Weiter Handel mit Putins Reich: Norddeutsche Firmen auf der „Liste der Schande“
Mehr als ein Jahr dauert er schon: Wladimir Putins Angriff auf die Ukraine. Russische Raketen haben Tausende Zivilisten getötet, die Städte und die Energie-Infrastruktur zerstört. Russischen Soldaten werden außerdem furchtbare Massaker zur Last gelegt. Und doch gibt es westliche Firmen, die weiter munter Geschäfte machen mit Russland. Darunter auch einige aus Norddeutschland und Hamburg. Wie die Unternehmen ihr Verhalten rechtfertigen – lesen Sie selbst.
Mehr als ein Jahr dauert er schon: Wladimir Putins Angriff auf die Ukraine. Russische Raketen haben Tausende Zivilisten getötet, die Städte und die Energie-Infrastruktur zerstört. Russischen Soldaten werden außerdem furchtbare Massaker zur Last gelegt. Und doch gibt es westliche Firmen, die weiter munter Geschäfte machen mit Russland. Darunter auch einige aus Norddeutschland und Hamburg. Wie die Unternehmen ihr Verhalten rechtfertigen – lesen Sie selbst.
Der Ukraine-Krieg hat zu einem beispiellosen Bruch westlicher Konzerne mit Russland geführt. Große Ketten wie Ikea, H&M oder McDonald’s haben sämtliche Läden vor Ort geschlossen. Auch der Hamburger Tchibo-Konzern hat sich vollständig aus Putins Reich zurückgezogen. BP und Shell stießen milliardenschwere Beteiligungen am russischen Energiegeschäft ab. Um nur einige wenige Beispiele zu nennen.

Yale-Professor Jeffrey Sonnenfeld stellt Firmen an den Pranger
Aber nicht alle Unternehmen verhalten sich so. Im Internet publiziert der Wirtschaftsprofessor Jeffrey Sonnenfeld von der US-Elite-Universität Yale seit Monaten eine Liste mit westlichen Konzernen, die weitermachen, als wäre nichts geschehen und somit über Steuerzahlungen die Kriegskasse Wladimir Putins füllen. Als „Hall of Shame“ oder „Liste der Schande“ hat Sonnenfelds Projekt inzwischen für viel Aufsehen gesorgt.
Sonnenfeld, ein Experte für ethische Management-Fragen, gibt es offen zu: Er will Firmen, die ungerührt weiter Geschäfte mit Russland machen, an den Pranger stellen. Und sein Kalkül geht anscheinend auf: Tatsächlich müssen Unternehmen, die sich auf der Liste wiederfinden, mit ernsthaften Konsequenzen rechnen. Als die „Hall of Shame“ erstmals öffentlich wurde, haben viele der genannten Firmen Börseneinbrüche zwischen 15 und 30 Prozent erlitten, sagen Sonnenfeld und sein Yale-Kollege Steven Tian.
Die MOPO hat aus der „Liste der Schande“ solche Firmen herausgefiltert, deren Zentralen sich in Hamburg oder im restlichen Nordddeutschland befinden. Es gab etliche Treffer: Aurubis, Beiersdorf und Tom Tailor sind die bekanntesten. Jedes Unternehmen erhielt Gelegenheit zur Stellungnahme, wovon allerdings nur ein Teil Gebrauch machte.
Norddeutsche Firmen, die trotz Kriegs „business as usual“ betreiben
Zu den norddeutschen Firmen, die laut Sonnenfeld „business as usual“ betreiben, also ohne jede Einschränkung weitermachen wie vor dem Krieg, gehören diese:

New Yorker Marketing & Media GmbH aus Braunschweig, Betreiber einer großen deutschen Modekette. Laut der „Liste der Schande“ macht die Firma nicht nur weiter wie bisher, sondern eröffne sogar neue Stores in Russland („continue to operate and open new stores“). Die MOPO hat das Unternehmen damit konfrontiert und um eine Stellungnahme gebeten. Eine Antwort blieb aus.

Muehlhan AG, eine in Hamburg ansässige Aktiengesellschaft, die als Dachgesellschaft dient für verschiedene Tochterunternehmen, die im Bereich Industriedienstleistungen tätig sind: Oberflächenschutz und Reinigung von Industrieanlagen etwa in der Öl- und Gasindustrie, Tribünenbau, Stahlkonstruktionen, passiver Brandschutz. Wie rechtfertigt das Unternehmen den Vorwurf, es setze sein Russland-Engagement fort? Auf eine MOPO-Anfrage gab es keine Antwort.

