• Foto: Staatsarchiv Hamburg

Weihnachten 1945 in Hamburg: „Minus 20 Grad — und keine richtigen Fensterscheiben“

Vor 75 Jahren war der Krieg vorbei – Not, Elend und Hunger aber nicht. Und als wäre das nicht schon schlimm genug, wurde der Winter 1946/47 auch noch einer der kältesten seit Menschengedenken: Temperaturen von minus 20 Grad, viele Wochen lang. Hamburger erinnern sich an Weihnachtsfeste in der Nachkriegszeit. Heute lesen Sie den zweiten Teil.

Heute noch fröstelt es MOPO-Leser Kurt Hoffmann (81), wenn er an Weihnachten 1946 denkt. Die Kälte trifft in Hamburg auf eine Bevölkerung, die weder genug zu essen noch genug Brennmaterial zur Verfügung hat. Noch dazu leben die meisten Menschen in ausgebombten Häusern, in Nissenhütten, Behelfsheimen – manche sogar in alten Luftschutzbunkern.

Weihnachten 1945 in Hamburg: „Minus 20 Grad — und keine richtigen Fensterscheiben“

„Die Mutter und ihr kleiner Bub, sie waren nun ausgebombt, verloren in einer Nacht Haus und Hof, viele Freunde, Verwandte und Bekannte. Von nun an lebten sie im Miet-Zimmer einer sehr alten und liebenswerten Fischerfamilie. Dieses Zimmer war ehemals eine große Wohnstube, nun war es Küche, Schlafzimmer, Bad und Wohnzimmer in einem. 

Kurt Hoffmann und seine Mutter froren an Heiligabend in einem Zimmer ohne Fenster-scheiben.

Kurt Hoffmann und seine Mutter froren an Heiligabend in einem Zimmer ohne Fenster-scheiben.

Foto:

Kurt Hoffmann

Es war äußerst kalt in diesem Raum im Winter 1946/47, da in den zwei vorhandenen Fenstern die vom Krieg zerstörten Glasscheiben nur mit milchigem, undurchsichtigem und hauchdünnem Gummi ersetzt waren. Diese Gummibespannung schützte zwar vor Wind, aber nicht vor der eisigen Kälte. Es war minus 20 Grad! Es gab einen alten Küchen-Kohleherd, auf dem die liebe Mutter versuchte, wenn sie dann gar Lebensmittel und Brennbares hatte, etwas zu kochen. 

Keine Kohle zum Heizen – Stubben waren die Lösung 

Kohlen standen den beiden Armen leider nicht zu Verfügung. Somit musste die Mutter mit Stubben, also ausgegrabenen Baumwurzeln, heizen, die ihr die besorgte Nachbarsfamilie hin und wieder mal zusteckte. 

Das hatte dann wiederum zur Folge, dass zwar das Süppchen irgendwann warm, aber die gesamte Stube vom Rauch der schwer brennbaren Baumwurzeln auch verqualmt war und die Fenster, trotz klirrender Kälte, weit aufgerissen werden mussten. Genau so ein Tag war auch wieder der Heilige Abend 1946/1947!

Kurt Hoffmann erinnert sich noch genau an den bitterkalten Winter 1946/47 in Hamburg.

Kurt Hoffmann erinnert sich noch genau an den bitterkalten Winter 1946/47 in Hamburg.

Foto:

Kurt Hoffmann

Es war so bitterkalt draußen wie auch in dieser frostigen Stube, dass sich eine feste und glitzernde dicke Eisschicht auf der Fensterinnenwand gebildet hatte. Daraufhin beschloss die Mutter, das letzte Geld auszugeben und mit ihrem Bub ins nahegelegene Gasthaus zu gehen. Dort wurde geheizt und die zwei konnten endlich mal auf einer warmen Sitzbank Platz nehmen und hinausschauen durch ein eisfreies Fenster und sich ein Heißgetränk bestellen, welches aus viel, viel heißem Wasser und künstlichen Aroma-Extrakten bestand.

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Nach etwa zwei Stunden gingen die beiden doch eigentlich sehr zufrieden, durch den tiefen Schnee nach Hause, ins kalte Miet-Zimmer ohne Weihnachtsbaum, ohne Kerzen, ohne Kuchen, ohne Geschenke. Stattdessen gab es nur ein Brot mit selbst gemachtem Schmalzaufstrich zu essen. Beleuchtet wurde die ganze Szenerie von einer nackten Glühbirne, die von der Mitte der Stubendecke herabhing.

