaters. Sie galt als große Neuentdeckung, spielte sich in die Herzen des Publikums und erwarb sich einen Ruf als starke Persönlichkeit, die auch langweilige Rollen in unverwechselbare Figuren verwandeln kann.
Bereits 1933 war die bildschöne Frau in die NSDAP eingetreten. Unter ihren Kollegen galt Hanne Mertens als Nazi-Spitzel, unter anderem wegen ihres guten Kontakts zu NSDAP-Reichsleiter Martin Bormann. Allerdings wurde aus der Mitläuferin im Laufe der Zeit eine Regime-Gegnerin. Mehrfach lud die Gestapo sie vor, da sie sich offen gegen den Krieg und den Nationalsozialismus ausgesprochen hatte. Aufgrund ihrer Prominenz fühlte sie sich aber unantastbar. Ein Irrtum.
Auf einer privaten Feier stimmte sie das Lied an „Es geht alles vorüber, es geht alles vorbei“, wobei sie die nächste Liedzeile auf gefährliche Weise abänderte. Sie sang: „…zuerst Hitler, dann die Partei.“ Ein Gestapo-Mann hörte das. Kurz vor Kriegsende, am 6. Februar 1945, wurde sie verhaftet und nach Fuhlsbüttel überstellt. Mertens‘ Name landete auf einer Todesliste mit 71 Personen: Menschen, die als gefährlich eingestuft waren und vor Einmarsch der Alliierten liquidiert werden sollten.
Zusammen mit den anderen 70 Personen – viele sind bis heute namentlich nicht bekannt – wurde Hanne Mertens im April 1945 nach Neuengamme gebracht und ermordet.
„Onkel Alwin war 21, als sie ihn ermordeten“

Er hat die Nazi-Zeit selbst nicht erlebt. Doch was sein Großvater, sein Vater, sein Onkel und seine Tante in der NS-Zeit durchmachen mussten, das lässt Bernhard Esser bis heute nicht los. Der 79-jährige erzählt: „Mein Onkel Alwin wurde 1933 im KZ Fuhlsbüttel ermordet – er war erst 21 Jahre alt.“
Bernhard Esser, ein pensionierter Hamburger Postbeamter, stammt aus einer kommunistischen Familie. „Opa Fritz war KPD-Abgeordneter in der Bürgerschaft und im Reichstag.“ Im März 1933, als die Nazis die Jagd auf Kommunisten eröffneten, wurden der Großvater und dessen jüngerer Sohn Alwin das erste Mal verhaftet, dann aber wieder freigelassen.
„Statt ins Ausland zu fliehen, engagierte sich Onkel Alwin im Widerstand, stellte mit einem Vervielfältigungsapparat illegal Flugblätter her, auf denen er die Machenschaften des NS-Regimes anprangerte“, erzählt Bernhard Esser. Die Widerstandsgruppe flog auf. Am 6. November 1933 holte die Gestapo erst Fritz ab, vier Tage später auch Alwin, dessen Bruder Rudolf und Schwester Louise, die „Mausi“ genannt wurde.

Im Stadthaus, der Gestapo-Zentrale, wurde „Mausi“ splitternackt verhört, stundenlang. Alwin und Rudolf kamen am nächsten Vormittag vom Stadthaus ins KZ Fuhlsbüttel. Noch am Einlieferungstag prügelte die SS so brutal auf Alwin ein, dass er starb.
„Gefängnisarzt Schnapauff gab damals in den Dokumenten als Todesursache ,Strangulation (Selbstmord)‘ an“, erzählt Bernhard Esser. „In meiner Familie glaubte aber niemand an Suizid. Alwins Mithäftlinge, die Ohrenzeugen der Prügelorgie geworden waren, bestätigten später den wahren Grund seines Todes. Es war Mord.“
Rudolf Esser, Bernhard Essers Vater, wurde kurz vor Weihnachten 1933 aus dem Kola-Fu entlassen. Elf Jahre später, am 4. Februar 1944, stand die Gestapo erneut vor seiner Tür. Er kam ins KZ Neuengamme. Schwer gezeichnet überlebte er die NS-Zeit.
„In der Dunkelhaft ist jeder dem Wahnsinn nahe“

Der Hamburger Schriftsteller Willi Bredel (1901-1964) saß 14 Monate im Kola-Fu, davon elf in isolierter Einzelhaft. Bredel überlebte die NS-Zeit, machte Karriere in der DDR, wo er Präsident der Deutschen Akademie der Künste wurde. Seine Erlebnisse im Konzentrationslager verarbeitete er später in dem Roman „Die Prüfung“. Hier ein Auszug:
„Achtzehn Tage sitzt Torsten in Dunkelhaft. Jede Dunkelzelle im Keller ist belegt. In den achtzehn Tagen sind sieben Gefangene heruntergebracht, aber nur drei aus der Dunkelhaft herausgenommen worden. Torsten merkt, wie trotz aller Anstrengung und Experimente seine körperlichen und geistigen Widerstandskräfte erlahmen.
Die Flucht aus dieser Finsternis gelingt immer seltener. Die Nerven versagen. Er muss sich mehrere Male am Tag kalt abwaschen; sein Blut fiebert und drängt zum Schädel. Wie um alles in der Welt halten es bloß die Genossen in den anderen Zellen aus? In jedem dunklen Loch liegt einer, und kaum ein Laut ist zu hören. Sie werden alle – wie sein unruhiger (Zellen-)Nachbar – langsam mürbe werden und zerbrechen. Dass noch keiner tobsüchtig wurde; dass noch keinen der Wahnsinn packte? Diese Ungewissheit ist das Schrecklichste. Keiner weiß, wann er wieder Licht, wieder Sonne sehen darf. Keiner weiß, ob er sie überhaupt jemals wiedersehen wird.“
„Die Qualen haben meinen Opa bis aufs Sterbebett begleitet“

