Angst, Wut, Scham: Das denken Hamburgs Russen wirklich über Putin
„Ich soll öffentlich sagen, was ich von Wladimir Putin halte? Ist Ihnen klar, dass mir das zehn Jahre Gefängnis einbringen kann, wenn ich das nächste Mal meine Heimat besuche?“ Die 38-jährige Lehrerin Svetlana aus Eimsbüttel ist erst dann bereit, mit dem MOPO-Reporter zu reden, als sie das Versprechen hat, dass ihr Name nicht genannt, ihr Gesicht nicht gezeigt wird.
Darüber, was Ukrainer über den Krieg denken, was sie durchgemacht haben, wird viel in den Medien berichtet in diesen Tagen. Nun will die MOPO auch diejenigen zu Wort kommen lassen, die kaum gehört werden, aber ebenfalls betroffen sind: Russen. Sehr schnell wird bei den Gesprächen klar, was für ein tiefer Riss durch die russische Community Hamburgs geht. Ein kaum noch zu überbrückender Abgrund tut sich auf. Hier diejenigen, die Putin einen Verbrecher nennen. Auf der anderen Seite die, die zu Putin halten. Oder doch zumindest zu Russland. Aus Patriotismus. Nationalismus. Oder Verblendung.
„Ich soll öffentlich sagen, was ich von Wladimir Putin halte? Ist Ihnen klar, dass mir das zehn Jahre Gefängnis einbringen kann, wenn ich das nächste Mal meine Heimat besuche?“ Die 38-jährige Lehrerin Svetlana aus Eimsbüttel ist erst dann bereit, mit dem MOPO-Reporter zu reden, als sie das Versprechen hat, dass ihr Name nicht genannt, ihr Gesicht nicht gezeigt wird.
Darüber, was Ukrainer über den Krieg denken, was sie durchgemacht haben, wird viel in den Medien berichtet in diesen Tagen. Nun will die MOPO auch diejenigen zu Wort kommen lassen, die kaum gehört werden, aber ebenfalls betroffen sind: Russen. Sehr schnell wird bei den Gesprächen klar, was für ein tiefer Riss durch die russische Community Hamburgs geht. Ein kaum noch zu überbrückender Abgrund tut sich auf. Hier diejenigen, die Putin einen Verbrecher nennen. Auf der anderen Seite die, die zu Putin halten. Oder doch zumindest zu Russland. Aus Patriotismus. Nationalismus. Oder Verblendung.

„Meine Mutter glaubt auch an die Propaganda des Kreml“
Svetlana, die Lehrerin aus Eimsbüttel, erinnert sich an den Beginn des Überfalls auf die Ukraine sehr genau: „Am 24. Februar 2022 war ich gerade beruflich in Kiew – und habe die ersten Bombenangriffe miterlebt. Meine Sorge ist, dass die Unterstützung des Westens mit der Zeit bröckeln wird. Putin darf auf keinen Fall gewinnen. Denn dann würde Putin womöglich weitere Länder angreifen. Leider funktioniert Moskaus Propagandamaschine so perfekt, dass in Russland immer noch viel zu viele Menschen an das Märchen glauben, es gehe bei dieser ,Spezialoperation‘ um den Kampf gegen Nazis. Auch meine Mutter, die in Moskau lebt, gehört zu denen, die sich täuschen lassen. Wenn ich mit ihr telefoniere, klammere ich das Thema besser aus. Sie ist nicht zu überzeugen.“