Mit dem Gedanken, im Prinzip doch noch viel Glück gehabt zu haben, denn immerhin hatte es etwas Heißes zu trinken gegeben, legen sich Mutter und Sohn sehr, sehr zeitig in das wenigstens etwas wärmende Bett am Heiligen Abend des Jahres 1946.“

Weihnachten 1945: Ein Fässchen Matjes war ein Schatz

Franziska Stapelfeldt ist 1939 geboren und erinnert sich gut an Weihnachten 1945. „Denn es war furchtbar traurig. Mein Vater war im Herbst 1944 eingezogen worden und befand sich in belgischer Kriegsgefangenschaft, aus der er erst 1946 halb verhungert zurückkam. Mein ältester Bruder war in Norwegen vermisst, mein zweiter Bruder in Polen in Gefangenschaft. Und auch mein dritter Bruder war nicht da – der war Fischer und musste Weihnachten auf See verbringen. 

Die Hamburgerin Franziska Stapelfeldt mit ihrer Mutter

Die Hamburgerin Franziska Stapelfeldt mit ihrer Mutter

Foto:

Franziska Stapelfeldt

Weil meine Mutter zu Weihnachten als Filmvorführerin arbeitete, war ich also ganz allein. Aber im Kinderheim am Horner Weg hat man sich sehr viel Mühe gegeben mit uns Kindern – fast 100 waren wir –, um uns die missliche Lage nicht so spüren zu lassen. Mein dritter Bruder hat unserer Mutter zu Weihnachten ein Fässchen Matjesheringe geschickt, damals eine Kostbarkeit, für die man fast alles kriegen konnte. 

Wenig später kamen mein zweiter und mein jüngster Bruder zurück, nur genug zu essen gab es nicht. Die Einzige, die diese Zeit verhältnismäßig gut überlebt hat, bin ich. Im Kinderheim kriegten wir genug zu essen, weil es von Schweden unterstützt wurde.“

Claus Günther litt an Hunger und Kälte, war aber froh überlebt zu haben

Wenn der Hamburger Claus Günther an Weihnachten 1945 denkt, dann denkt er an Not und Entbehrung, an Hunger und Kälte – und an das Huhn mit Fischgeschmack. 

„Wir waren ausgebombt, und deshalb wohnten wir alle in Omas kleinem Haus. Mein Vater, meine Mutter, mein Onkel und ich. Obendrein gab es auch noch Mieter im ersten Stock, und die hatten ebenfalls einen Verwandten zu sich nehmen müssen. Es war also ganz schön eng in dem kleinen Häuschen, aber wir waren alle froh, den Krieg überlebt zu haben. 

Was ich als Kind toll fand, war, dass nicht mehr verdunkelt werden musste. Anders als im Krieg brannten die Straßenlaternen – soweit noch vorhanden – wieder, die Scheinwerfer der selten gewordenen Autos waren wieder voll erleuchtet (zuvor war nur ein schmaler Schlitz sichtbar), und vor allem durften wir in den Zimmern wieder Licht machen, ohne dass draußen jemand erschrocken und auch drohend rief: ,Licht aus!‘

Claus Günther hat seine Erinnerungen im Buch „Heile, heile, Hitler“ festgehalten.

Claus Günther hat seine Erinnerungen im Buch „Heile, heile, Hitler“ festgehalten.

Foto:

Olaf Wunder

Zu Weihnachten ,organisierten‘ wir Kohlen zum Heizen, und wir schlachteten eins von Omas Kaninchen. Zum ,Tschintschen‘ (Tauschen) hatten wir nichts mehr. Am zweiten Weihnachtstag gab es Huhn. Ich weiß noch, dass das Hühnerfleisch nach Fisch schmeckte, denn es war mit Fischmehl gefüttert worden, weil es nichts anderes gab. Geschenkt wurde Selbstgemachtes: Handschuhe und Pulswärmer. Auf dem Tisch standen ein paar Tannenzweige und zwei Bismarck-Lichter sowie selbst gebrannter Schnaps.“

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