Salzgitter AG, ein Stahlkonzern aus Niedersachsen. Unternehmenssprecher Thorsten Möllmann widerspricht der „Liste der Schande“: Allein das Tochterunternehmen KHS, ein international tätiger Hersteller von Abfüll- und Verpackungsanlagen für die Getränke-, Food- und Non-Food-Industrie, sei noch in Russland aktiv. „Die KHS liefert ausschließlich aus humanitären Gründen für die russische Bevölkerung Kleinstmengen an Ersatzteilen für Getränkeabfüllanlagen“, so Möllmann. „Diese Ersatzteile sind nicht Bestandteil der EU-Sanktionsliste. Ansonsten hat die Salzgitter AG alle Lieferbeziehungen zu Russland eingestellt.“

Symrise aus Holzminden, ein börsennotierter Anbieter von Duft- und Geschmacksstoffen, kosmetischen Grund- und Wirkstoffen. Unternehmenssprecherin Christina Witter antwortet so auf die MOPO-Anfrage: „Unser Geschäft in Russland haben wir weitestgehend heruntergefahren. Wir erfüllen lediglich noch laufende Verträge mit internationalen Kunden.“

ELA-Container aus Haren (Ems). Die Firma ist Spezialist für Räume und Gebäude aus Containern. Auf Sonnenfelds Liste heißt es: „still selling in Russia“ – der Verkauf in Russland werde also fortgesetzt. Auf eine Anfrage der MOPO reagierte das Unternehmen nicht.
Norddeutsche Firmen, die zumindest teilweise die Russland-Geschäfte fortführen
Yale-Professor Sonnenfeld listet separat auch solche Firmen auf, die einerseits einige bedeutende Geschäftstätigkeiten mit Russland zurückgefahren haben, andere aber weiterführten. Darunter auch ein Hamburger Unternehmen:

Beiersdorf, ein weltweit tätiger Konsumgüterhersteller aus Hoheluft-West, berühmt für Produkte wie Tesa, Hansaplast und Nivea. Laut Jeffrey Sonnenfeld erhält das Unternehmen in Russland den Verkauf von Haut- und Körperpflegeprodukten aufrecht. Beiersdorf-Unternehmenssprecher Peter Stopfer erklärt dazu: „Bereits seit Anfang März 2022 haben wir in Russland unsere Geschäftsaktivitäten von La Prairie und Tesa eingestellt. Darüber hinaus haben wir alle Werbemaßnahmen in Russland beendet und unser Produktportfolio von Nivea und Eucerin erheblich reduziert auf Produkte zur elementaren Haut- und Körperpflege. Wir sind in Russland aktiv, um uns um unsere Mitarbeitenden vor Ort zu kümmern und um die wesentlichen Verbraucherbedürfnisse mit einem reduzierten Produktsortiment abzudecken. Außerdem wollen wir das Risiko des Verlustes unserer Marken minimieren – etwas, mit dem Beiersdorf eine lange und schmerzhafte Geschichte hat.“ Damit ist gemeint, dass Beiersdorf nach dem Zweiten Weltkrieg in vielen Ländern in langwierigen Prozessen die Markenrechte zurückkaufen musste.
Die Yale-Liste führt auch solche Firmen auf, die „geplante Investitionen/Entwicklungen/Marketing zwar aufschieben, aber das wesentliche Geschäft“ mit Russland fortsetzten. Darunter finden sich diese norddeutschen Unternehmen:

Aurubis (ehemals Norddeutsche Affinerie) mit Sitz in Hamburg. Ein Kupferproduzent und Kupferwiederverwerter. Auf MOPO-Anfrage teilte Aurubis-Sprecher Meino Hauschildt mit: „Unsere Geschäftsbeziehungen mit Russland sind äußerst begrenzt; der Umsatzanteil lag im Geschäftsjahr 2021/22 weit unter 0,1 Prozent. Wir haben unmittelbar nach Ausbruch des Krieges alle Sanktionen in vollem Umfang umgesetzt und sind seitdem auch keine neuen Geschäftsbeziehungen eingegangen. Es gab zunächst noch eine kleine Zahl von langfristigen Verträgen für die Lieferung von geringen Mengen an Rohstoffen aus Russland, die vor Ausbruch des Krieges abgeschlossen worden und nicht von den Sanktionen betroffen waren. Aurubis hat keinen dieser Verträge verlängert.“

Tom Tailor, ein Modeunternehmen aus Niendorf. Auf Sonnenfelds Liste heißt es bezüglich des Russland-Handels: „Online-Verkauf ausgesetzt, aber Werbung läuft weiter“. Auf eine Bitte der MOPO, dazu Stellung zu beziehen, reagierte die Firma nicht.
Wie Yale-Professor Sonnenfeld an seine Informationen kommt? Daraus macht er kein Geheimnis: Die Daten stammten von Mitarbeitern der Firmen und Whistleblowern. Das Team des Wirtschaftswissenschaftlers bediene sich aber auch öffentlicher Daten wie etwa Unternehmenserklärungen, Steuerunterlagen und Finanzanalysen.