„Ich musste fliehen. Sie hätten mich sonst an die Front geschickt“
Rund 150.000 Menschen mit russischer Staatsangehörigkeit leben im Großraum Hamburg, Bremen, Niedersachsen und Schleswig-Holstein. Ihre Zahl nimmt zu, denn es sind inzwischen nicht mehr nur ukrainische Flüchtlinge, die Schutz in Deutschland suchen. Auch Russen klopfen an die Tür. So wie Vasili Khoroshilov (39), ein Ingenieur aus Moskau. Er hat nichts dagegen, dass wir seinen Namen nennen – die russischen Behörden wissen sowieso, wie er denkt. Er war Mitglied in einem Moskauer Bezirksparlament, hat öffentlich gegen Putins Krieg Stellung bezogen. Seit November lebt er mit Frau und Kindern in Hamburg. „Mir wurde dringend nahegelegt, Russland zu verlassen. Man hätte mich sonst an die Front geschickt. Das machen sie gerne mit ihren Kritikern – um sich ihrer zu entledigen.“
Khoroshilov erzählt, dass er vor einem Jahr, als Putin die Panzer an der ukrainischen Grenze auffahren ließ, überzeugt war, dass es sich lediglich um Säbelrasseln handeln würde, um eine Machtdemonstration. „Ich war sicher, es kommt nicht zum Krieg. Ich dachte, die Oligarchen, die ja Geschäfte machen wollen und deshalb kein Interesse an Krieg haben, werden Putin schon in Schach halten. Ich habe mich geirrt. Putin ist ein teuflischer Machtmensch. Er will die alte Sowjetunion wieder auferstehen lassen. Um jeden Preis.“
„Der Westen muss jetzt alles tun, um den Krieg zu beenden“

Noch einer, der Mut hat, mit der MOPO offen zu reden, ist Alexey Markin (43), ein Künstler, der schon seit 2009 in Hamburg lebt und ebenfalls aus Moskau stammt. Er gehört zu den Gründern der Telegram-Gruppe „Hamburg gegen den Krieg“. „Wir wollen nicht den prorussischen Demonstranten, die Fahnen schwenkend im Autokorso durch deutsche Großstädte ziehen, das Feld überlassen. Wir wollen zeigen, dass es Russen gibt, die gegen Putin sind.“ Am vergangenen Samstag haben Markin und zahlreiche Landsleute auf dem Gänsemarkt demonstriert. Motto: „The year of terror. We stand with Ukraine“.

Markin erzählt, dass er Pazifist sei und deshalb eigentlich grundsätzlich gegen Waffenlieferungen. „Andererseits sehe ich, dass die Ukraine das Recht hat, sich zu verteidigen – und das geht nur mit Waffen. Das ist das Dilemma, in dem ich gerade stecke. Meine Forderung ist: Dass der Westen alle diplomatischen Möglichkeiten nutzt, den Krieg zu beenden. So schnell wie möglich. Weil jeder Tag Krieg Menschenleben kostet.“
„Die Welt muss mehr Waffen an die Ukraine liefern“
Ivan (40) ist Journalist aus St. Petersburg. Weil er sich immer wieder öffentlich gegen das Putin-Regime gestellt hatte, rechnete er mit seiner Verhaftung und floh im November nach Hamburg: „Der Angriff auf die Ukraine ist das schlimmste Verbrechen, das der Kreml je begangen hat und eine moralische Katastrophe für ganz Russland. Ich bin überzeugt: Der Krieg ist Putins Antwort auf die stärker werdende Demokratiebewegung im eigenen Land und in den Nachbarländern. Diese Bewegung gefährdet Putins Macht. Sie zu unterdrücken, dazu dient dieser Krieg. Putin darf nicht gewinnen. Der Westen muss fortfahren, die Ukraine mit Waffen zu beliefern. Solange russische Truppen ukrainisches Territorium besetzt halten, sind Friedensverhandlungen aus meiner Sicht unmöglich.“