Geboren 1895 in Wittenburg, kam Franz Schwarz Anfang des 20. Jahrhunderts nach Hamburg. Der Hafenarbeiter wurde 1912 SPD-Mitglied und verlor 1933 seinen Job – wegen seiner politischen Gesinnung. Schwarz ging in den Widerstand und gehörte zu den Ersten, die Bekanntschaft mit dem Kola-Fu machten.
Schon im Februar 1933 begann Schwarz damit, in Rothenburgsort eine sozialdemokratische Widerstandszelle aufzubauen. Er und seine Genossen stellten heimlich Flugblätter gegen die Nazis her und verteilten sie im Stadtteil. Im Oktober 1934 flog die Gruppe auf. Schwarz, der später wegen Vorbereitung zum Hochverrat zu zwei Jahren Zuchthaus verurteilt wurde, kam ins KZ Fuhlsbüttel. Marion Lemmermann (74), die Enkeltochter, erzählt: „Ich weiß von meiner Großmutter, dass sie fast jeden Tag vor dem Tor des KZ gestanden und die Wärter beschimpft hat. Sie wurde nur belächelt.“

Schwerste Misshandlungen musste Franz Schwarz über sich ergehen lassen. Die SS wollte so Namen von weiteren Widerstandskämpfern aus ihm herausholen. „Die haben ihm Nägel in die Schuhsohlen gerammt und ihn gezwungen, darauf zu laufen.“ Außerdem sei die Verpflegung so unzureichend gewesen, dass die Gefangenen furchtbar unter Hunger litten. „Wenn er von dieser Zeit erzählte, fiel oft der Name Dusenschön. Willi Dusenschön. Der sei der größte Sadist unter den Wachleuten gewesen.“
Das, was Franz Schwarz im Kola-Fu erlebt hat, hat ihn bis an sein Lebensende begleitet. „Aber trotz aller Demütigungen, die er ertragen musste, ist er ein aufrichtiger und guter Mensch geblieben und war sein Leben lang Sozialdemokrat“, sagt Marion Lemmermann. „Am Tag vor seinem Tod im Jahr 1969 hat er im Schlafzimmer vor der Kommode gesessen und versucht sein Spiegelbild zu füttern: ,Ick mutt min Kolleg wat afgeben, de hätt ok Hunger.‘“ Er klagte plötzlich über furchtbar schmerzende Füße: „Min Feut deit so weh!“ „Darüber ist er für immer eingeschlafen“, sagt Marion Lemmermann. „Ich denke, am Tag seines Todes ging er ein zweites Mal durch die Hölle des Kola-Fu.“
Fritz Solmitz: Die Notizen aus der Taschenuhr sind ein Dokument des Grauens

Fritz Solmitz (1893-1933) war sozialdemokratischer Politiker, Jurist und Journalist. Er entstammte einer jüdischen Familie. Die SS misshandelte ihn im KZ Fuhlsbüttel schwer. Am 19. September 1933 wurde er in seiner Zelle erhängt aufgefunden. Die NS-Behörden gaben der Ehefrau gegenüber Selbstmord als Todesursache an.
Ob Solmitz zum Suizid getrieben oder aber von seinen Bewachern ermordet wurde, ist ungeklärt. Solmitz verfasste im KZ Fuhlsbüttel Briefe auf Zigarettenpapier, in denen er die Misshandlungen schilderte. Die Notizen verbarg er in seiner Taschenuhr, die später der Ehefrau Karoline ausgehändigt wurde. Diese Berichte sind eines der frühesten Dokumente, die die Zustände in deutschen Konzentrationslagern authentisch darstellen:

„Etzer, der mich vom ersten Tag an mit antisemitischen Schimpfworten verfolgt hatte, trieb mich mit wüstem Schimpfen in die Einzelzelle. Ich hatte keine Zeit, meine Sachen notdürftig zu packen. Dann wurde ich auf den Korridor geholt, wo mich der Sturmführer des SS-Sturmes mit der Hundepeitsche in der Hand erwartete. Ich wurde in den Keller getrieben, dort in eine Bucht, die wohl früher als Kartoffelkeller gebraucht wurde. Außer Etzer und dem etwa 25-jährigen Sturmführer waren noch sieben Mann dabei. Kommando: ,Bück dich‘. Ich blieb aufrecht stehen, erhielt sofort furchtbare Schläge mit Hundepeitsche und Ochsenziemer ins Gesicht. Ich taumelte, fiel. Kurze Pause. Das Schwein markiert nur. Hoch, Aufstehen, ,Bück dich‘. Dreimal wurde ich so niedergeschlagen.
Nach dem dritten Mal hatte ich noch die Kraft zu schreien: ,Ich bücke mich nicht‘. Ich glaube aber, zuallerletzt in halb bewusstlosem Zustand hab ich‘s doch getan. Wie lange die Tortur dauerte, weiß ich nicht. Im Liegen wurde weiter auf mich geschlagen, bis die Kopfhaut sprang und das Blut spritzte. Die ersehnte Ohnmacht war noch immer nicht da. Mit Flüchen und Stößen wurde ich hochgetrieben, musste schwer blutend im Trab auf meine Zelle rennen.“
Geöffnet ist die Gedenkstätte des Konzentrationslagers Fuhlsbüttel (Suhrenkamp 89, 22335 Hamburg) immer sonntags von 10-17 Uhr.