Hamburger Klinik kündigt preisgekrönter Ärztin: „Helios will ein Exempel statuieren“
Seit 23 Jahren arbeitet Franziska Schlosser als Anästhesistin an der Endo-Klinik auf St. Pauli. Sie ist eine preisgekrönte Ärztin mit viel Erfahrung, die bei ihren Kollegen beliebt ist – auch, weil sie sich immer wieder für diese einsetzt. Genau das wurde der Medizinerin jetzt womöglich zum Verhängnis. Klinik-Betreiber Helios hat Franziska Schlosser gekündigt – mit einer abenteuerlichen Begründung.
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Seit 23 Jahren arbeitet Franziska Schlosser als Anästhesistin an der Endo-Klinik auf St. Pauli. Sie ist eine preisgekrönte Ärztin mit viel Erfahrung, die bei ihren Kollegen beliebt ist – auch, weil sie sich immer wieder für diese einsetzt. Genau das wurde der Medizinerin jetzt womöglich zum Verhängnis. Klinik-Betreiber Helios hat Franziska Schlosser gekündigt – die Begründung klingt abenteuerlich.
Der 10. Mai war ein schwarzer Tag im Leben von Franziska Schlosser. Die Ärztin befand sich gerade im OP und führte eine Narkose durch, als sie plötzlich zur Hygieneschleuse gerufen wurde. Dort standen zwei Personen aus der Personalabteilung. Sie drückten Schlosser einen Brief in die Hand.
Hamburg: Helios-Klinik kündigt Ärztin – die wehrt sich
Als die Ärztin den Umschlag öffnete, fiel sie aus allen Wolken. Sie fand dort ein Anhörungsschreiben mit Gelegenheit zur Stellungnahme. Der Vorwurf: Arbeitszeitbetrug! Sie habe sich am 17. April im Rahmen eines Feueralarms in der Klinik nicht wie vorgeschrieben ins Notfallprotokoll eingetragen. Die Geschäftsführung meinte, daraus könne ja nur der Schluss gezogen werden, dass Schlosser sich heimlich vom Arbeitsplatz entfernt haben musste und nach Hause gegangen sei.
Als Schlosser den Vorwurf schnell entkräften konnte, zog die Geschäftsführung flugs eine neue Karte aus der Tasche. Sie präsentierte eine Zeugin, die angeblich gesehen hatte, dass Schlosser 28 Minuten vor Dienstende das Haus verlassen hätte und dabei die unübersichtliche Situation des Feueralarms ausgenutzt habe. Pikant: Die Zeugin ist die Sekretärin des Ärztlichen Direktors und der Geschäftsführung.
Obwohl Schlosser auch diese Behauptung leicht widerlegen konnte, weil ihre Kollegen bezeugen konnten, dass sie zum fraglichen Zeitpunkt noch in der Klinik gewesen sei, schaltete sie die Ärzte-Gewerkschaft Marburger Bund ein. Denn für sie war klar: Hier geht es um mehr.
Hamburger Anästhesistin Franziska Schlosser setzt sich für faire Arbeitsbedingungen ein
Franziska Schlosser ist kein Mensch, der sich leicht unterkriegen lässt. Sie hat den Mut, sich gegen die aus ihrer Sicht hierarchischen Strukturen eines Klinikkonzerns zur Wehr zu setzen und begehrt auf, wenn sie Ungerechtigkeiten wahrnimmt. Seit 2004 ist Schlosser aktives Mitglied beim Marburger Bund und Teil der Tarifkommission. Sie hat ein Auge darauf, dass ihre Kollegen fair bezahlt werden, rechtzeitig ihre Gehälter bekommen und keine Überstunden leisten.
Wenn der Marburger Bund als Gewerkschaft zu Warnstreiks aufrief, übernahm Schlosser die Funktion der Streikleitung in der Endo-Klinik. 2001 wurde ihr im zeitlichen Zusammenhang mit einem Warnstreik schon einmal Arbeitszeitbetrug vorgeworfen, was die Klinik bald wieder zurück nehmen musste. Im März 2023 hielt Schlosser im Zusammenhang mit einem Streik eine flammende Rede vor Tausenden von Menschen.
