Wie Hamburgs Busfahrer in der Sturmflut ihr Leben riskierten
„1.00 Uhr: Überflutung Ost-West-Straße bis Großer Burstah“: Das war die erste Meldung, die bei der Leitstelle der Hochbahn in der Nacht zum 17. Februar 1962 einging. Noch ahnte niemand, dass sich daraus die schwerste Flut in Hamburgs Geschichte entwickeln würde. Nur zwei Stunden später wurde der Verkehr nach Harburg komplett eingestellt, der Veddeler Tunnel stand komplett unter Wasser. Während der folgenden Tage versuchte das Unternehmen mühsam, den Öffentlichen Nahverkehr aufrecht zu erhalten und war gleichzeitig an gefährlichen Evakuierungen beteiligt – viele Busfahrer riskierten ihr Leben. Ein Besuch im Archiv der Hochbahn wirft gleichzeitig die Frage auf: Wie ist das Unternehmen heute auf Hochwasser vorbereitet?
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„1.00 Uhr: Überflutung Ost-West-Straße bis Großer Burstah“: Das war die erste Meldung, die bei der Leitstelle der Hochbahn in der Nacht zum 17. Februar 1962 einging. Noch ahnte niemand, dass sich daraus die schwerste Flut in Hamburgs Geschichte entwickeln würde. Nur zwei Stunden später wurde der Verkehr nach Harburg komplett eingestellt, der Veddeler Tunnel stand unter Wasser. Während der folgenden Tage versuchte das Unternehmen mühsam, den Öffentlichen Nahverkehr aufrecht zu erhalten und war gleichzeitig an gefährlichen Evakuierungen beteiligt – viele Busfahrer riskierten ihr Leben. Ein Besuch im Archiv der Hochbahn wirft gleichzeitig die Frage auf: Wie ist das Unternehmen heute auf Hochwasser vorbereitet?
In einem großen, hellen Raum in Wandsbek sitzt Daniel Frahm mit einem dicken Ordner in den Händen. Dort hat der Historiker alles säuberlich abgeheftet, was zur Hamburger Sturmflut im Februar 1962 bis heute im Archiv der Hochbahn erhalten ist: Das sind Funksprüche, Protokolle der Leitstelle, Fotos oder auch spätere Pressemitteilungen und Bilanzberichte.
Sturmflut 1962: Ersatzbus wurde von Wasser eingeschlossen
„Am Anfang wurde noch versucht, einen Ersatzverkehr in den betroffenen Stadtteilen einzurichten, aber schnell war allen klar: Diese Flut übertraf alles bisher Geschehene“, sagt der 45-Jährige, während er durch die Unterlagen blättert. Einer der Ersatzbusse wurde zusammen mit einem Funkwagen des Störungsdienstes vom Wasser eingeschlossen.
Wirklich ernst genommen hatte die Sturmflutwarnungen am Freitagabend, 16. Februar 1962 kaum jemand: Zwar unterbrachen Radio und Fernsehen ihr Programm zweimal für eine Unwetterwarnung – doch da dort nur von der deutschen Nordseeküste die Rede war, gingen die meisten unbedarft ins Bett.
In der Nacht kam die Flutwelle nach Hamburg
Bereits in den Tagen zuvor hatten heftige Stürme das Wasser in der Elbe gestaut, das nicht mehr richtig abfließen konnte. Umso heftiger traf der Orkan „Vincinette“ die Hansestadt, der nicht nur Bäume und Dächer zerstörte, sondern noch mehr Nordseewasser in die Deutsche Bucht und weiter in die Elbe drängte. Daraus entstand eine gigantische Flutwelle, die sich auf den direkten Weg nach Hamburg machte.
Erst gegen 22 Uhr wurden Böllerschüsse aus Sturmkanonen abgegeben – die waren im Sturm allerdings nicht mehr zu hören. Bei Neuenfelde, wo um 0.11 Uhr der erste Deich brach, stieg das Wasser rasch auf 5,98 Meter über Normalnull, innerhalb der folgenden Stunden folgten weitere 60 Deichbrüche.
Busfahrer musste während der Sturmflut aufs Dach klettern
„Am flexibelsten konnten noch die Busse eingesetzt werden, allein durch ihre Radhöhe“, erzählt Frahm. „Die Leitstelle gab den Fahrern immer wieder neue, befahrbare Routen durch.“ Einem der Busfahrer gelang es nicht, sein Fahrzeuge ohne Fahrgäste rechtzeitig an der Harburger Chaussee wegzufahren, als in der Nähe ein Deich brach: „Das Wasser stieg unheimlich schnell – mir bis zur Brust. Durchs Schiebefenster kletterte ich aufs Dach. Dunkel, Wasser, Sturm. Dazwischen von allen Seiten Hilfeschreie“, beschrieb dieser damals die Situation. Erst vier Stunden später wurde er von einem Schiffer gerettet.
Auch bei der Evakuierung von Bewohnern in Überflutungsgebieten halfen die Busse und ihre Fahrer. „Manch einer hat drei, vier Schichten am Stück gearbeitet“, sagt Frahm. „Das verlangte niemand, viele sahen es als ihre Pflicht an.“ Am Samstagmorgen, 17. Februar, wurden ab 8 Uhr zunächst 60 Busse zur Rettung bereitgestellt, die noch bis spät am Sonntag unterwegs waren. Sie transportierten nicht nur Gerettete zu den Notunterkünften, sondern fuhren auch Straßen ab und nahmen Anwohner auf, die mit Schlauchbooten aus ihren Wohnungen geholt worden waren.
„Während die Fahrer vor Ort waren, koordinierten die Arbeiter in den Meldestellen die Schichtpläne und Routen und die Techniker sorgten dafür, dass die Fahrzeuge so gut es eben ging einsatzbereit waren“, sagt der Historiker.
Straßenbahnen und U-Bahnen waren unregelmäßig unterwegs
Die Straßenbahnen waren währenddessen nur noch sehr unregelmäßig unterwegs. Nach Harburg fuhr schon seit Samstagnacht überhaupt nichts mehr. Immer wieder fiel der Strom aus, weswegen einige Fahrer ihre Straßenbahnen auf der Strecke stehen lassen mussten. Die U-Bahn war am wenigsten betroffen: Nur an einigen Haltestellen, wie beim Rathaus, kam es zu kleineren Überschwemmungen. Dort musste der Strom abgestellt werden.
Ab dem 6. März, so geht es aus den Archiv-Unterlagen hervor, fuhren alle U-Bahnen, Busse, Straßenbahnen und Alsterschiffe wieder nach Plan. Der Veddeler Straßenbahntunnel musste vorher wieder freigepumpt werden, Gleise und Haltestellen wurden im Turbo repariert.
So ist die Hochbahn heute auf eine Flut vorbereitet
Heute, 60 Jahre nach der Sturmflutkatastrophe hat die Hochbahn inzwischen einige Vorkehrungen getroffen, die vor allem die U-Bahn betreffen: Zwischen Überseequartier und der HafenCity Universität gibt es zwei sogenannte Wehrtore, die bei Gefahr geschlossen werden. Denn der U-Bahn-Tunnel verläuft direkt unter der Elbe und wäre bei Hochwasser sofort dicht.
Am Jungfernstieg gibt es sogar neun solcher Tore sowie drei Dammbalkenverschlüsse: Sollte das Wasser aus der Alster eindringen, könnte die gesamte Haltestelle dicht gemacht und so die Innenstadt vor der Flut gerettet werden. Der Rest der Linien U1, U2 und U3 liegt laut dem Unternehmen „sicher hinter der Hauptdeichlinie“.