Der Angeklagte und seine Rechtsanwältin sitzen kurz vor Beginn der Verhandlung in einem Gerichtssaal des Strafjustizgebäudes in Hamburg.
  • Der Angeklagte (l.) hatte die Tat gestanden.
  • Foto: picture alliance/dpa/Ulrich Perrey

„Weg, weg, weg!“ schrie der Geiselnehmer – und rannte mit dem Kind davon

Dieser Fall hielt im November vergangenen Jahres ganz Hamburg in Atem: Ein Mann entführte seine Tochter und fuhr mit ihr im Auto auf das Rollfeld des Hamburger Airports. Am Montag wurde der Prozess um den Geiselnehmer fortgesetzt. Zeugen sprechen im Gerichtssaal von einer aggressiven und gewaltsamen Vorgehensweise. Ein Nachbar der Mutter schildert den Moment, als er dem Mann mit Schusswaffe in der Hand gegenüberstand.

Im Prozess gegen den Geiselnehmer am Hamburger Flughafen haben Zeugen am Montag die dramatische Entführung der kleinen Tochter durch ihren Vater im niedersächsischen Stade geschildert. Er habe am 4. November vergangenen Jahres abends Getrampel und Türenknallen in der Wohnung über ihm gehört, sagte ein Nachbar der Mutter des damals vierjährigen Mädchens vor der Großen Strafkammer am Landgericht Hamburg. Dann sei ein Mann mit dem Kind auf dem linken Arm die Treppe im Flur heruntergerannt. Als er wissen wollte, was los sei, habe der nun Angeklagte mit einer Schusswaffe in der rechten Hand gestikuliert und „Weg, weg, weg!“ gerufen.

Instinktiv habe er seine Hände hochgehoben und sich zurückgezogen, sagte der heute 24 Jahre alte Nachbar. Die Mutter sei ihrem Ex-Mann hinterhergelaufen und habe ihr Kind schreiend zurückgefordert. Wie zwei Polizisten vor Gericht sagten, schoss der Entführer vor dem Haus einmal in die Luft und raste mit einem Auto davon.

Angeklagter hat Tat gestanden

Die Staatsanwaltschaft wirft dem Angeklagten Geiselnahme, die Entziehung Minderjähriger, vorsätzliche Körperverletzung und verschiedene Waffendelikte vor. Mit seiner Tochter im Auto war der 35-Jährige zum Flughafen gefahren, hatte dort drei Schranken durchbrochen und war so bis auf das Vorfeld gelangt. Von dort forderte er über den Polizeinotruf, dass ihm ein Flugzeug zur Verfügung gestellt werde, das ihn und seine Tochter in die Türkei bringen sollte.

Um seiner Forderung Nachdruck zu verleihen, schoss er dreimal in die Luft und drohte, sich und das Kind mit einem Sprengstoffgürtel in die Luft zu sprengen. Erst nach 18 Stunden gab der 35-jährige Türke auf. Die Sprengsätze erwiesen sich als Attrappen. Hintergrund der Tat war ein jahrelanger Sorgerechtsstreit. Zum Auftakt des Prozesses vor zwei Wochen hatte der Angeklagte die Entführung seiner Tochter und das weitere Tatgeschehen gestanden.

Mutter „war am Boden zerstört“

Der Nachbar der Mutter spürte bei der Begegnung im Treppenhaus: „Reden bringt nichts, lass ihn gehen, bevor was passiert.“ Das Kind habe nicht geschrien. „Es hat nur verwirrt geguckt.“ Einer weiteren Hausbewohnerin, die die Wohnungstür geöffnet hatte, rief der Zeuge zu: „Bleib drin!“ Sie solle die Polizei rufen. Er habe noch einen Knall gehört und kurz darauf das Aufheulen des Wagens. Alles sei innerhalb von zwei bis drei Minuten geschehen. Wenig später habe er die Mutter gesehen. „Sie war am Boden zerstört.“ Die Frau habe im Hausflur gekniet und geweint.

In diesem Zustand trafen die ersten Polizisten sie an, wie eine 28-jährige Beamtin und ein 44-jähriger Kriminalpolizist berichteten. Die Mutter habe zunächst von zwei Schüssen berichtet. Möglicherweise habe sie damit gemeint, dass ihr Ex-Mann die Waffe einmal auf sie gerichtet und einmal in die Luft geschossen habe, erklärte der 44-Jährige. Die Beamten fanden jedoch nur eine Patrone am Haus.

Warnung an Hamburger Polizei kam zu spät

Sein „Bauchgefühl“ nach Anhörung der Mutter habe ihm gesagt, dass der Täter möglicherweise zum Hamburger Flughafen unterwegs sei. Über die Leitstelle in Lüneburg habe er die Ortung des Mietwagens veranlasst. Als die niedersächsische Polizei ihre Hamburger Kollegen und die Bundespolizei warnen wollte, hatte der Entführer schon die Schranken am Flughafen durchbrochen.

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Der Angeklagte verfolgte die Zeugenaussagen aufmerksam. An den 24 Jahre alten Zeugen richtete er mithilfe eines Dolmetschers eine Frage: „Sie haben vorhin gesagt, dass das Kind (von der Mutter) angeschrien worden sei. Das Datum hätte ich gern.“ In seiner Erklärung zum Prozessauftakt hatte der 35-Jährige die Liebe zu seinem Kind betont und erklärt: „Es ging immer nur um meine Tochter.“ Bereits im März 2022 war in Stade gegen den Mann wegen des Verdachts der Entziehung Minderjähriger ermittelt worden, er wurde schließlich rechtskräftig zu einer Geldstrafe verurteilt. Damals war er laut Polizei unberechtigt mit seiner Tochter in die Türkei gereist. Das Kind konnte jedoch von der Mutter wieder nach Deutschland geholt werden. (dpa/mp)

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