Nach einem Gespräch im Mai bot die Geschäftsführung der Endo-Klinik Franziska Schlosser an, sie würden wegen des angeblichen Arbeitszeitbetrugs von arbeitsrechtlichen Konsequenzen absehen, sofern Schlosser die Sache zugeben würde. Schlosser weigerte sich: Sie hätte sich nichts zuschulden kommen lassen. Am 8. Juni erhielt sie die schriftliche Kündigung.
Abfindung angeboten: Hamburger Helios-Klinik will Ärztin loswerden
Ein Gütetermin vor Gericht am 12. Juli blieb ergebnislos. Helios bot ihr eine Abfindung an. Sie wehrte sich: „Ich bin gerne Ärztin. Ich liebe meinen Beruf und ich habe ein tolles Team.“ Die Anästhesistin möchte so schnell wie möglich an ihren Arbeitsplatz zurückkehren. Deshalb hat sie Kündigungsschutzklage eingereicht. Ein ursprünglich auf den 21. November datierter Kammertermin wurde kurzfristig auf Januar verschoben – für Schlosser ein Nervenspiel.
Ihre Anwältin Katharina von der Heyde, die auch Landesgeschäftsführerin des Marburger Bunds ist, ist dennoch zuversichtlich: „Die Kündigung ist aus vielen Gründen unwirksam, allein schon aus formalen Gründen. Helios hat dabei viele handwerkliche Fehler gemacht.“ Alle Vorwürfe sind aus Sicht der Anwältin an den Haaren herbei gezogen worden. Der ganze Vorgang sei wohl „offensichtlich inszeniert“, so von der Heyde zur MOPO.
„Dubiose Methoden“: Ärzte-Chef Pedram Emami sieht „systematisches Vorgehen“ bei Helios
Genauso sieht das auch erste Vorsitzende des Marburger Bundes Hamburg, Dr. med. Pedram Emami. „Ich bin davon überzeugt, dass Frau Schlossers Kündigung im Zusammenhang mit ihrem gewerkschaftlichen Engagement steht“, so Emami zur MOPO. „Ich meine, Helios will ein Exempel statuieren.“
Laut Emami werden dem Marburger Bund von seinen Mitgliedern auch an anderen Helios-Standorten ähnliche Fälle berichtet. Emami sieht darin ein „systematisches Vorgehen“.
Wenn Franziska Schlosser im Januar vor Gericht auf ihren Arbeitgeber treffen wird, wollen ihre Kollegen sie solidarisch begleiten. Pedram Emami verspricht: „Egal wie das Verfahren ausgehen wird: Wir werden als Gewerkschaft in Zukunft sehr genau hinsehen, was bei Helios passiert.“ Die Arbeitsbedingungen in dem Klinikkonzern, die korrekte Bezahlung, die Tarifsituation und der Umgang mit den Angestellten würden künftig genau unter die Lupe genommen.
Helios-Klinik: „Gewerkschaftliches Engagement wird von uns in keiner Weise behindert“
Emami, der angebliche Unregelmäßigkeiten auch bei den Arbeitszeiten im Helios-Konzern schon länger beobachtet, hat eine Vermutung: „Das ist mutmaßlich auch ein Ablenkungsmanöver, um von nicht tarifkonformen Arbeitsbedingungen abzulenken. Solche dubiosen Methoden wendet nur jemand an, der etwas zu verbergen hat.“
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Die Helios-Endo-Klinik wollte sich zu dem Vorgang wegen des laufenden gerichtlichen Verfahrens nicht äußern. Grundsätzlich gelte jedoch: „Gewerkschaftliches Engagement wird von uns in keiner Weise behindert. Es entspricht unserem Selbstverständnis, jedem Verdacht sorgfältig, neutral, unvoreingenommen und ergebnisoffen nachzugehen, um dann bei einer Bestätigung des Verdachts erforderliche arbeitsrechtliche Maßnahmen zu ergreifen. Dabei machen wir keinen Unterschied danach, welche Person mit welchem Amt davon betroffen ist“, so ein Sprecher zur MOPO.