„Seit Beginn des Krieges gibt es antirussische Diskriminierung“
Oxana Li (51), die aus Kasachstan stammt, seit 2001 als Spätaussiedlerin in Deutschland lebt, nimmt kein Blatt vor den Mund, nennt Putin „einen Verbrecher, einen Mörder, einen Dieb“. Sie ist überzeugt: „Russland und die Russen sind ihm völlig egal. Es geht ihm nur um sich, seine Macht, sein Geld. Wann immer er den Mund aufmacht, lügt er.“
In ihrer Funktion als Vorsitzende des „Hamburger Vereins der Deutschen aus Russland“ kritisiert Li aber auch die antirussische Diskriminierung, die sie seit Kriegsbeginn in der Stadt wahrnimmt. „Da wurden russlanddeutsche Kinder in der Schule ausgegrenzt, weil sie sich weigerten, ein gelb-blaues Armband als Zeichen der Solidarität mit der Ukraine anzulegen. Dabei haben sie nur deshalb nicht mitgemacht, weil sie das Gefühl hatten, sie würden ihren Großeltern in Russland damit in den Rücken fallen.“ Einem Hamburger Bauunternehmer sei ein öffentlicher Auftrag entzogen worden – nur, weil er als Russlanddeutscher auch noch den russischen Pass habe. „Das ist nicht in Ordnung“, findet Oxana Li.

Etwa 80.000 Russlanddeutsche leben in Hamburg und Umgebung. Davon, so schätzt Oxana Li, lehnen 80 bis 90 Prozent Putins Angriffskrieg ab. Und die anderen zehn bis 20 Prozent – was ist mit denen? „Das sind meist Ältere, die ihre Informationen ausschließlich aus dem russischen Fernsehen beziehen. Die lassen sich von morgens bis abends mit Putins Propaganda volldröhnen – und glauben leider alles.“ Das hat Folgen: Immer mehr Spätaussiedler aus dem norddeutschen Raum beantragen ihre Rückkehr in die alte Heimat. „Das muss man sich vorstellen“, so Oxana Li. „Nachdem sie Jahrzehnte in Deutschland gelebt haben, kehren sie zurück, weil sie sich hier fremd fühlen und weil sie glauben, Russland sei im Recht, der Westen im Unrecht.“
„Putin verteidigt doch nur Russlands Interessen“
Ausgerechnet unter ukrainischen Kriegsflüchtlingen stoßen wir dann auf zwei Männer, die klar auf Seiten Putins stehen: Sie reden mit uns nur deshalb, weil wir ihnen zusagen, dass sie anonym bleiben – denn sie wissen genau, dass ihre Meinung im Westen nicht gut ankommt. Oleg (42) und Alex (50) sind Russen, stammen aus der Ostukraine. Oleg aus Cherson, einer Stadt, um die aktuell erbittert gekämpft wird. Alex aus der Nähe von Luhansk. Das ist eine der Regionen, die von Russland annektiert wurden. Oleg und Alex finden: Putin verteidige nur Russlands Territorium und Russlands Interessen.

„Die Schuld an diesem Krieg tragen Kiew und die USA“
Oleg sagt: „In Kiew sind die Nazis am Ruder. Sie sind es, die den Krieg begonnen haben. Völlig zurecht hat Putin die Gebiete Luhansk und Donezk annektiert – sie sind immer schon russisch gewesen und werden es immer bleiben. Das Gleiche gilt für die Stadt Cherson, aus der ich stamme. Schuld am Krieg sind die USA. Ihr Ziel ist es, Russland so klein wie möglich zu machen, um dann an die Bodenschätze heranzukommen. Aber Russland wird den Krieg gewinnen. Ich schätze, in einem Jahr ist es zu Ende.“
Alex berichtet uns, dass seit dem Umsturz in Kiew 2014 die ukrainische Armee die Russen in der Ostukraine terrorisiere. „Plötzlich wurde Russisch als zweite Amtssprache verboten, die russische Kultur sollte ausgemerzt werden. Russland war doch unter diesen Umständen dazu gezwungen, militärisch einzugreifen, um die Landsleute in der Ukraine zu schützen.“

Es nutzt auch nichts, Putin-Versteher wie Oleg und Alex auf die Massaker anzusprechen, die russische Soldaten verübt haben, etwa in Butscha. „Massaker? Die hat es nie gegeben“, heißt es dann. „Die Leichen wurden zusammengesucht und so drapiert, dass man Russland was anhängen kann. Alles nur Fake.“
Moskaus Propaganda hat hier offensichtlich einen Volltreffer gelandet.